Entscheidungsstichwort (Thema)
Enteignungsmaßnahme. Bodenreform. Eingriff in Persönlichkeitssphäre des Betroffenen. Ausschluss des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
Leitsatz (amtlich)
Ansprüche auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen eines Eingriffs in Vermögenswerte sind durch § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG ausgeschlossen, wenn der Eingriff vorrangig gegen das Vermögen des Geschädigten und nicht gegen dessen Person gerichtet war. Das ist jedenfalls bei Enteignungen von mehr als 100 ha Land im Zuge der sog. Bodenreform gegeben, die ohne Rücksicht auf die individuelle politische Gesinnung der Eigentümer erfolgt sind.
Normenkette
VwRehaG § 1 Abs. 1 Sätze 2-3; VermG § 1 Abs. 8
Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 15.03.2006; Aktenzeichen 5 A 296/05) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG – aus abgeleitetem Recht nach seinem Großvater Carl P. wegen des während der sowjetischen Besatzungszeit eingetretenen Verlustes des im heutigen Landkreis Nordwestmecklenburg am Schweriner See belegenen ehemaligen landwirtschaftlichen Gutes S. Das Gut wurde nach Angaben des Klägers im Spätherbst 1945 enteignet und die Flächen wurden aufgesiedelt.
Der vermögensrechtliche Restitutionsantrag des Vaters des Klägers, des Alleinerben von Carl P., aus dem Jahre 1992 wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (LARoV) vom 6. Januar 1994 mit der Begründung abgelehnt, die Enteignung sei im Zuge der Bodenreform erfolgt und die Rückübertragung gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a Vermögensgesetz – VermG – ausgeschlossen. Der unter Vorlage einer russischen Rehabilitierungsbescheinigung aus dem Jahre 1996 vom Kläger nach dem Tode des von ihm allein beerbten Vaters gestellte Wiederaufgreifensantrag wurde mit Bescheid des LARoV vom 23. November 1999 abgelehnt. Das eingeleitete Klageverfahren wurde nach Klagerücknahme eingestellt.
Mit Schreiben vom 5. Juni 2003 beantragte der Kläger “die Rehabilitierung sämtlicher politischer rechtsstaatswidriger Verfolgungsmaßnahmen des Herrn Carl P., einschließlich der Rechtsstaatswidrigerklärung und Aufhebung der im Zusammenhang mit diesen politischen Verfolgungen stehenden Entziehungen” u.a. des Gutes S. nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Er machte unter Vorlage von Erklärungen von Zeitzeugen und entsprechender Dokumente geltend, dass das Gut seinerzeit unter dem Schutz der sowjetischen Besatzungsmacht gestanden und die Enteignung deren Willen widersprochen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei wegen des politischen personenbezogenen Verfolgungscharakters der Maßnahmen das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz und nicht das Vermögensgesetz anwendbar. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes sei auch nicht nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 3 ausgeschlossen, weil es sich wegen des Enteignungsverbots der sowjetischen Besatzungsmacht und mangels einer Bestätigung der Vermögensentziehung durch diese nicht um eine Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG handele.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 2004 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Rehabilitierung ab. Eine Rehabilitierung könne nicht erfolgen, weil die Enteignung des Gutes S. auf der Verordnung Nr. 19 der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern über die Bodenreform vom 5. September 1945 und damit auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruht habe und die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes gemäß dessen § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 ausgeschlossen sei.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 15. März 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, abhängig vom Vorliegen eines Enteignungsverbots der sowjetischen Besatzungsmacht scheitere die Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes entweder an dessen § 1 Abs. 1 Satz 3 oder an § 1 Abs. 1 Satz 2, da jedenfalls Enteignungen wegen der Größe der Flächen von über 100 ha primär objektbezogen gewesen seien.
Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision trägt der Kläger vor, § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG stehe seinem Begehren nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht habe den im Zuge der Bodenreform erfolgten Enteignungen zu Unrecht den politischen Verfolgungscharakter abgesprochen. Das gelte auch und gerade für die Enteignung von Grundbesitz über 100 ha. Die Eigentümer solcher Ländereien seien von den Kommunisten in der sowjetischen Besatzungszone unterschiedslos als Hauptpfeiler der Reaktion und des Faschismus und als Hauptquelle der Aggression und der Eroberungskriege eingestuft und gnadenlos verfolgt worden. Sie seien über die Entziehung ihres Eigentums hinaus verjagt, gedemütigt und eingesperrt worden und hätten schwerstes Unrecht erlitten. Es stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und eine Verletzung der Menschenwürde dar, denen, die auf diese Weise Grundbesitz von mehr als 100 ha verloren hätten, die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung zu verweigern. Aus der Regierungsbegründung zu § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG (BTDrucks 12/4994 S. 23) ergebe sich, dass die Maßnahmen im Rahmen der Bodenreform auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers dem abstrakten Geltungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes unterfallen sollten. Alleine aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes im Jahre 1994 einen solchen “Ausschlusstatbestand” explizit auch für “Bodenreformfälle” für erforderlich befunden habe, sei zu entnehmen, dass er davon ausging, dass diese Maßnahmen dem abstrakten Regelungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes unterfielen. Im Übrigen wiederholt und vertieft der Kläger seine Auffassung, dass es sich wegen des Vorliegens eines sowjetischen Enteignungsverbots nicht um eine besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitliche Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG i.V.m. § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG handele.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Dabei betont er insbesondere, die Enteignungsmaßnahme liege im Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes, da sie vorrangig objektbezogen und allenfalls nachrangig personenbezogen gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das angegriffene Urteil steht mit dem Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der auf § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG gestützte Rehabilitierungsanspruch scheitert gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG am Anwendungsvorrang des Vermögensgesetzes.
1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG findet das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz u.a. keine Anwendung auf Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz erfasst werden. Rehabilitierungsbegehren, die – wie hier – auf die Rückgängigmachung von Vermögensentziehungen gerichtet sind, unterfallen allerdings nicht allein schon wegen dieses ihres Gegenstandes dem Vermögensgesetz. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hängt die Anwendbarkeit des einen oder des anderen Gesetzes vielmehr von dem Zweck und Ziel der Maßnahme ab, die zum Verlust des Vermögensgegenstandes geführt hat (Urteile vom 21. Februar 2002 – BVerwG 3 C 16.01 – BVerwGE 116, 42 ≪44 f.≫ und vom 23. August 2001 – BVerwG 3 C 39.00 – Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 = VIZ 2002, 25). Ansprüche nach dem Vermögensgesetz setzen Maßnahmen voraus, die zielgerichtet den Entzug des zurückverlangten Gegenstandes bezweckt haben. Demgegenüber zielten die in § 1 VwRehaG angesprochenen Unrechtsmaßnahmen, die zum Teil ebenfalls Vermögensverluste ausgelöst haben, primär auf andere Zwecke und sind durch grob rechtsstaatswidrige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet. Diese Differenzierung wird von der Revision nicht angegriffen.
2. Unter Zugrundelegung dieser Abgrenzungskriterien fällt die Enteignung des Gutes S., deretwegen der Kläger die Rehabilitation begehrt, nicht unter die Vorschriften des Verwaltungsgerichtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Der Eigentumszugriff beruhte auf Art. II Nr. 3 der Verordnung Nr. 19 über die Bodenreform im Lande Mecklenburg-Vorpommern vom 5. September 1945 (Amtsblatt Mecklenburg-Vorpommern 1946, Nr. 1, S. 14, abgedr. bei Fieberg/Reichenbach, RWS-Dokumentation 7, Enteignung und Offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Bd. I, 2.7.1). Maßnahmen auf dieser Grundlage dienten, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, in erster Linie der Bodenordnung und nicht der Sanktion für bestimmte Verhaltensweisen.
Die Bodenreformverordnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern unterscheidet in ihrem Art. II zwei Kategorien von Enteignungsopfern. Zu enteignen sind nach Nr. 2 dieses Artikels zunächst die Kriegsverbrecher und Kriegsschuldigen (a), die NSDAP einschließlich ihrer angeschlossenen Gliederungen, die Naziführer, die aktiven Vertreter der Nazipartei und ihrer Gliederungen sowie die führenden Personen des Hitlerstaates, darunter alle Mitglieder der Reichsregierung und des Reichstages unter der Naziherrschaft (b). Dieser Personenkreis ist gekennzeichnet durch eine bestimmte, als verwerflich betrachtete politische Haltung, die alleiniger Anknüpfungspunkt für den Eigentumszugriff ist. Ferner wird nach Nr. 3 dieses Artikels, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Falle des Großvaters des Klägers angewendet worden ist, der Boden der Junker, Feudalherren und Großgrundbesitzer mit über 100 ha Land enteignet. Voraussetzung der Maßnahme ist insoweit ausschließlich und ohne Rücksicht auf die individuelle politische Gesinnung der Umfang des Grundeigentums.
Diese Unterscheidung versucht die Revision für irrelevant zu erklären unter Berufung auf die Aussage in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 der Bodenreformverordnung, die Bodenreform solle die Liquidierung des feudalen, junkerlichen und Großgrundbesitzes gewährleisten und der Herrschaft der Junker und Großgrundbesitzer ein Ende bereiten, da diese Herrschaft immer ein Hauptpfeiler der Reaktion und des Faschismus und eine Hauptquelle der Aggression und der Eroberungskriege gewesen sei. Dieser Satz darf jedoch, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat, nicht isoliert gesehen werden. Er muss vielmehr in den Zusammenhang der übrigen Aussagen der Verordnung über die Ziele der Bodenreform gestellt werden. So heißt es in der Präambel, die Verordnung werde erlassen, um den Forderungen der werktätigen Bauern auf gerechte Verteilung des Bodens und zur Liquidierung des Großgrundbesitzes der Junker, Feudalherren, Fürsten und Grundbesitzer in Deutschland nachzukommen, und zwecks Zuteilung des Bodens an die landlosen und landarmen Bauern sowie auch an die deutschen Bauern, die aus anderen Gebieten umsiedeln. Schon hier stehen die Verteilung des Bodens und seine Zuteilung an die ländliche Bevölkerung im Vordergrund. Dieses gesellschaftspolitische Ziel nimmt der 3. Satz des Art. 1 Abs. 1 auf, der sich unmittelbar an den von der Revision zitierten Satz anschließt: Die Bodenreform solle den jahrhundertealten Traum der landlosen und landarmen Bauern auf Übergabe des Gutslandes in ihr Eigentum verwirklichen. Näher bestimmt wird der Zweck der Verordnung in Abs. 2 des Art. 1, wo u.a. die Vergrößerung der Ackerfläche der bereits bestehenden Bauernhöfe, die weniger als 5 ha besitzen, die Schaffung neuer selbständiger Bauernhöfe sowie die Zuteilung von Land an Umsiedler und Flüchtlinge, die als Folge der räuberischen Kriegspolitik Hitlers Haus und Hof verloren haben, als konkrete Ziele der Bodenreform festgehalten werden. Diese auf eine Änderung der Bodenordnung ausgerichteten Regelungen rechtfertigen den Schluss des Tatsachengerichts, dass zumindest die allein am Umfang ihres Grundvermögens orientierte Enteignung der Großgrundbesitzer, zu denen der Großvater des Klägers gehörte, primär der Landbeschaffung zur Errichtung einer flächendeckenden kleinbäuerlichen Bewirtschaftungsstruktur diente und keinen Sanktionscharakter hatte.
Zu Unrecht beruft sich der Kläger demgegenüber auf die Gesetzesmaterialien zum Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Zwar ist dort im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG von den Enteignungen im Rahmen der Bodenreform die Rede (vgl. BTDrucks 12/4994 S. 23). Die Regelung wird jedoch ausdrücklich als Ergänzung zu § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG bezeichnet. Beide Bestimmungen zusammen hätten die Aufgabe, zwei große Enteignungsaktionen aus dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes und des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auszuschließen, die Industrieenteignungen und die Landenteignungen im Rahmen der sog. Bodenreform. Die parallele Erwähnung von Vermögensgesetz und Verwaltungsrechtlichem Rehabilitierungsgesetz zeigt, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, jede Rückgängigmachung der auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgten Enteignungen auszuschließen. Eine generelle Zuordnung der Bodenreformenteignungen allein zur Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung kann darin nicht gesehen werden.
Dem Kläger kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Zuordnung der Enteignungen von Großgrundbesitz über 100 ha zum Vermögensgesetz den Gleichheitssatz verletze. Im Hinblick auf die Vermögensrückgabe vermittelt das Vermögensgesetz keine schlechtere Rechtsposition als das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (vgl. § 7 VwRehaG). Allein die Tatsache, dass der Vater des Klägers im Restitutionsverfahren das nunmehr vom Kläger behauptete sowjetische Enteignungsverbot nicht geltend gemacht hat und den ablehnenden Bescheid hat bestandskräftig werden lassen, hindert jetzt die Rechtsverfolgung nach dem Vermögensgesetz. Eine Verletzung von Art. 3 GG oder eines anderen Grundrechts kann darin nicht gesehen werden.
Die vorstehend vertretene Ansicht entspricht im Übrigen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar hat der erkennende Senat im Beschluss vom 11. April 2002 – BVerwG 3 B 16.01 – (Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 6 = VIZ 2002, 461) offengelassen, ob Bodenreformenteignungen über 100 ha dem Vermögensgesetz oder dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zuzuordnen sind. Später hat jedoch der 8. Senat die Enteignung eines Gutes von über 300 ha im Rahmen der Bodenreform trotz eines sowjetischen Enteignungsverbots dem Vermögensgesetz unterworfen, ohne die Frage der Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auch nur zu erwähnen (Urteil vom 24. September 2003 – BVerwG 8 C 27.02 – BVerwGE 119, 82 ≪84≫).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Prof. Dr. Rennert
RiBVerwG Liebler ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Kley
Fundstellen
Haufe-Index 1759176 |
DVBl. 2007, 980 |