Entscheidungsstichwort (Thema)
Abhilfeentscheidung. erstmalige beschwerende –. Vor-, Widerspruchsverfahren. statthafter Rechtsbehelf
Leitsatz (amtlich)
§ 36 Abs. 1 VermG a.F. enthielt keine Regelung der Rechtsbehelfe gegen erstmalig beschwerende Abhilfeentscheidungen der Vermögensämter. Bereits nach der alten Rechtslage war deshalb in derartigen Fällen gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO unmittelbar Klage zu erheben.
Normenkette
VwGO § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 74 Abs. 1 S. 2; VermG (1997) § 36 Abs. 1 S. 1; VermG (1998) § 36 Abs. 1 S. 5
Verfahrensgang
VG Meiningen (Urteil vom 19.03.2001; Aktenzeichen 5 K 289/98.Me) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 19. März 2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kostenformel des Urteils wie folgt lautet:
„Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.”
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes die Rückübertragung des Grundstücks L. Straße 1 in S. Sie ist Mutterloge der ehemaligen … und sieht im Verkauf des damals unbebauten Grundstücks Gemarkung S. Flur 22 Flurstück 43 Anfang 1935 an die Rechtsvorgänger des Beigeladenen einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust nach Maßgabe des alliierten Rückerstattungsrechts. Ihrem Antrag auf Rückübertragung gab das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen der Stadt S. zunächst mit Bescheid vom 27. November 1995 statt, half dann aber dem dagegen gerichteten Widerspruch des Beigeladenen mit Abhilfebescheid vom 22. September 1997 ab und belehrte hierbei dergestalt, dass Klage gegen diesen Bescheid erhoben werden könne. Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 19. Februar 1998 als unzulässig zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 16. März 1998 Klage erhoben und vorgetragen, die Rechtsbehelfsbelehrung sei falsch gewesen, soweit sie auf den Klageweg hingewiesen habe. Richtigerweise sei auch gegen Abhilfebescheide das Widerspruchsverfahren durchzuführen. Bei der im Vermögensgesetz erfolgten Regelung über dieses Verfahren handele es sich um eine Spezialvorschrift gegenüber den allgemeinen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27. November 1995 wiederherzustellen und das Eigentum an dem Grundstück der Gemarkung S. Flur 22 Flurstück 43, L. Straße 1, Größe 997 m², der Klägerin zu übertragen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Rechtsbehelfsbelehrung verteidigt.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, sich in der Sache aber der Auffassung des Beklagten angeschlossen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. März 2001 (VIZ 2001, 680 f.) die Klage als unzulässig abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens habe es gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO nicht bedurft. Aus dem Vermögensgesetz als der gegenüber der Verwaltungsgerichtsordnung spezielleren Regelung folge nicht, dass in jedem Falle vor Klageerhebung – auch nach Erlass einer Abhilfeentscheidung – ein Widerspruchsverfahren durchzuführen sei. Die entgegengesetzte Auffassung der Klägerin finde weder im Wortlaut noch bei Betrachtung des Zusammenhangs mit anderen Regelungen eine Stütze. Sie finde auch keine Grundlage in den beigezogenen Gesetzesmaterialien. Würde die Auffassung der Klägerin zutreffen, wäre nach Erlass eines Ausgangsbescheides und einer daran anschließenden Abhilfeentscheidung eine erneute Befassung der Behörde mit der Sache erforderlich. Hierdurch würde eine weitere nicht unerhebliche Verzögerung des Verfahrens eintreten, was im Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber gewollten und in den Gesetzesmaterialien festgehaltenen Beschleunigungsgrundsatz stehen würde. Um diesem Grundsatz, dem gerade im Vermögensrecht wegen des zum Teil schon hohen Alters der Betroffenen eine große Bedeutung zukomme, gerecht zu werden, seien die allgemeinen Regelungen, insbesondere § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO, anzuwenden. Hiergegen spreche auch nicht die zwischenzeitlich, allerdings erst während des gerichtlichen Verfahrens erfolgte Anfügung von § 36 Abs. 1 Satz 5 VermG, wonach ein Widerspruchsverfahren nicht stattfinde, wenn die Abhilfeentscheidung erstmals eine Beschwer enthalte. Diese Novellierung diene offenkundig der Vereinheitlichung.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin, dass das angefochtene Urteil nicht der Rechtslage zum Zeitpunkt der Einlegung ihres Widerspruchs und der Erhebung ihrer Klage entspreche.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren zur Entscheidung in der Hauptsache an das Verwaltungsgericht Meiningen zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er tritt dem angefochtenen Urteil bei.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag, hält aber die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls für fehlerfrei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht musste die Klage abweisen, weil der Abhilfebescheid vom 22. September 1997 wegen Versäumung der Klagefrist bestandskräftig geworden ist. Die Klägerin hat sich gegen diesen Bescheid mit dem falschen Rechtsbehelf gewandt (1.) und daher die sich erst daran anschließende Klage zu spät erhoben (2.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt (3.).
1. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO bedarf es vor Erhebung der Anfechtungsklage keines Vorverfahrens, wenn – wie hier – der Abhilfebescheid erstmalig eine Beschwer enthält. Stattdessen ist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides zu erheben. Erfolgt keine rechtzeitige Klage, wird der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid nach Ablauf dieses Monats unanfechtbar, und eine verspätet erhobene Klage ist unzulässig. So liegt der Fall hier.
Der Wegfall des Vorverfahrens durch das 6. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) gilt nach dessen Art. 11 seit dem 1. Januar 1997, erfasst also in zeitlicher Hinsicht den vorliegenden Streitfall. Die Bestimmung reglementiert auch in materieller Hinsicht das Verwaltungsverfahren nach dem Vermögensgesetz. Die Verwaltungsgerichtsordnung enthält von ihrer generellen Geltung abweichende Sonderregelungen für das öffentliche Vermögensrecht nicht. Nach § 190 VwGO gibt es zwar eine Reihe solcher Ausnahmen, so tritt im Bereich des Lastenausgleichs das Beschwerdeverfahren nach § 336 LAG an die Stelle des Widerspruchsverfahrens von §§ 68 ff. VwGO (vgl. § 190 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), aber einen ausdrücklichen Vorrang der das Widerspruchsverfahren betreffenden Regelungen in § 36 VermG räumt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht ein. Allerdings stellt § 36 VermG, wie die Klägerin zutreffend hervorhebt, eine für das öffentliche Vermögensrecht geltende Sonderbestimmung dar (Beschluss vom 22. Februar 1996 – BVerwG 7 B 314.95 – Buchholz 428 § 36 VermG Nr. 1 S. 1 ≪2≫); doch sie hat bei Erlass des Abhilfebescheides noch keine Regelung der Rechtsbehelfe gegen eine solche erstmalig beschwerende Maßnahme enthalten. Soweit § 36 Abs. 1 Satz 1 VermG vorschreibt, dass gegen Entscheidungen des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Widerspruch erhoben werden kann, ist an Bescheide der Ämter gedacht, mit denen das auf Erlass eines Verwaltungsaktes hinzielende Verwaltungsverfahren abgeschlossen wird. Über die Behandlung von Abhilfeentscheidungen, die zu einem durch Widerspruch eingeleiteten Vorverfahren gehören und erst im heutigen Satz 4 dieser Vorschrift angesprochen sind, verhielt sich das Vermögensgesetz ursprünglich nicht näher. Es ist deshalb auf die generelle Vorschrift von § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO zurückzugreifen (zu deren Ergänzungsfunktion vgl. Beschluss vom 19. Mai 1999 – BVerwG 8 B 61.99 – Buchholz 428 § 36 VermG Nr. 4 S. 1 ≪3≫).
Die nachträglich mit dem Vermögensrechtsbereinigungsgesetz vom 20. Oktober 1998 erfolgte Erweiterung von § 36 Abs. 1 VermG durch das Anfügen eines Satzes, der den Wortlaut von § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO übernimmt, stellt im Ergebnis nur eine Klarstellung dar. Zwar hat die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Entwurf dieses Gesetzes gemeint, jene Regelung solle aus Gründen der Vereinheitlichung für das Verfahren nach dem Vermögensgesetz übernommen werden, weil sie – so ist zu schließen – nicht einschlägig sei (BTDrucks 13/10246 S. 19). Aber die Begründung trifft in diesem Punkt nicht zu. Die Ansicht einer am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Stelle bekommt bei der Normanwendung nur Gewicht, wenn sie in der Rechtslage selbst Niederschlag gefunden hat. Das ist hier jedoch – wie ausgeführt – nicht der Fall (vgl. zum Nachrang subjektiver Zielvorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten bei der Auslegung von Normen Urteil vom 8. November 1996 – BVerwG 8 C 12.95 – Buchholz 401.71 AFWoG Nr. 15 S. 23 ≪31≫). Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber § 36 Abs. 1 VermG nicht zeitgleich mit der Neufassung von § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergänzt hatte, lassen sich Schlussfolgerungen auf den Geltungsumfang der Novellierung nicht ziehen. Die Tatsache der nachträglichen Anpassung spricht eher dafür, dass die Gesetzesänderung bereits damals den Verfahrensablauf bei den Vermögensämtern erfassen sollte; denn das Ziel der Neuregelung war eine allgemeine Verbesserung der Verfahrensökonomie, und die sollte erkennbar nicht vor den Widerspruchsausschüssen bei den Landesämtern zur Regelung offener Vermögensfragen Halt machen.
2. Die Frist der Klage konnte mit Bekanntgabe des Abhilfebescheides anlaufen, weil eine auch im Übrigen richtige Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war. Die Frist beginnt gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Darüber hat die Rechtsbehelfsbelehrung zutreffend unterrichtet. Sie gibt zwar für den Fristbeginn nicht „Bekanntgabe”, sondern „Zustellung” an, diese Bezeichnung hat sie aber nicht inkorrekt gemacht. Für die willentliche und formgerechte Übermittlung des Inhalts des Verwaltungsaktes an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin und den Beigeladenen hatte die Behörde die Form der Zustellung gewählt. Die Bekanntgabe schließt die Eröffnung durch Zustellung mit ein (vgl. § 41 Abs. 5 Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz) und stand zur Auswahl. Der präzise Hinweis auf die besondere Förmlichkeit, der die konkrete Mitteilung unterlag, war nicht irreführend, sondern wies im Gegenteil den Empfänger auf besondere Vorschriften hin, nach denen sich die Bekanntgabe richtete und auf die bei der Fristberechnung zu achten war.
3. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist (§ 60 VwGO) gewährt. Entgegen seiner Ansicht kommt es dabei aber nicht auf die Überzeugung der Klägerin an, dass hier ein Widerspruchsverfahren durchzuführen gewesen sei. Von einem rechtskundig vertretenen Bürger kann jedoch erwartet werden, dass er einer korrekten Rechtsbehelfsbelehrung folgt. Der Irrtum über den gegebenen Rechtsbehelf, dem die Klägerin erlegen sein mag, hat nicht daran gehindert, vorsorglich (rechtzeitig) Klage zu erheben, um so drohenden Rechtsnachteilen vorzubeugen. Vor der (6.) Novellierung der Verwaltungsgerichtsordnung war in Rechtsprechung und Literatur die Frage nicht einheitlich beantwortet worden, welcher Rechtsbehelf gegen einen Abhilfebescheid zu erheben sei, mit dem eine Beschwer verbunden war (vgl. die Begründung für die gesetzliche Klarstellung BTDrucks 13/5098 S. 23). Diese Unsicherheit hat auch im Rahmen von § 36 VermG (a.F.) bestanden und hätte bis zum Erlass des Vermögensrechtsbereinigungsgesetzes fortgewirkt, wäre es nicht zur Änderung von § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO gekommen. Es bestand folglich auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Klägerin Anlass, Widerspruch und Klage gleichzeitig zu erheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil dies nicht der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO entspricht. Der Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko im Sinne von § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt (vgl. Beschluss vom 13. Januar 1987 – BVerwG 6 C 55.83 – Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 21 S. 1 ≪2≫). Aus diesem Grunde war auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung abzuändern. Sie unterliegt in der Rechtsmittelinstanz nicht dem Verbot der nachträglichen Verschlechterung (Urteil vom 23. Mai 1962 – BVerwG 5 C 62.61 – BVerwGE 14, 171 ≪174 f.≫).
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Golze, Postier
Fundstellen