Entscheidungsstichwort (Thema)
öffentliche Restitution. Rückübertragung. Rückübertragungsanspruch. Restitutionsanspruch. Identität. Rechtsnachfolge. Funktionsnachfolge. Belegenheitsprinzip. Stadtgüter Berlin
Leitsatz (amtlich)
Auf Rückübertragungsansprüche des Landes Berlin findet ungeachtet des Umstandes, dass nur der östliche Teil des Landes zum Beitrittsgebiet gehört, das Vermögenszuordnungsgesetz Anwendung.
Das Land Berlin ist mit der durch das Preußische Gesetz vom 27. April 1920 gebildeten Stadtgemeinde als Körperschaft rechtlich identisch. Für die Restitutionsberechtigung des Landes bedarf es daher regelmäßig keines Rückgriffs auf die Rechtsnachfolgeregelung des § 11 Abs. 3 VZOG.
Das Land Berlin kann als früherer Eigentümer die Rückübertragung auch solcher in Volkseigentum überführter Grundstücke beanspruchen, die stets außerhalb seines Hoheitsgebietes gelegen haben.
Normenkette
Einigungsvertrag – EV – Art. 3, 21 Abs. 3 i.V.m., Art. 22 Abs. 1 S. 7; VZOG § 11 Abs. 3; VermG § 1 Abs. 8 Buchst. d
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 18.01.2006; Aktenzeichen 15 A 375.00) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Januar 2006 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Der Kläger beansprucht die Rückübertragung eines Flurstücks, das immer außerhalb seines Hoheitsgebietes, in der Gemarkung G…, lag. Die Gemeinde G… war früher eigenständig und ist inzwischen in der beigeladenen Gemeinde St. aufgegangen.
Das Flurstück gehörte nach Darstellung des Klägers früher zu einem der so genannten Stadtgüter, welche die Stadtgemeinde Berlin im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert auch außerhalb ihres Stadtgebietes erwarb, zunächst vornehmlich, um dem infolge der wachsenden Einwohnerzahl größer werdenden Problem der Abwasserentsorgung zu begegnen. Später gewannen die Stadtgüter auch Bedeutung für die Freiflächenversorgung und Erholung der Bevölkerung. Nach 1945 wurden die in der Sowjetischen Besatzungszone belegenen Güter durch die Sowjetarmee verwaltet und nach Bildung der DDR in Volkseigentum überführt. Das hier im Streit stehende Grundstück wurde 1952 in das Eigentum des Volkes übernommen. Die auf die Berliner Stadtgüter zurückzuführenden Volkseigenen Güter erhielt das Land Berlin 1991 bis auf einige Ausnahmen, wie das hier streitige Flurstück, zurück.
Das Flurstück wurde 1993 der Gemeinde G… zugeordnet. Im Jahre 1995 beantragte der Kläger die Restitution. Diese lehnte der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Berlin mit Bescheid vom 30. Mai 2000 ab, weil das Flurstück vor seiner Überführung in Volkseigentum im Eigentum eines privaten Dritten gestanden habe. Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger unter Vorlage entsprechender Unterlagen dargelegt, dass er der letzte Eigentümer des Flurstücks vor dessen Überführung in Volkseigentum gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Januar 2006 abgewiesen. Es hat dahinstehen lassen, ob der Kläger bei Überführung des Flurstücks in Volkseigentum dessen Eigentümer gewesen sei; jedenfalls sei er nicht in seinen Rechten verletzt, weil ihm dessen Restitution nicht zustehe. Funktionsnachfolger im Sinne des § 11 Abs. 3 VZOG hinsichtlich des außerhalb des Hoheitsgebietes liegenden Flurstücks sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Körperschaft, zu deren Gebiet diese Fläche jetzt gehörte.
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, dass die in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze zur Funktionsnachfolge den vorliegenden Fall nicht erfassten. Grundlage des Restitutionsantrags sei seine – des Klägers – kommunalwirtschaftliche Tätigkeit außerhalb der eigenen Gemeindegrenzen sowie seine Eigentümerstellung vor Gründung der DDR. Die Frage der Rechtsnachfolge stelle sich nicht, weil die Stadtgemeinde Berlin niemals aufgelöst worden sei.
Die Beklagte verteidigt das Urteil. Die für Zuordnungs- und Restitutionsentscheidungen maßgeblichen Vorschriften des Einigungsvertrages gälten für das in Art. 3 des Einigungsvertrages – EV – genannte Gebiet – und damit auch für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor Wirksamwerden des Beitritts nicht gegolten habe. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Vergleich zu den übrigen neuen Ländern bzw. Gemeinden im Hinblick auf Restitutionsansprüche ein Sonderstatus zukommen solle, seien nicht ersichtlich. Der Kläger sei nur bezüglich des ehemaligen Berlin (West) mit der zur Verfügung stellenden Körperschaft des öffentlichen Rechts identisch, im Hinblick auf den Ost-Teil der Stadt sei er hingegen bloßer Funktionsnachfolger. Als solcher könne er nur die Rückübertragung solcher Vermögenswerte beanspruchen, die in seinem Hoheitsgebiet belegen seien.
Die Beigeladene hält die angefochtenen Urteile ebenfalls für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet, da das angegriffene Urteil auf einer Verletzung von Bundesrecht beruht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Kläger keinen Restitutionsanspruch hat, weil das Grundstück außerhalb seines Hoheitsgebietes liegt. Dies führt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz, da bislang Feststellungen zum Alteigentum des Klägers und zum Vorliegen eines Restitutionsauschlussgrundes nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Vermögenszuordnungsgesetzes – VZOG – fehlen.
1. Der geltend gemachte Restitutionsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV i.V.m. Art. 21 Abs. 3 EV sowie § 11 VZOG. Zwar gehört der westliche Teil des Landes Berlin nicht zum Beitrittsgebiet des Einigungsvertrages, so dass zweifelhaft sein könnte, ob neben oder sogar anstelle der vermögensrechtlichen Anspruchsberechtigung eine solche nach dem Vermögensgesetz besteht; denn dessen Anwendung ist nach seinem § 1 Abs. 8 Buchst. d nur für vom Kommunalvermögensgesetz erfasste Ansprüche von Gebietskörperschaften ausgeschlossen. Berlin muss jedoch mit Blick auf seine beitretenden östlichen Bezirke insgesamt als Gebietskörperschaft des Beitrittsgebietes im Sinne dieser vermögensgesetzlichen Vorschrift angesehen werden. Nur so wird sichergestellt, dass die für den Ost-Teil der Stadt zweifelsfrei angeordnete Geltung des Kommunalvermögensgesetzes und – später – des Vermögenszuordnungsgesetzes greift und zugleich für die Stadt ein einheitliches Restitutionsregime Anwendung findet.
2. Nach Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV i.V.m. Art. 21 Abs. 3 EV sind Vermögenswerte, die (u.a.) dem Zentralstaat von einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, an sie oder an ihre Rechtsnachfolgerin unentgeltlich zurückzuübertragen.
Die das Eigentum an dem umstrittenen Flurstück zur Verfügung stellende Körperschaft im Sinne von Art. 21 Abs. 3 EV war hier möglicherweise die Stadtgemeinde Berlin, die durch das Preußische Gesetz vom 27. April 1920 (PrGS S. 123) gebildet worden war.
Mit dieser Stadtgemeinde Berlin ist das klagende Land Berlin als Körperschaft rechtlich identisch (vgl. u.a. Driehaus, in: Driehaus (Hrsg.), Verfassung von Berlin, 2. Aufl. 2005, Art. 1 Rn. 2; Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 3. Aufl. 1998, S. 84). Die Stadtgemeinde Berlin ist durch die 1945 erfolgte Aufteilung Berlins in vier Sektoren weder aufgelöst worden noch hat sie ihre rechtliche Identität verloren. Ebenso wenig hat sich bis zur Überführung des Grundstücks in Volkseigentum etwas an der Rechtsstellung Berlins als dessen Eigentümer verändert. Die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs hatten am Fortbestand von Berlin als Ganzem festgehalten. Gegenstand ihrer Rechte war nach den dazu von ihnen zunächst zu dritt und dann zu viert geschlossenen Londoner Protokollen neben den vier weiteren Besatzungszonen ein “besonderes Berliner Gebiet”, das gemeinsam besetzt werden sollte. Das “Berliner Gebiet” wurde bezeichnet als das “Territorium Groß Berlin, wie im Gesetz vom 27. April 1920 definiert” (vgl. dazu Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, 1973, S. 33 f.). Dessen rechtliche Einheit wurde durch die faktische Spaltung der Stadt in einen Ost- und einen West-Teil nicht beseitigt. Für eine Statusänderung hätte es des Konsenses aller vier Hauptsiegermächte bedurft, den es aber nicht gab. An der rechtlichen Einheit von ganz Berlin hatte, ebenso wie die westlichen Alliierten, auch die Bundesrepublik Deutschland festgehalten (vgl. zu Einzelheiten u.a. von Mangoldt, ROW 1990, 1). Dies belegt unter anderem Art. 23 GG in der alten Fassung, wonach auch das Land Groß-Berlin zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zählen sollte; allein gegen diese Einbeziehung haben die westlichen Militärgouverneure im Hinblick auf die alliierten Vorbehaltsrechte in Bezug auf Berlin Einwände erhoben, nicht aber gegen die Annahme eines rechtlichen Fortbestandes von Groß-Berlin. Ausgehend von dessen Fortbestand haben sich die Bundesrepublik Deutschland und die drei westlichen Besatzungsmächte regelmäßig gegen die Versuche der Regierung der DDR und der Sowjetunion gewandt, die faktische und jedenfalls weitgehende rechtliche Integration Ost-Berlins in die DDR zu betreiben. Die Auffassung, dass Berlin als Stadtgemeinde aufgrund der Aufspaltung in einen West- und einen Ost-Teil und deren Einordnung in verschiedene Gesellschaftssysteme nicht fortbestanden habe, widerspricht auch dem Verständnis des Einigungsvertrages, der in seinem Art. 1 deutlich zwischen den auf der Grundlage des Landeseinführungsgesetzes neu gebildeten Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in seinem Absatz 1 einerseits und dem aus seinen damals 23 Bezirken gebildeten Land Berlin in seinem Absatz 2 andererseits unterscheidet und durch die Formulierung in Art. 1 Abs. 2 “die 23 Bezirke von Berlin bilden das Land Berlin” die elf Ostbezirke in den bisherigen Bestand des Landes und der Stadt einfügt (vgl. Finkelnburg, LKV, 1991, S. 6 ≪7≫). Die Formulierung in Art. 3 EV, die von dem “Teil des Landes Berlin” spricht, in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, belegt ebenfalls, dass der Einigungsvertrag abgesehen von der differenzierten Geltung des Grundgesetzes vor dem 3. Oktober 1990 von einer fortbestehenden Identität Berlins ausgeht. Dies ist auch Grundlage und Inhalt des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (dritte Begründungserwägung der Präambel und Art. 1 Abs. 1 Satz 1) vom 12. September 1990 (BGBl II S. 1318).
Danach hat – entgegen der vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vertretenen Ansicht – die Zusammenführung der damals 23 Berliner Stadtbezirke im Zuge der Wiedervereinigung nicht wie im Falle der anderen “neuen” Länder zu einer Neugründung geführt. Ebenso wenig ist es mit dem durch Verklammerung über die Viermächte-Verantwortlichkeiten gesicherten rechtlichen Fortbestand von Groß-Berlin vereinbar, eine Identität des Klägers mit der das Grundstück zur Verfügung stellenden Körperschaft nur hinsichtlich der Westsektoren anzunehmen, hinsichtlich des Ostsektors von Berlin dagegen nur eine Funktionsnachfolge.
3. Dem Rückübertragungsanspruch des Klägers steht der Umstand nicht entgegen, dass das streitige Grundstück niemals zu seinem Hoheitsgebiet gehört hat.
Art. 21 Abs. 3 Halbs. 1 EV ordnet unmissverständlich an, dass der Körperschaft der Vermögenswert zurückzuübertragen ist, die ihn dem Zentralstaat oder den anderen dort genannten Empfängern unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Nur für den Fall, dass die eigentlich anspruchsberechtigte Körperschaft nicht mehr existiert, trifft § 11 Abs. 3 VZOG eine Nachfolgeregelung. Da der Kläger – wie dargelegt – mit der Körperschaft, die seinerzeit das Flurstück zur Verfügung gestellt hat, identisch ist, stünde ihm als früherem Eigentümer der Rückübertragungsanspruch unabhängig davon zu, dass die Fläche stets außerhalb Berlins gelegen hat.
Das Verwaltungsgericht hat sein gegenteiliges Ergebnis zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Senats gestützt, deren Ausgangspunkt das Urteil vom 15. Juli 1999 – BVerwG 3 C 12.98 – (Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 23) ist. Die dort aufgestellten Grundsätze sind schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil in den damals entschiedenen Fällen keine Identität zwischen der den Vermögenswert zur Verfügung stellenden und der ihre Restitution begehrenden Körperschaft anzunehmen war. Zudem lag der genannten Entscheidung die Besonderheit zugrunde, dass Teile der alten Gebietskörperschaft zwischenzeitlich im Zuge einer Gebietsreform einer anderen Gemeinde zugeschlagen worden waren, so dass dort für das betreffende Grundstück eine Konkurrenzsituation zwischen mehreren möglichen Rechtsnachfolgern aufzulösen war. Für diesen Fall hat der Senat das notwendige zusätzliche Kriterium für die Feststellung der Restitutionsberechtigung in der Belegenheit des zurückzuübertragenden Vermögenswertes gesehen. Hier dagegen lag das streitige Grundstück stets außerhalb des Gebietes des Klägers und kommt die beigeladene Belegenheitsgemeinde keinesfalls als Rechtsnachfolger in Betracht.
4. Trotz dieser Verletzung von Bundesrecht würde sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gleichwohl aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweisen (§ 144 Abs. 4 VwGO), wenn – wie die Beigeladene geltend macht – die das Grundstück zur Verfügung stellende Körperschaft nicht die Stadtgemeinde Berlin war oder ein Restitutionsausschlussgrund nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG vorliegt, weil das Grundstück am maßgeblichen Stichtag als öffentlicher Weg genutzt wurde. Da Feststellungen des Verwaltungsgerichts hierzu fehlen, ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen