Entscheidungsstichwort (Thema)
Lernmittel, besondere – für Schüler. Musikunterricht, einmalige Sozialhilfeleistungen für Lernmittel in freiwilligen schulischen Arbeitsgemeinschaften. Schüler, besondere Lernmittel für –. Schulunterricht, Lernmittel für Teilnahme an freiwilligen schulischen Arbeitsgemeinschaften aus Sozialhilfemitteln. Sozialhilfe, einmalige Leistungen der – für Teilnahme an freiwilligen schulischen Arbeitsgemeinschaften
Leitsatz (amtlich)
Für die Beschaffung von Unterrichts- und Übungsmaterial zur Teilnahme an einer freiwilligen schulischen Arbeitsgemeinschaft (hier: Blockflöten-Arbeitsgemeinschaft) können grundsätzlich keine einmaligen Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden.
Normenkette
BSHG § 12 Abs. 1-2, § 21 Abs. 1, 1a Nr. 3; Regelsatzverordnung § 1 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 12.07.1995; Aktenzeichen 4 L 6365/94) |
VG Hannover (Gerichtsbescheid vom 17.08.1994; Aktenzeichen 3 A 1273/94) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Juli 1995 wird aufgehoben, soweit der Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hannover vom 17. August 1994 stattgegeben worden ist.
Die Berufung der Klägerin wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die Klägerin erhielt von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Anläßlich ihrer Versetzung in die 5. Klasse einer Gesamtschule beantragte sie eine einmalige Beihilfe in Höhe von 226,35 DM für die Anschaffung diverser Gegenstände für den Schulbesuch sowie einer Blockflöte nebst Blockflötenarbeitsheften für die Teilnahme an einer von der Schule auf freiwilliger Basis angebotenen Blockflöten-Arbeitsgemeinschaft.
Der gegen die Ablehnung des Antrags eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12. April 1994 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im übrigen verpflichtet, der Klägerin eine einmalige Beihilfe für die Anschaffung der Blockflöte zu gewähren. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung im übrigen verpflichtet, zusätzlich eine einmalige Leistung für die Beschaffung von Unterrichtsheften für das Blockflötenspiel in Höhe von 110,70 DM zu gewähren. Dies ist im wesentlichen wie folgt begründet:
Arbeitsmaterialien und Lernmittel, über die ein Schüler, der aus der Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen stamme, üblicherweise verfüge bzw. deren Vorhandensein von der Schule als erforderlich angesehen werde, gehörten zum notwendigen Lebensunterhalt eines Schülers. Nicht von den Regelsätzen erfaßt, sondern mit einmaligen Leistungen zu decken seien der Bedarf von Schülern an besonderen Lernmitteln gemäß § 21 Abs. 1a Nr. 1 bzw. Nr. 3 BSHG und der Bedarf an Lern- und Arbeitsmaterialien, soweit er nicht zu einer der in § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung genannten Bedarfsgruppen gehöre wie etwa zu den “persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens”. Zu berücksichtigen sei die Vorschrift des § 12 Abs. 2 BSHG, wonach der notwendige Lebensunterhalt bei Kindern und Jugendlichen auch den besonderen, vor allem den durch das Wachstum bedingten Bedarf umfasse. Vor diesem Hintergrund sei nicht nur für die Blockflöte, sondern auch für die Musikunterrichtshefte eine einmalige Beihilfe zu gewähren.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte Verletzung von §§ 11, 12 in Verbindung mit § 2 BSHG.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht stützt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), indem der Klägerin ein Anspruch auf eine einmalige Sozialhilfeleistung durch Übernahme der Kosten der Beschaffung von Blockflötenunterrichts- und -übungsmaterial zugesprochen worden ist.
Auch wenn diese Kosten zum notwendigen Lebensunterhalt der Klägerin im Sinne des § 12 BSHG gehören mögen, so fallen sie doch nicht unter den Bedarf, der durch einmalige Leistungen zu decken ist. Die Teilnahme an dem Blockflötenunterricht im Rahmen einer von der Schule neben dem regulären Unterricht angebotenen Arbeitsgemeinschaft ist, wie das Oberverwaltungsgericht für das Revisionsgericht verbindlich (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt hat (S. 14 des Berufungsurteils), der Klägerin freigestellt. Der Bedarf an Unterrichtsmaterial, der durch den Besuch dieser von der Schule der Klägerin angebotenen Veranstaltung bedingt ist, unterfiele der Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens, zu denen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG auch eine Teilnahme am kulturellen Leben gehört und für die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Regelsatzverordnung nach Regelsätzen bemessene laufende Leistungen zu gewähren sind; der vom Gesetzeswortlaut offen und weit umschriebene Bedarfsrahmen läßt hier Raum für die persönliche Entscheidung des einzelnen Hilfeempfängers, diese Leistungen nach seinen Bedürfnissen und Neigungen zu verteilen (vgl. BVerwGE 92, 106 ≪107 f.≫). Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts folgt aus der Hervorhebung des besonderen Bedarfs bei Kindern und Jugendlichen in § 12 Abs. 2 BSHG nicht, daß ein solcher Bedarf nicht in einer der in § 12 Abs. 1 BSHG genannten Bedarfsgruppen entstehen könne (vgl. dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage in Sachen BVerwG 5 C 33.95 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen –). Damit aber scheiden einmalige Leistungen im Sinne von § 21 Abs. 1 BSHG insoweit grundsätzlich aus.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich das Begehren der Klägerin nicht auf die durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 – FKPG – (BGBl I S. 944) getroffene Regelung des § 21 Abs. 1a Nr. 3 BSHG stützen, wonach einmalige Leistungen insbesondere zur Beschaffung von besonderen Lernmitteln für Schüler gewährt werden. Ob die hier in Rede stehenden Unterrichtsmaterialien “besondere Lernmittel” im Sinne dieser Vorschrift sind, mag offenbleiben; jedenfalls handelt es sich nicht um besondere Lernmittel “für Schüler”.
Mit diesem Merkmal bezeichnet das Gesetz nur solche Lernmittel, die der Schüler funktionsgebunden an den Schulunterricht braucht. Entscheidend für die konkrete Zuordnung zum Schulunterricht sind die Lerninhalte, die an der Schule, die der Hilfesuchende besucht, vorgegeben sind. Dazu gehören auch die Lerninhalte der Wahlpflichtfächer, also solcher Fächer, aus denen sich der Schüler eines auwählen kann, an dessen Unterricht er dann aber teilnehmen muß. Auch Lernmittel zum Musikunterricht in der Schule (z.B. Liederbücher) gehören für die Schüler, die den Musikunterricht besuchen, zu den “Lernmitteln für Schüler”. Damit ist gewährleistet, daß der hilfebedürftige Schüler seine Schule mit den dort vorgegebenen Lerninhalten und den dafür erforderlichen Lernmitteln ohne Beeinträchtigung im Verhältnis zu den nicht hilfebedürftigen Mitschülern besuchen kann.
Nicht zu den Lernmitteln für Schüler im Sinne des § 21 Abs. 1a Nr. 3 BSHG zählen dagegen die Lernmittel, die ein Schüler für eine von der Schule angebotene, freiwillige Arbeitsgemeinschaft braucht. Solche Arbeitsgemeinschaften gehen ihrem Wesen nach gerade über das eigentliche schulische Unterrichtsprogramm hinaus. Mit ihnen will die Schule ihren Schülern zusätzliche Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, wie sie auch außerhalb der Schule von Privatlehrern, in Chören oder Orchestern und auch in kommunalen Musikschulen angeboten werden. Während beispielsweise eine an die Stelle des Unterrichts in der Schule tretende Klassenfahrt mit ihrer pädagogischen, auf das soziale Verhalten im Klassenverband gerichteten Zielsetzung, die die Teilnahme möglichst aller Schüler einer Klasse voraussetzt, eine schulische Gemeinschaftsveranstaltung ist (vgl. BVerwGE 97, 376 ≪378≫), werden mit freiwilligen Arbeitsgemeinschaften, die den Unterricht in der Schule nicht ersetzen, sondern zu ihm hinzutreten, nur besondere Interessen und eine begrenzte Zahl interessierter Schüler angesprochen. Die Teilnahme an einer solchen Arbeitsgemeinschaft ist uneingeschränkt freiwillig. Will der Schüler daran teilnehmen, entsteht ihm der dafür erforderliche Bedarf nicht als schulischer, d.h. durch den Schulbesuch bedingter Bedarf, vielmehr ist er dem durch freie persönliche Entscheidung bedingten Bedarfsbereich zuzuordnen.
Das Oberverwaltungsgericht hätte daher die Berufung der Klägerin insgesamt zurückweisen müssen. Da dies nicht geschehen ist, muß das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Berufung der Klägerin auch im übrigen zurückgewiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen