Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabesatz. Abwasserabgabe. Abwasserabgabesatz. Bestimmtheitsgebot. allgemein anerkannte Regeln der Technik. Ermäßigung des Abgabesatzes. Rechtsfolgenverweisung. Rechtsgrundverweisung
Leitsatz (amtlich)
Bei Schadstoffen, an die keine Anforderungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes gestellt werden, setzt die Ermäßigung des Abgabesatzes gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Abwasserabgabengesetz u.a. voraus, daß die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die (auch) zu einer Verringerung dieses Schadstoffs im Abwasser führen, eingehalten werden.
Normenkette
AbwAG 1991 § 9 Abs. 5 Sätze 4, 1; WHG 1987 § 7a Abs. 1 Sätze 1, 3; Rahmen-AbwasserVwV 1989 Anhang 1 Nr. 2.1
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 13.03.1997; Aktenzeichen 3 L 4670/95) |
VG Oldenburg (Entscheidung vom 06.06.1995; Aktenzeichen 2 A 1807/93) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die klagende Gemeinde betreibt u.a. die Kläranlage W. der Größenklasse 3 im Sinne der Allgemeinen Rahmen-Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Rahmen-AbwasserVwV) vom 8. September 1989 (GMBl S. 518). Sie erklärte gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG für das Jahr 1991 Überwachungswerte von 130 mg/l Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB), 10 mg/l Phosphor (P) und 60 mg/l Stickstoff (N, Summe NH4-N, NO3-N und NO2-N). Bei den im Rahmen der staatlichen Gewässerüberwachung im Jahre 1991 durchgeführten fünf Messungen der Abwassereinleitungen aus dem Klärwerk wurde der in Ziff. 2.1 der Rahmen-AbwasserVwV festgesetzte Grenzwert für den Chemischen Sauerstoffbedarf von 90 mg/l viermal überschritten. Der für den Schadstoff Ammoniumstickstoff (NH4-N) geltende Wert von 10 mg/l wurde bei allen Messungen überschritten. Das Abwasser enthielt bei den Messungen zwischen 37 mg/l und 78 mg/l Stickstoff und zwischen 2,2 mg/l und 7 mg/l Phosphor.
Mit Bescheid vom 3. Februar 1992 zog der beklagte Landkreis die Klägerin für das Jahr 1991 zu einer Abwasserabgabe von insgesamt 285 797,88 DM heran. Der Abgabeberechnung legte er je Schadeinheit für Phosphor einen Abgabesatz von 50 DM und für Stickstoff einen Abgabesatz von 12,50 DM zugrunde. Nachdem die Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt hatte, änderte ihn der Beklagte mit Bescheid vom 31. März 1992, indem er die Abwasserabgabe auf 357 612,48 DM erhöhte. Dies begründete er damit, daß auch für Stickstoff ein Abgabesatz von 50 DM je Schadeinheit zugrunde zu legen sei. Die Klägerin teilte daraufhin dem Beklagten mit, daß ihr Widerspruch sich auch gegen den Änderungsbescheid vom 31. März 1992 richte. Den Widerspruch wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 2. April 1993 zurück.
Mit Bescheid vom 28. April 1993 änderte der Beklagte den Bescheid vom 3. Februar 1992 erneut. Aufgrund einer Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten für den Chemischen Sauerstoffbedarf und einer Verringerung der Zahl der Schadeinheiten für Stickstoff errechnete er als Gesamtbetrag der Abwasserabgabe 371 116,08 DM. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 28. März 1995 zurück.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin begehrt, den Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 1992 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 31. März 1992 und vom 28. April 1993 aufzuheben, soweit die Klägerin dadurch zu einer höheren Abwasserabgabe als 209 072,88 DM herangezogen worden ist, sowie die Widerspruchsbescheide insoweit aufzuheben. Zur Begründung hat sie angeführt, die Rahmen-AbwasserVwV stelle für das Veranlagungsjahr 1991 hinsichtlich der Kläranlagen der Größenklasse 3 keine Anforderungen an Einleitungen von Phosphor und Stickstoff. Deshalb sei für diese beiden Schadstoffe der Abgabesatz je Schadeinheit gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AbwAG von 50 DM um 75 v.H. auf 12,50 DM zu ermäßigen. Diese Reduzierung des Abgabesatzes führe zu einer Verminderung der Abwasserabgabe auf 209 072,88 DM. Mit Gerichtsbescheid vom 6. Juni 1995 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
Die dagegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 13. März 1997 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen angeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ermäßigung der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AbwAG. Zwar stelle die Rahmen-AbwasserVwV im vorliegenden Fall keine besonderen Anforderungen an Einleitungen von Phosphor und Stickstoff. Eine Ermäßigung setze aber weiter voraus, daß die Abwasserreinigung im übrigen mindestens den Anforderungen entspreche, die die Rahmen-AbwasserVwV aufstelle. Dies ergäbe sich aus Sinn und Zweck von § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG. Auch diese Bestimmung diene dem Zweck, die Gewässer verstärkt reinzuhalten. Auch sie gebe einen Anreiz, durch Verminderung der Schadstoffeinleitungen eine Ermäßigung der Abwasserabgabe zu erhalten. Folgte man dagegen der Auffassung der Klägerin, würde das vom Gesetzgeber nicht gewollte Ergebnis eintreten, daß die Abwasserabgabe auch dann zu ermäßigen wäre, wenn die Werte, die in der Rahmen-AbwasserVwV auch für Kläranlagen der Klassen 1 bis 3 festgesetzt seien, massiv überschritten würden. In der Rahmen-AbwasserVwV seien Mindestwerte für Stickstoff und Phosphor nicht vorgesehen, weil der Bundesgesetzgeber für die Anlagen der Größenklassen 1 – 3 offenbar davon ausgegangen sei, daß derjenige, der die Mindestanforderungen für CSB und Ammoniumstickstoff einhalte, dadurch einen nicht unwesentlichen Teil der Phosphor- bzw. Gesamtstickstofffracht vermeide. Nur wenn die durch die Verwaltungsvorschrift festgesetzten Mindestanforderungen durch eine ordnungsgemäße biologische Grundreinigung des Abwassers gewahrt seien, sei die Annahme gerechtfertigt, daß auch die Phosphorfracht eine den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechende Behandlung erfahren habe. Eine Ermäßigung des Abgabesatzes für eine Kläranlage der Größenklasse 3, um die es hier gehe, setze danach voraus, daß auch eine ordnungsgemäße biologische Grundreinigung erfolge, was anhand der Einhaltung der Anforderungen für CSB festzustellen sei, ferner daß eine Denitrifikation vorgenommen werde.
Die Berechnung der Abwasserabgabe im übrigen werde von der Klägerin nicht angegriffen und sei auch zutreffend.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Klägerin, die die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 1997 sowie den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 6. Juni 1995 aufzuheben und den Bescheid vom 3. Februar 1992 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 31. März 1992 und vom 28. April 1993 sowie die Widerspruchsbescheide vom 2. April 1993 und vom 28. März 1995 insoweit aufzuheben, als die Klägerin dadurch zu einer höheren Abwasserabgabe als 209 072,88 DM herangezogen worden ist.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 1992 in der Gestalt, die er durch die Änderungsbescheide vom 31. März 1992 und vom 28. April 1993 sowie die Widerspruchsbescheide vom 2. April 1993 und vom 28. März 1995 gefunden hat, ist rechtmäßig.
Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Abwasserabgabe im Veranlagungsjahr 1991 ist das Abwasserabgabengesetz (AbwAG) i.d.F. vom 6. November 1990 (BGBl I S. 2432). Zu Recht hat der Beklagte der Abgabeerhebung für Stickstoff und Phosphor einen Abgabesatz von 50 DM je Einheit zugrundegelegt (vgl. § 9 Abs. 4 AbwAG). Der Abgabesatz für Stickstoff und Phosphor würde sich nur dann um 75 v.H. auf 12,50 DM je Einheit ermäßigen, wenn diese Schadeinheiten nicht vermieden würden, obwohl u.a. die allgemein anerkannten Regeln der Technik bezüglich dieser beiden Schadstoffe im Jahr 1991 als dem Veranlagungsjahr (vgl. § 11 Abs. 1 AbwAG) eingehalten wurden (§ 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 AbwAG). Dies ergibt die Auslegung des § 9 Abs. 5 AbwAG nach dessen Wortlaut sowie nach dessen Sinn und Zweck:
Wenn – wie im vorliegenden Fall für die Schadstoffe Phosphor und Stickstoff – in der nach § 7 a Abs. 1 WHG (hier anzuwenden i.d.F. vom 30. September 1986, BGBl I S. 1529) erlassenen (Rahmen-AbwasserVwV) keine Anforderungen gestellt werden, gelten gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG die Sätze 1 und 2 dieses Absatzes entsprechend. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG ermäßigt sich der Abgabesatz um 75 v.H. für Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl u.a. die Anforderungen der Verwaltungsvorschrift im Veranlagungszeitraum eingehalten werden.
Bei der verweisenden Regelung des § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG handelt es sich nicht nur um einen Rechtsfolgenverweis, so daß es für einen Abgabesatzermäßigung auf die übrigen Voraussetzungen von § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG nicht ankäme, sondern um eine Rechtsgrundverweisung mit der Folge, daß der Abgabesatz nur ermäßigt wird, wenn die Einleitung der Schadstoffe auch den übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG entspricht. Dies ergibt sich schon aus der Verwendung des Wortes „entsprechend”. Wäre dagegen eine bloße Rechtsfolgenverweisung gewollt, hätte § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG direkt vorschreiben können, daß sich der Abgabesatz stets ermäßigt, wenn keine Anforderungen in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 7 a Abs. 1 WHG gestellt werden.
Wann die Einleitung von Schadstoffen, an die keine Anforderungen in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 7 a WHG gestellt werden, den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG entspricht, ergibt sich aus einer Auslegung von Satz 1, bei der die Tatbestandsmerkmale der gegenüber der unmittelbaren Anwendung der Vorschrift geänderten Situation, die in der Verweisungsvorschrift des § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG geregelt ist, angepaßt werden. Diese Auslegung ergibt, daß Voraussetzung der Ermäßigung u.a. ist, daß die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Veranlagungszeitraum eingehalten werden. Die in § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG vorgenommene Verknüpfung mit der allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 7 a Abs. 1 WHG ist nämlich im Zusammenhang mit § 7 a WHG als der Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß dieser Verwaltungsvorschrift zu sehen. Gemäß § 7 a Abs. 1 Satz 1 WHG darf eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser – soweit es sich nicht um hier nicht vorliegende gefährliche Stoffe handelt (vgl. § 7 a Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz WHG) – nur erteilt werden, wenn die Schadstofffracht des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich ist. Die gemäß § 7 a Abs. 1 Satz 3 WHG erlassene Rahmen-AbwasserVwV nennt Mindestanforderungen, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Sie konkretisiert diese Regeln der Technik (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1998 – BVerwG 8 C 16.96 – zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Soweit die Verwaltungsvorschrift keine Anforderungen stellt, ist nicht etwa die wasserrechtliche Erlaubnis voraussetzungslos zu gewähren. Vielmehr darf auch in diesem Fall die Einleitungserlaubnis nach dem eindeutigen Wortlaut des § 7 a Abs. 1 Satz 1 WHG nur erteilt werden, wenn die – dann im Einzelfall festzustellenden – allgemein anerkannten Regeln der Technik beachtet werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt das Fehlen von Anforderungen in der Rahmen-AbwasserVwV nämlich nicht dazu, daß insoweit keine Regeln der Technik vorliegen. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Verwaltungsvorschrift, die in Ziff. 2.1. strengere Anforderungen im wasserrechtlichen Vollzug ausdrücklich vorsieht. Im übrigen sind in einem Gesetz enthaltene unbestimmte Rechtsbegriffe – wie hier die allgemein anerkannten Regeln der Technik – auch dann von den Verwaltungsbehörden und Gerichten anzuwenden, wenn und soweit die Exekutive einem Auftrag, diese Rechtsbegriffe in einer Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift zu interpretieren oder zu konkretisieren, noch nicht nachgekommen ist (vgl. Urteil vom 20. Oktober 1989 – BVerwG 4 C 12.87 – BVerwGE 84, 31 ≪39≫ m.w.N.). Das eigentliche Tatbestandsmerkmal, an welches § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG die Abgabeermäßigung knüpft, ist folglich die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik, die lediglich durch eine Verwaltungsvorschrift konkretisiert werden. Der Wortlaut von § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG stellt demnach nur eine Verkürzung dieses Auslegungsergebnisses dar, um eine umständliche Gesetzeswortlautfassung zu vermeiden.
Für diese Auslegung spricht auch – worauf das Oberverwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat – der sich aus der Systematik des Abwasserabgabengesetzes und dem Wortlaut von § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG ergebende Sinn und Zweck der Abgabesatzermäßigung. Die Abwasserabgabe richtet sich grundsätzlich nach der – in Schadeinheiten bestimmten – Schädlichkeit des Abwassers (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Dieser Grundsatz dient der Verwirklichung des Verursacherprinzips und macht die Höhe der Abgabe abhängig von der im Rahmen der Inanspruchnahme des Allgemeinguts „Gewässers” objektiv eingetretenen Umweltschädigung (vgl. Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, S. 138). Von diesem Grundsatz macht die Bestimmung des § 9 Abs. 5 AbwAG eine Ausnahme, indem sie die Abgabe je Schadeinheit (vgl. § 9 Abs. 4 AbwAG) um 75 v.H. ermäßigt. Diese Ermäßigung wird nach dem Wortlaut von § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG gewährt für Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl der Inhalt des wasserrechtlichen Bescheids oder der Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG den – die allgemein anerkannten Regeln der Technik konkretisierenden – Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 7 a Abs. 1 WHG entspricht und die Anforderungen dieser Verwaltungsvorschrift auch eingehalten werden. Wer gemäß dem in der Rahmen-AbwasserVwV konkretisierten Regeln der Technik investiert, seine Anlagen demgemäß betreibt und für eine entsprechende Anpassung seiner wasserrechtlichen Einleitungsbescheide sorgt bzw. entsprechende Werte erklärt, spart damit nicht nur die Abgabe für Schadeinheiten, die dadurch vermieden werden. Er zahlt auch weniger für Schadeinheiten, die damit noch nicht vermieden werden (vgl. Lübbe-Wolff, NVwZ 1991, 445 ≪446≫). Damit schafft § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG einen weiteren Anreiz, durch eine Verbesserung der Abwasserreinigung Abwasserabgabe zu sparen.
Für Schadstoffe, an die in der Rahmen-AbwasserVwV keine Anforderungen gestellt werden, gilt nichts anderes. Auch für diese soll die Möglichkeit der Abgabesatzermäßigung einen Anreiz schaffen, die Abwasserbehandlung zu verbessern. Wenn dagegen eine Abgabenermäßigung gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AbwAG auch ohne Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zu gewähren wäre, erhielte der Einleiter eine Ermäßigung ohne eigene Anstrengungen. Damit würde die Abgabenermäßigung ihren Zweck verfehlen und eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG wäre nicht mehr gerechtfertigt.
Dieses sich aus Wortlaut und Sinn und Zweck der Bestimmung des § 9 Abs. 5 AbwAG ergebende Auslegungsergebnis wird zusätzlich bestätigt durch die Entstehungsgeschichte der Norm. Die ursprüngliche Fassung des Abwasserabgabengesetzes vom 13. September 1976 (BGBl I S. 2721) sah vor, den Abgabesatz zu ermäßigen für Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl die Mindestanforderungen nach § 7 a Abs. 1 Satz 3 WHG – und damit die Mindestanforderungen der Verwaltungsvorschrift – erfüllt werden (§ 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1976). Der Abgabesatz ermäßigte sich demnach in den Fällen nicht, die bei fehlenden Anforderungen in der Verwaltungsvorschrift ebenfalls die Regeln der Technik einhielten. Dies führte zu der Diskussion, ob eine Ermäßigung auch ohne Bestimmungen in der Verwaltungsvorschrift gewährt wird, wenn die Regeln der Technik eingehalten werden. Von den Behörden wurden teilweise vor dem Hintergrund des Art. 3 GG eine solche gewährt (vgl. Sieder u.a., WHG, § 9 AbwAG Rn. 25 ff.). Diese gesetzliche Benachteiligung wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 19. Dezember 1986 (BGBl I S. 2619) beseitigt. Die Abgabesatzermäßigung wurde darin an die Einhaltung der Anforderungen des § 7 a Abs. 1 WHG und damit allgemein an die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik geknüpft (§ 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1986). Das AbwasserAG 1986 sah ein differenziertes System der Abgabesatzmäßigung vor. Der Ermäßigungssatz war unterschiedlich hoch je nach dem, ob die Regeln der Technik eingehalten oder ob sie übertroffen wurden oder ob der Stand der Technik eingehalten wurde (§ 9 Abs. 5 und 6 AbwAG 1986). Dieses differenzierte Ermäßigungssystem wurde mit der hier anzuwendenden Neufassung des § 9 Abs. 5 AbwAG durch ein einfacheres System ersetzt (vgl. Berendes, a.a.O. S. 140 ff.). Dagegen wollte der Gesetzgeber mit dieser Neufassung nicht die Ermäßigung des Abgabesatzes bei Schadstoffeinleitungen, für die keine Anforderungen in der Verwaltungsvorschrift nach § 7 a Abs. 1 Satz 2 WHG gestellt werden, von der Einhaltung der Regeln der Technik loslösen. Wenn der Gesetzgeber eine derartig weitgehende Abkehr von dem bisherigen Prinzip der Abgabesatzermäßigung gewollt hätte, hätte er dies in der amtlichen Begründung der Gesetzesnovellierung ausdrücklich hervorgehoben. Der vorliegenden Begründung (vgl. BTDrucks 11/4942) kann dies nicht entnommen werden.
Die vorgenommene Auslegung führt auch nicht zu einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot. Die Ermäßigung des Abgabesatzes wird in den Fällen des § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG nur gewährt, wenn die im Einzelfall festzustellenden allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist gerichtlich voll überprüfbar. Das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Bestimmtheitsgebot verbietet es nicht, die Ermäßigung des Abgabesatzes an einen unbestimmten Rechtsbegriff zu knüpfen. Das Bestimmtheitsgebot stellt nämlich keine einheitlichen, in gleicher Weise für alle Abgaben geltenden Voraussetzungen auf. Vielmehr ist auch die Eigenart der zu regelnden Materie zu berücksichtigen. Im Abwasserabgabenrecht ist dabei eine Rücknahme der gesetzlichen Regelungsdichte im Hinblick auf die Effektivität der mit der Abgabe verbundenen Lenkungsfunktion gerechtfertigt. Die dynamische Weiterentwicklung des Gewässerschutzes gestattet nicht nur im Wasserrecht eine weitgehende Bezugnahme auf die sich rasch ändernden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Regeln, sondern läßt auch bei den dieses Recht flankierenden Abwasserabgabengesetz eine entsprechende Anknüpfung zu (vgl. Beschluß vom 20. August 1997 – BVerwG 8 B 170.97 – Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 5 S. 13 ≪15 f.≫). Für den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit abgaberechtlicher Regelungen gilt insoweit nichts anderes (vgl. Beschluß vom 20. August 1997 – BVerwG 8 B 170.97 – a.a.O. S. 17).
Die vorgenommene Auslegung von § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AbwAG verstößt schließlich nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Die Ungleichbehandlung der Abwassereinleiter, die die Regeln der Technik einhalten, und derjenigen, die die Regeln der Technik nicht einhalten, ist sachlich gerechtfertigt. Auch ist bei allen Einleitungen die Ermäßigung des Abgabesatzes für jeden Schadstoff in gleicher Weise gesondert zu prüfen. Wie oben dargelegt, ist nämlich gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AbwAG die Ermäßigung des Abgabesatzes nur zu versagen, wenn hinsichtlich dieses Schadstoffs die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht eingehalten werden. Ob eine Kläranlage anderen Regeln der Technik, die lediglich zur Verringerung anderer Schadstoffe führen, entspricht, ist ohne Bedeutung. Dies schließt aber nicht aus, daß Behörden und Gerichte bei der Ermittlung des Sachverhalts aus naturwissenschaftlich-technischen Gründen Werte, die für einen Schadstoff gemessen wurden, zur Beantwortung der Frage heranziehen, ob die Regeln der Technik hinsichtlich eines anderen Schadstoffs eingehalten wurden.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht geprüft, ob die Voraussetzungen einer Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Ziff. 1 AbwAG vorliegen, sondern die Ermäßigung mit der Begründung abgelehnt, die Voraussetzungen einer Abgabesatzermäßigung nach § 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Ziff. 2 AbwAG lägen nicht vor. Da sich der Abgabesatz nur dann ermäßigt, wenn beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen, ist dies nicht zu beanstanden.
Eine Ermäßigung des Abgabesatzes für Stickstoff und Phosphor scheidet somit im vorliegenden Fall bereits dann aus, wenn die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die zu einer Verringerung dieser beiden Schadstoffe im Abwasser führen, im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten wurden (§ 9 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Ziff. 2 AbwAG). Dies ist – wie sich aus den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergibt – sowohl für den Parameter Phosphor als auch für den Parameter Stickstoff der Fall:
Das Berufungsgericht hat festgestellt, nur wenn eine ordnungsgemäße biologische Grundreinigung der Abwässer erfolge, werde auch die Phosphorfracht nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik reduziert. Die biologische Grundreinigung sei ordnungsgemäß, wenn die Anforderungen für den Chemischen Sauerstoffbedarf eingehalten würden. Diese seien aber im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden. Zugrunde liegt den Feststellungen ein Erlaß des niedersächsischen Umweltministeriums, dessen tatsächliche Aussagen von den Parteien nicht angezweifelt worden sind und der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. In dem Erlaß wird ausgeführt, eine ordnungsgemäße biologische Grundreinigung eliminiere einen Anteil von rund 25 bis 30 % der zufließenden Phosphorfracht. Damit hat das Oberverwaltungsgericht für Kläranlagen der vorliegenden Art hinsichtlich des Schadstoffs Phosphor als Regel der Technik die Durchführung einer ordnungsgemäßen biologischen Grundreinigung und damit ein Verfahren und nicht einen konkreten Grenzwert angesehen. Dies ist nicht zu beanstanden. Regeln der Technik können nämlich allgemein sowohl durch bestimmte Grenzwerte als auch durch bestimmte Verfahren umschrieben werden. Das verdeutlicht beispielsweise auch die Rahmen-AbwasserVwV in der hier anzuwendenden Fassung. Danach werden für kommunale Kläranlagen Anforderungen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zwar überwiegend in Grenzwerten ausgedrückt, für Stickstoff aber wird kein Grenzwert genannt, sondern es wird der Betrieb einer gezielten Denitrifikation – und damit ein Verfahren – gefordert.
Des weiteren hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die Abwasserbehandlungsanlage der Klägerin nicht mit einer Denitrifikation betrieben wurde. Damit wurden die allgemeinen Regeln der Technik nicht eingehalten. Denn die Reduzierung des im Abwasser enthaltenen Stickstoffs durch Denitrifikation ist eine – in Ziff. 2.1 des Anhangs 1 der Rahmen-AbwasserVwV für Abwasserbehandlungsanlagen der vorliegenden Größenklasse ausdrücklich genannte – allgemein anerkannte Regel der Technik.
Im übrigen sind keine Fehler des angefochtenen Bescheids ersichtlich. Die Beteiligten haben insoweit auch keine Einwendungen erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze, Postier
Fundstellen
NuR 1999, 319 |
ZfW 2000, 41 |