Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenheim. Nutzungsrecht am volkseigenen Grundstück. selbständiges Gebäudeeigentum. Erbfall. Entzug des Nutzungsrechts. Enteignung. unlautere Machenschaften
Leitsatz (amtlich)
Ein vermögensrechtlicher Schädigungstatbestand ist in der Regel nicht erfüllt, wenn das Nutzungsrecht an einem mit einem Eigenheim bebauten volkseigenen Grundstück entzogen wurde, weil der Rechtsinhaber das Eigenheim nicht dem gesetzlichen Zweck des Gebäudeeigentums entsprechend selbst bewohnte.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a, b, Abs. 3
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Urteil vom 20.12.1995; Aktenzeichen 2 K 125/93) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 20. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin, die im Jahre 1954 nach einer mehrjährigen Haft aus der DDR geflohen war, begehrt die Rückgabe eines in K. gelegenen Grundstücks, hilfsweise des darauf errichteten Gebäudes nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG).
Im Jahre 1940 schlössen die Eltern der Klägerin mit der Gemeinnützigen Kriegersiedlung der National-Sozialistischen Kriegsopferversorgung GmbH in Berlin einen Vertrag über die Errichtung eines Siedlungshauses auf dem Grundstück. Sie bezogen das errichtete Gebäude und zahlten auf den vereinbarten Kaufpreis in Höhe von insgesamt 11.150 Mark einen Teilbetrag von 2.224,92 Mark.
Nach dem 8. Mai 1945 wurde das Grundstück auf der Grundlage des Befehls Nr. 126 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) betreffend die Konfiszierung des Vermögens der NSDAP in Volkseigentum überführt.
Mit notariellem Vertrag vom 3. Januar 1957 kauften die Eltern der Klägerin auf der Grundlage des Gesetzes über den Verkauf volkseigener Eigenheime und Siedlungshäuser vom 15. September 1954 (GBl DDR I S. 784) vom Rat des Kreises K. das Siedlungshaus zu einem Preis von 11.150 Mark. Auf diesen Kaufpreis wurde der Wert des in Volkseigentum übergegangenen Grundstücks mit 574 Mark sowie die von den Eltern der Klägerin nach 1940 geleistete Zahlung von 2.224,92 Mark angerechnet. Mit Urkunde vom 31. Juli 1957 verlieh der Rat des Kreises den Eltern der Klägerin ein Nutzungsrecht an dem volkseigenen Grundstück.
Im Jahre 1971 übersiedelte die mittlerweile verwitwete Mutter der Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland und beauftragte die Beigeladene, die mit ihr verwandt war und das Siedlungshaus bereits seit längerer Zeit selbst bewohnte, das Grundstück für sie zu verwalten. Im Jahre 1974 verstarb die Mutter der Klägerin und wurde von der Klägerin beerbt. Auch die Klägerin erteilte der Beigeladenen zu 1 eine Vollmacht zur Verwaltung des Grundstücks.
Im Jahre 1975 forderte der Rat des Kreises die Beigeladene wiederholt auf, sich bei der Klägerin um einen Kauf des Siedlungshauses zu bemühen. Da der Kauf nicht zustandekam, hob der Rat des Kreises mit Bescheid vom 21. Januar 1976, den er an die Klägerin z.Hd. der Beigeladenen richtete, das Nutzungsrecht an dem volkseigenen Grundstück mit Wirkung auf den Zeitpunkt des Todes der Mutter der Klägerin auf und stellte den Übergang des Gebäudes in das Eigentum des Volkes zum 1. Januar 1976 fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei entgegen den Vorschriften des Gesetzes über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken vom 14. Dezember 1970 (GBl DDR I S. 372) – NRG – weder Bürger der DDR noch nutze sie das Eigenheim für ihre persönlichen Wohnbedürfnisse.
Am 9. Juli 1976 verkaufte der VEB Gebäudewirtschaft K. das Siedlungshaus an die Beigeladene und ihren Ehemann, den Beigeladenen, zum Preis von 7.689 Mark. Der Rat des Kreises verlieh den Beigeladenen ein Nutzungsrecht an dem volkseigenen Grundstück und sprach der Klägerin eine Entschädigung für den Verlust des Gebäudeeigentums in Höhe von 7.689 Mark zu. Über diesen Betrag wurde zugunsten der Klägerin eine Schuldbuchforderung bei der Staatsbank der DDR begründet.
Mit notariellem Vertrag vom 28. Juni 1990 kauften die Beigeladenen vom Rat der Stadt K. auch das Grundstück zum Preis von 820 Mark.
Den im Jahre 1990 gestellten Rückübertragungsantrag der Klägerin lehnte der Rechtsvorgänger des Beklagten, der frühere Landkreis K., mit Bescheid vom 7. November 1991 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Eigentumswechsel im Jahre 1976 habe den in der ehemaligen DDR geltenden Rechtsvorschriften entsprochen. Zudem sei zugunsten der Klägerin eine Entschädigung festgesetzt worden. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß die Beigeladenen den zurückverlangten Vermögenswert redlich erworben hätten.
Die Klägerin hat nach erfolglosem Widerspruch Klage erhoben, mit der sie in erster Linie die Rückübertragung des Eigentums an dem in Rede stehenden Grundstück beantragt hat. Hilfsweise hat sie die Rückübertragung des Eigentums an dem Gebäude begehrt; weiter hilfsweise hat sie die Gewährung einer Entschädigung nach dem Vermögensgesetz beansprucht.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Dezember 1995 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Klägerin stehe weder ein Rückübertragungs- noch ein Entschädigungsanspruch zu, weil sich nicht feststellen lasse, daß ein ihren Eltern oder ihr selbst zustehender Vermögenswert einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 VermG ausgesetzt gewesen sei. Nach dem Inhalt des Grundbuchs hätten die Eltern der Klägerin aufgrund des von ihnen im Jahre 1940 geschlossenen Siedlungsvertrages weder das Eigentum an dem umstrittenen Grundstück noch ein entsprechendes Anwartschaftsrecht erworben; infolgedessen seien sie durch die Enteignung des Grundstücks nach dem 8. Mai 1945 nicht geschädigt worden. Abgesehen davon beruhe die Enteignung des Grundstücks auf besatzungshoheitlicher Grundlage, so daß eine Rückgabe auch nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossen sei. Ebensowenig sei der Klägerin mit der Aufhebung des Nutzungsrechts an dem volkseigenen Grundstück im Jahre 1976 und den nachfolgenden Verwaltungsentscheidungen ein Vermögenswert im Sinne des Vermögensgesetzes entzogen worden. Denn die Klägerin sei nach den in der ehemaligen DDR geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich des ihren Eltern verliehenen Nutzungsrechts und des zugehörigen Gebäudeeigentums niemals Erbin geworden. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 NRG habe das Nutzungsrecht nur dann auf den Erben übergehen können, wenn er die Staatsbürgerschaft der DDR besessen habe, nicht Eigentümer eines anderen Eigenheims gewesen sei und das zum Nachlaß gehörende Eigenheim für seine persönlichen Zwecke habe nutzen wollen. Die Klägerin habe zumindest zwei dieser Voraussetzungen nicht erfüllt. Sie sei nämlich zum Zeitpunkt des Erbfalls weder DDR-Staatsbürgerin gewesen, noch sei für sie eine persönliche Wohnnutzung in Betracht gekommen. Der Umstand, daß der Rat des Kreises K. der Klägerin das Nutzungsrecht und das Gebäudeeigentum entzogen habe, nachdem er sie auf dem Umweg über die Beigeladene vergeblich zur Herbeiführung der bestimmungsgemäßen Nutzung aufgefordert habe, ändere nichts daran, daß sie nach den Bestimmungen des Nutzungsrechtsgesetzes vom 14. Dezember 1970 nicht Erbin geworden sei. Infolgedessen komme es auch nicht darauf an, ob die Beigeladenen den für die Klägerin bestimmten Schriftverkehr unterdrückt und sich unlauter verhalten hätten, weil ihr Verhalten für den Verlust des Vermögenswerts nicht habe ursächlich werden können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiterverfolgt. Sie macht geltend: Das Verwaltungsgericht habe die Verfahrensvorschrift des § 117 Abs. 4 VwGO verletzt. Es sei nicht ersichtlich, warum das Urteil nicht innerhalb der für den Normalfall vorgesehenen Frist von zwei Wochen nach Verkündung vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle übergeben worden sei. Das Urteil sei auch materiell fehlerhaft. Da ihre Eltern im Jahre 1940 einen Siedlungsvertrag geschlossen und hierauf Zahlungen geleistet hätten, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß sie das Eigentum oder eine dingliche Berechtigung an dem Grundstück erworben hätten. Die Enteignung des Grundstücks nach dem 8. Mai 1945 sei rechtswidrig gewesen, weil es nicht zum Vermögen der NSDAP gehört habe. Jedenfalls hätten die Rechte, die ihre Eltern an dem Grundstück besessen hätten, nicht beeinträchtigt werden dürfen. Die Rückgabe des Gebäudes werde nicht durch die Bestimmungen des Nutzungsrechtsgesetzes vom 14. Dezember 1970 ausgeschlossen. Ihre Flucht aus der DDR, die zum rückwirkenden Entzug der DDR-Staatsbürgerschaft geführt habe, und ihre fehlende Bereitschaft, das ererbte Gebäude selbst zu bewohnen, dürften ihr heute nicht entgegengehalten werden. Sie sei durch die Enteignung des Gebäudes im Jahre 1976 ein weiteres Mal politisch verfolgt worden. Das ergebe sich schon daraus, daß ihre Mutter im Jahre 1971 die DDR verlassen habe, ohne daß die Behörden hieraus irgendwelche eigentumsrechtlichen Konsequenzen gezogen hätten. Erst der Erbfall im Jahre 1974 habe zu Verfolgungsmaßnahmen gegen sie geführt. Das Haus und das Grundstück seien in unverantwortlicher und rechtswidriger Weise an die Beigeladenen verschleudert worden, nachdem die Beigeladene ihre Vertrauensstellung zum eigenen Vorteil mißbraucht habe.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage ohne Verletzung von Bundesrecht abgewiesen.
1. Die auf § 117 Abs. 4 VwGO gestützte Verfahrensrüge der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Nach dieser Vorschrift muß ein bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil binnen zwei Wochen vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle übergeben werden (Satz 1); kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, sind die Entscheidungsgründe alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben (Satz 2). Zwar ist davon auszugehen, daß das Verwaltungsgericht diesen strengen zeitlichen Vorgaben für die Urteilsabfassung nicht gerecht geworden ist. Jedoch kann das mit der Verkündung im Ergebnis bereits feststehende Urteil nur dann auf der Verletzung des § 117 Abs. 4 VwGO beruhen, wenn der zeitliche Zusammenhang zwischen der Beratung und Verkündung des Urteils einerseits und der Niederlegung, Unterzeichnung und Übergabe der Entscheidungsgründe andererseits so weit gelockert ist, daß in Anbetracht des nachlassenden Erinnerungsvermögens der Richter die Übereinstimmung zwischen den in das Urteil aufgenommenen und den für die richterliche Überzeugung tatsächlich leitend gewesenen Entscheidungsgründen nicht mehr gewährleistet erscheint (vgl. BVerwG, Beschluß vom 15. September 1995 – BVerwG 4 B 173.95 –, DVBl 1996, 106). In einem solchen Fall gelten die in das Urteil aufgenommenen Entscheidungsgründe als nicht geschrieben und das Urteil als „nicht mit Gründen versehen”, so daß es nach § 138 Nr. 6 VwGO insgesamt als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist. Diese äußerste zeitliche Grenze für die Übergabe der Entscheidungsgründe an die Geschäftsstelle ist indes erst dann überschritten, wenn zwischen der Verkündung des Urteils und der Übergabe ein Zeitraum von mehr als fünf Monaten liegt (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats vom 27. April 1993 – GmS OGB 1/92 –, BVerwGE 92, 367). Im vorliegenden Fall ist das Urteil am 20. Dezember 1995 verkündet und am 4. April 1996 vollständig abgefaßt an die Verfahrensbeteiligten abgesandt worden. Die für seinen Bestand maßgebliche Fünfmonatsfrist ist mithin gewahrt.
2. Der Klägerin stehen die mit der Klage geltend gemachten Rückübertragungsansprüche nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht verneint, daß die gesetzlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs – Entzug eines dem Vermögensgesetz unterfallenden Vermögenswerts durch eine der in § 1 VermG genannten Schädigungsmaßnahmen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG) – vorliegen.
a) Die Klägerin kann nicht als Rechtsnachfolgerin ihrer Eltern die Rückübertragung des nach dem 8. Mai 1945 entschädigungslos entzogenen Eigentums an dem umstrittenen Grundstück verlangen. Ein solcher Anspruch der Klägerin scheidet schon deswegen aus, weil ihre Eltern nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen aufgrund des im Jahre 1940 geschlossenen Siedlungsvertrages weder das Eigentum an dem Grundstück noch ein entsprechendes Anwartschaftsrecht erworben haben. Vielmehr besaßen sie zum Enteignungszeitpunkt allenfalls einen nicht erfüllten Anspruch auf Übereignung des Grundstücks, der nicht zu den in § 2 Abs. 2 VermG genannten Vermögenswerten gehört (vgl. Urteil vom 27. Februar 1997 – BVerwG 7 C 22.96 –, VIZ 1997, 351). Die gegen diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts gerichtete Verfahrensrüge der Klägerin ist nicht begründet; entgegen ihrer Annahme begründet die teilweise Entrichtung des vereinbarten Kaufpreises keine Vermutung für den dinglichen Vollzug des Grundstückskaufvertrags. Demnach ist im angefochtenen Urteil für das Revisionsgericht verbindlich festgestellt (§ 137 Abs. 2 VwGO), daß den Eltern der Klägerin durch die Enteignung des Grundstücks kein dem Vermögensgesetz unterfallender Vermögenswert entzogen wurde. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre die Enteignung nicht vom Vermögensgesetz erfaßt, weil sie auf dem SMAD-Befehl Nr. 126 über die Enteignung von nationalsozialistischem Vermögen und damit auf besatzungsrechtlicher Grundlage beruhte (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG).
b) Die Klägerin hat ferner keinen Anspruch auf Rückübertragung des von ihren Eltern im Jahre 1957 erworbenen Eigentums am Gebäude.
Das Verwaltungsgericht hat auch diesen Anspruch der Klägerin mangels eines ihr zustehenden Vermögenswerts im Sinne von § 2 Abs. 2 VermG verneint; nach seiner Ansicht ist das Nutzungsrecht am volkseigenen Grundstück und damit auch das zugehörige Gebäudeeigentum mit dem Tod der Mutter nicht auf die Klägerin als deren Alleinerbin übergegangen, weil sie entgegen den Anforderungen des Nutzungsrechtsgesetzes vom 14. Dezember 1970 weder Staatsbürgerin der DDR gewesen sei noch das Grundstück selbst zu Wohnzwecken habe nutzen wollen. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 NRG ging das Nutzungsrecht am volkseigenen Grundstück nur dann auf den Erben über, wenn dieser Bürger der DDR und nicht Eigentümer eines anderen Eigenheims war und wenn das Eigenheim seinen persönlichen Wohnbedürfnissen dienen sollte. Obgleich diese Bestimmung den Rechtserwerb des Erben ausdrücklich von bestimmten, von der Klägerin nicht erfüllten persönlichen Voraussetzungen abhängig machte, ist die vom Verwaltungsgericht gezogene Schlußfolgerung deswegen nicht frei von Bedenken, weil in Nr. 10.2 der Hinweise und Erläuterungen des Ministeriums der Finanzen der DDR vom 4. Juni 1971 zur Durchführung des Gesetzes vom 14. Dezember 1970 über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken (abgedruckt bei Escher, Die Vererbung von Eigenheimen auf ehemals volkseigenen Grundstücken, Berlin 1997, S. 343 ff.) eine besondere Feststellung des Nichtübergangs des Nutzungsrechts im Erbfall durch den Rat des Kreises vorgesehen war. Vor einer derartigen Feststellung sollten nach Nr. 8.1 dieser Vorschriften die Erben veranlaßt werden, die Nutzungsverhältnisse entsprechend den Grundsätzen des Nutzungsrechtsgesetzes zu regeln, indem sie das Gebäude an einen Miterben oder einen anderen Bürger veräußerten, der die persönlichen Voraussetzungen für den Erwerb des Nutzungsrechts erfüllte. Die Rechtspraxis der DDR ging mithin davon aus, daß das mit dem Nutzungsrecht verbundene Gebäudeeigentum auch dann den Erben – wenngleich nur vorläufig – zufiel, wenn diese den Anforderungen des Nutzungsrechtsgesetzes vom 14. Dezember 1970 nicht genügten; denn andernfalls hätten die Erben nicht zugunsten eines geeigneten Erwerbers über das Gebäudeeigentum verfügen können. Erst wenn sich die Rechtsverhältnisse nicht in dieser Weise bereinigen ließen, sollte durch Verwaltungsakt der Nichtübergang des Nutzungsrechts festgestellt werden, der nach § 6 Abs. 2 NRG in Verbindung mit §§ 93, 94 BGB, § 295 ZGB das Erlöschen des selbständigen Gebäudeeigentums bewirkte. Dementsprechend ist auch im vorliegenden Fall das Nutzungsrecht erst entzogen worden, nachdem der vom Rat des Kreises angeregte Verkauf des Gebäudes durch die Klägerin an die Beigeladenen nicht zustandegekommen war.
Gleichwohl kann die Klägerin nicht die Rückübertragung dieses Gebäudes verlangen, weil sie keiner Schädigungsmaßnahme gemäß § 1 VermG ausgesetzt war.
Das Gebäude ist durch den Entzug des Nutzungsrechts mit Bescheid vom 21. Januar 1976 und die nachfolgende Veräußerung an die Beigeladenen nicht im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG entschädigungslos enteignet worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 28. Juni 1996 – BVerwG 7 C 8.95 –, Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 84 m.w.N.) liegt eine solche Enteignung – unabhängig von der Frage nach der Entschädigung – immer dann nicht vor, wenn der Entzug des Eigentums lediglich eine Bindung konkretisierte, die dem Vermögenswert aufgrund seiner inhaltlichen Ausgestaltung durch das einschlägige Recht von vornherein innewohnte. Dies hat der Senat namentlich für den Entzug des Bodenreformeigentums nach Aufgabe der Bodenreformwirtschaft angenommen und aus der gesetzlichen Pflicht des Eigentümers hergeleitet, das ihm vom Staat zugewiesene Land entsprechend den Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik zu nutzen. Verletzte der Eigentümer diese Pflicht, so trug der an die Verletzung anknüpfende Eigentumsentzug nur den immanenten Grenzen des Bodenreformeigentums Rechnung und stellt sich daher nicht als eine Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG dar. Diese Beurteilung läßt sich auf das mit einem Nutzungsrecht am volkseigenen Grundstück verbundene selbständige Gebäudeeigentum übertragen. Denn auch dieses Eigentum war in der Weise inhaltlich beschränkt, daß es der Befriedigung bestimmter persönlicher Bedürfnisse von Bürgern der DDR, nämlich – bei Eigenheimen – der persönlichen Wohnnutzung dienen sollte (vgl. § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2 NRG). Rechtliches Instrument zur Durchsetzung dieser Zweckbindung war das Nutzungsrecht. Fehlte es an der bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung, so konnte das Nutzungsrecht gemäß § 6 Abs. 2 NRG entzogen werden, womit zugleich auch gemäß §§ 93, 94 BGB, § 290 Abs. 2 ZGB das selbständige Gebäudeeigentum erlosch. Ein solcher Entzug hat hier mit Bescheid vom 21. Januar 1976 zu Lasten der Klägerin stattgefunden. Da er an den Umstand anknüpfte, daß die Klägerin das Grundstück nicht, wie es das Nutzungsrechtsgesetz vom 14. Dezember 1970 dem Zweck des selbständigen Gebäudeeigentums entsprechend vorschrieb, als Bürgerin der DDR selbst zu Wohnzwecken nutzte, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG nicht erfüllt. Aus demselben Grunde läßt sich auch die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG (Enteignung gegen eine diskrimierend niedrige Entschädigung) nicht anwenden, ganz abgesehen davon, daß nach dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt nichts dafür erkennbar ist, daß die Klägerin bei der Festsetzung der ihr nach § 6 Abs. 2 Satz 2 NRG zustehenden Entschädigung anders als ein vergleichbarer Bürger der DDR behandelt wurde.
Die Klägerin ist auch nicht nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1974 das Opfer von unlauteren Machenschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG geworden. Die gegen sie ergriffenen, auf die Beendigung des privaten Gebäudeeigentums gerichteten Maßnahmen waren nicht unlauter, weil der Verlust dieses Eigentums aus den dargelegten Gründen der Rechtslage in der DDR entsprach. Demgemäß hat der Senat mit Urteil vom 29. August 1996 – BVerwG 7 C 38.95 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 86) entschieden, daß das behördliche Verlangen, vor der ständigen Ausreise aus der DDR das unter Inanspruchnahme eines Nutzungsrechts auf einem volkseigenen Grundstück errichtete Eigenheim zu veräußern, nicht den Tatbestand einer unlauteren Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG erfüllt, weil ein solches Verlangen nicht sachwidrige Bedingung für die Ausreise war, sondern der damaligen Rechtslage, nämlich der Pflicht des Gebäudeeigentümers zur persönlichen Nutzung des Grundstücks, Rechnung trug. Für den Erlaß des Bescheids vom 21. Januar 1976 und die nachfolgende Veräußerung des Gebäudes an die Beigeladenen gilt nichts anderes. Allerdings weicht der Bescheid vom 21. Januar 1976 insofern von den in der DDR geltenden Vorschriften ab, als darin nicht, wie dies in den zuvor genannten Hinweisen und Erläuterungen des Finanzministeriums der DDR vom 4. Juni 1971 für den Erbfall vorgesehen war, der Nichtübergang des verliehenen Nutzungsrechts festgestellt, sondern das Nutzungsrecht entzogen worden ist. Allein aus dieser Abweichung kann jedoch keine unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG hergeleitet werden, weil die Feststellung des Nichtübergangs des Nutzungsrechts dessen Entzug nach Voraussetzungen und Folgen gleichkam. Ebensowenig läßt sich die Anwendung des § 1 Abs. 3 VermG damit begründen, daß der Rat des Kreises die Beigeladene – möglicherweise – zu Unrecht als zur Entgegennahme des Bescheids vom 21. Januar 1976 bevollmächtigt angesehen hat. Denn die unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG muß gerade im Zugriff auf das Vermögen selbst liegen; die bloße Verletzung von Bekanntgabevorschriften reicht zur Annahme dieses Schädigungstatbestandes nicht aus (Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 49.94 –, Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 67).
Da die Klägerin nicht Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes ist, steht ihr in bezug auf Grundstück oder Gebäude auch keine Entschädigung nach dem Entschädigungs- oder Ausgleichsleistungsgesetz zu (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG, § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franßen, Dr. Bardenhewer, Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley ist wegen Urlaubs gehindert zu unterzeichnen. Dr. Franßen, Herbert, Dr. Brunn
Fundstellen
Haufe-Index 1210943 |
ZAP-Ost 1998, 101 |