Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Sach- und Rechtslage. Berechtigtenstellung. besatzungshoheitliche Grundlage. Bindungswirkung. Enteignung. innerprozessuale Bindung. nachträgliche Änderung der Sachlage. neue tatsächliche Feststellungen. Rechtskraft. Rechtskraftwirkungen. Restitutionsanspruch. Richtlinien Nr. 1 der DWK. SMAD-Befehl Nr. 124. SMAD-Befehl Nr. 64. Teilbarkeit. Teilurteil. Thüringer Liste. Volkseigentum. Zurückverweisung. Zwischenurteil
Leitsatz (amtlich)
Die Bindungswirkung nach § 144 Abs. 6 VwGO entfällt, wenn nach Zurückverweisung der Sache im zweiten Rechtsgang neuer Sachvortrag der Beteiligten oder neue Sachverhaltsermittlungen des Tatsachengerichts zu einer in entscheidungserheblicher Weise veränderten Tatsachengrundlage führen. Das gilt auch dann, wenn es sich um bereits zur Zeit des ersten Rechtsgangs vorliegende Tatsachen handelt, die von der Vorinstanz noch nicht festgestellt oder übersehen worden waren.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a, § 2 Abs. 1; VwGO §§ 110-111, 121, 144 Abs. 6
Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 05.08.2010; Aktenzeichen 1 K 1452/08) |
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung des 720 m2 großen Grundstücks …, Gemarkung Potsdam, Flur …, Flurstück … Sie hatte die Vorläuferparzellen von den früheren Eigentümern 1939/1940 erworben und war 1940 im Grundbuch eingetragen worden.
Rz. 2
Die Klägerin wurde 1921 in Berlin als “Gemeinnützige Gesellschaft mbH …” gegründet und später in “W… Gesellschaft mit beschränkter Haftung” umbenannt. Gesellschafter waren seit ihrer Gründung hohe Offiziere und Beamte des Reichswehrministeriums sowie seit 1929 ein früherer Reichswehrminister. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erstellte sie vor allem Wohnungen für Angehörige des Heeres und der Luftwaffe. Sie hatte ihren Sitz zunächst in Berlin-Dahlem, … und … 1949 verlegte sie ihn nach München. Der Verwaltungssitz befindet sich seit 1951 in B….
Rz. 3
Zum Betriebsvermögen der Klägerin gehörten bei Kriegsende 1945 zahlreiche zu Wohnzwecken bebaute Grundstücke in Potsdam und anderen Orten des Landes Brandenburg sowie u.a. auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt; es umfasste damals auf dem Gebiet der späteren DDR mehr als 3 600 Wohnungen.
Rz. 4
Die Umschreibung des streitgegenständlichen Grundstücks im Grundbuch auf das Eigentum des Volkes erfolgte am 2. Februar 1950. Rechtsträger wurden zunächst das Kommunalwirtschaftsunternehmen der Landeshauptstadt Potsdam, später der Rat der Stadt Potsdam und ab dem 1. Januar 1959 die Deutsche Post, Fernmeldeamt Potsdam. Im heutigen Grundbuch von Potsdam (Blatt …) ist die Bundesrepublik Deutschland (Deutsche Bundespost Telekom) aufgrund von Art. 27 des Einigungsvertrages am 24. November 1993 als Eigentümerin des Grundstücks eingetragen worden.
Rz. 5
Den Antrag der Klägerin vom 22. August 1990 auf Rückübertragung des Grundstücks lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. März 1999 mit der Begründung ab, dieses sei in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach 1945 auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden, so dass das Vermögensgesetz gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG keine Anwendung finde. Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss V beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2000 zurück.
Rz. 6
Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Potsdam mit Urteil vom 20. September 2006 ab. Dieses wurde auf die Revision der Klägerin vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Juni 2008 mit der Begründung aufgehoben, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Befehl Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 17. April 1948 in Nr. 5 verboten habe, nach dessen Inkrafttreten auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 Vermögenswerte zu sequestrieren und bisher nicht sequestrierte Vermögenswerte zu enteignen. Hiergegen habe die nach dem 18. April 1948 erfolgte Enteignung des Grundstücks verstoßen, das nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor dem 18. April 1948 nicht sequestriert worden sei. Die Nacherfassung der Klägerin in der Liste der enteigneten Wohnungsunternehmen vom 5. Juli 1949 habe dieses Verbot nicht beachtet. Eine Aufhebung des Verbots zu Lasten der Klägerin sei nach Lage der Akten nicht erfolgt. Mit der bloßen Kenntnisnahme der Enteignungslisten durch die sowjetische Besatzungsmacht sei das Verbot nicht wieder außer Kraft gesetzt worden. Die unter Verstoß gegen das Enteignungsverbot vorgenommene Enteignung sei der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zuzurechnen und beruhe deshalb nicht auf besatzungsrechtlicher Grundlage (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG), so dass das Vermögensgesetz Anwendung finde. Es liege eine entschädigungslose Enteignung der Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG vor. Die Klägerin sei daher Berechtigte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Da das Verwaltungsgericht jedoch keine Feststellungen zu den von der Beigeladenen geltend gemachten Restitutionsausschlussgründen getroffen habe, müsse die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden.
Rz. 7
In dem sodann beim Verwaltungsgericht Potsdam im zweiten Rechtsgang fortgeführten Verfahren hat die damals zum Verfahren Beigeladene (Deutsche Telekom AG) erklärt, dass sie das streitgegenständliche Grundstück nicht mehr nutze, keine Ausschlussgründe nach §§ 4 und 5 VermG reklamiere und keine Einwände dagegen habe, wenn das Grundstück der Klägerin zurückübertragen werde.
Rz. 8
Mit Urteil vom 5. August 2010 hat das Verwaltungsgericht daraufhin die Klage erneut mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei bereits vor dem 7. Oktober 1949, dem Tag der Gründung der DDR, durch staatliche Maßnahmen auf besatzungshoheitlicher Grundlage vollständig und endgültig aus ihrem Eigentum an dem Grundstück verdrängt worden, so dass das Vermögensgesetz nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG keine Anwendung finde. Dem stünden die rechtlichen Beurteilungen des Bundesverwaltungsgerichts in der zurückverweisenden Entscheidung nicht entgegen. Dessen Bindungswirkung nach § 144 Abs. 6 VwGO sei entfallen, weil sich die Sach- und Rechtslage in der Zwischenzeit geändert habe und mithin der Prozessstoff nunmehr ein anderer sei. Für das Verwaltungsgericht sei neu, dass die Klägerin mit dem Namenszusatz “G.-Stadt” bereits in der Thüringer Liste “A…” der zu enteignenden Unternehmen vom 17. April 1946 aufgeführt worden sei. Dies habe dazu geführt, dass gemäß Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 (Richtlinien Nr. 1) der Deutschen Wirtschaftskommission vom 28. April 1948 die in Thüringen erfolgte Enteignung eines Teils des Unternehmens der Klägerin auch hinsichtlich aller anderen Unternehmensteile, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang untereinander stünden, Geltung beanspruche. Ein solcher wirtschaftlicher Zusammenhang sei jedenfalls in Fällen der hier gegebenen Art anzunehmen, in denen die örtlichen Wohnungsbauten der Verwirklichung des zentral vom Hauptsitz des Unternehmens aus verfolgten Zwecks der Wohnraumbeschaffung für Soldaten und Offiziere des Heeres und der Luftwaffe gedient hätten; dies gelte selbst dann, wenn sich der Hauptsitz des Unternehmens nicht in der sowjetischen Besatzungszone befunden habe.
Rz. 9
Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsgericht habe die Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 verkannt. Dieses habe die Berechtigung der Klägerin im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG abschließend bejahend geklärt und gleichzeitig den Umfang der Zurückverweisung an die erste Instanz auf die Prüfung der Rückgabe entgegenstehender Tatsachen im Sinne der §§ 4 und 5 VermG begrenzt. Der nicht zurückverwiesene Teil des ursprünglichen Streitstoffs sei durch das Revisionsgericht rechtskräftig entschieden. Dementsprechend habe die Berechtigung der Klägerin für das Verwaltungsgericht nicht mehr zur Disposition gestanden. Neue Tatsachen, die zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage geführt hätten, lägen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor. Eine Beschlagnahme oder Enteignung des Grundstücks in Potsdam sei vor dem 18. April 1948 nicht vorgenommen worden. Die im Juli 1948 erfolgte treuhänderische Verwaltung des Grundeigentums der Klägerin in Potsdam sei ausdrücklich ohne vorherige Beschlagnahme erfolgt; sie, die Klägerin, habe sich durch die treuhänderische Verwaltung nicht endgültig aus ihrem Eigentum verdrängt gesehen, sondern sich dagegen mit den ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen gewehrt. Die seit 1946 erfolgten Enteignungsmaßnahmen in G… (Thüringen) hätten sich nur auf die W… GmbH G… bezogen, jedoch das Unternehmen der Klägerin und ihr weiteres Betriebsvermögen u.a. in Potsdam nicht erfasst. Entsprechendes gelte für Enteignungsmaßnahmen in E… (Brandenburg). Es liege auch kein sukzessiver Vermögensentzug vor.
Rz. 10
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgericht Potsdam vom 5. August 2010 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. März 1999 und des Widerspruchsbescheides des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen – Widerspruchsausschuss V – vom 3. Februar 2000 zu verpflichten, das 720 m2 große Grundstück …, Gemarkung Potsdam, Flur …, Flurstück …, an die Klägerin zurückzuübertragen.
Rz. 11
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 12
Er verteidigt das angegriffene Urteil. Die vor dem 18. April 1948 auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgten Enteignungen von Vermögen der Klägerin u.a. in Thüringen (G…) und Brandenburg (E…) hätten sich auf alle weiteren Vermögensobjekte und Niederlassungen der Klägerin im Bereich der SBZ erstreckt; die Klägerin mit ihren Gesellschaftern sei als Wohnungsbau-Unternehmen der deutschen Wehrmacht nach 1945 von den SBZ-Behörden als Kriegsverbrecher im Sinne des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 angesehen und dementsprechend durch Enteignung aus dem wirtschaftlichen Leben der SBZ entfernt worden.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 13
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
Rz. 14
1. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt nicht gegen § 121 VwGO. Das zurückverweisende Revisionsurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 enthält keine Sachentscheidung, die formell rechtskräftig geworden wäre. Denn es hat das Urteil des Verwaltungsgerichts aus dem ersten Rechtsgang insgesamt aufgehoben und das Verfahren in Gänze an das Verwaltungsgericht Potsdam zurückverwiesen, damit dieses – unter Beachtung der Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO – erneut über die Sache verhandelt und entscheidet. Das erste Revisionsurteil ist damit einer materiellen Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO) nicht zugänglich.
Rz. 15
Bei diesem Revisionsurteil handelt es sich namentlich nicht um ein rechtskräftiges Teilurteil im Sinne von § 110 VwGO, mit dem der Senat isoliert über die Berechtigtenstellung der Klägerin im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG als abgrenzbaren Teil des Streitgegenstandes abschließend nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO entschieden hätte. Ein Teilurteil setzt die Teilbarkeit des Streitgegenstandes in objektivem oder subjektivem Sinne (§ 64 VwGO) voraus. Es darf nach § 110 VwGO nur ergehen, wenn der vorab zu entscheidende und der verbleibende Teil des Streitgegenstandes voneinander wechselseitig rechtlich und tatsächlich unabhängig sind. Das ist der Fall, wenn der Teil, über den vorab durch Teilurteil entschieden werden soll, abgetrennt werden und der übrige Teil Gegenstand eines selbstständigen Verfahrens sein könnte (Urteil vom 25. November 2009 – BVerwG 8 C 12.08 – BVerwGE 135, 272 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 52 Rn. 25). Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt.
Rz. 16
Die Berechtigtenfeststellung (§ 2 Abs. 1 VermG) hinsichtlich eines Rückübertragungsanspruchs nach dem Vermögensgesetz betrifft eine von mehreren (kumulativen) Anspruchsvoraussetzungen für ein und denselben Streitgegenstand. Dass die Feststellung der Berechtigung nach § 2 Abs. 1 VermG im Verhältnis zur Rückübertragungsverpflichtung ein Minus darstellt und von der zuständigen Behörde auch selbstständig getroffen werden kann (vgl. dazu u.a. Urteile vom 29. September 1993 – BVerwG 7 C 39.92 – BVerwGE 94, 195 ≪197≫ = Buchholz 112 § 6 VermG Nr. 3, vom 24. Februar 1994 – BVerwG 7 C 20.93 – BVerwGE 95, 155 ≪163≫ = Buchholz 112 § 6 VermG Nr. 5 und vom 25. November 2009 a.a.O. Rn. 29), begründet noch keine wechselseitige Unabhängigkeit der Berechtigung und der weiteren Voraussetzungen des Rückübertragungsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann zwar die zuständige Behörde über die Frage der Berechtigtenstellung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 und 4 VermG eine Feststellung treffen, die isoliert anfechtbar ist und als solche bestandskräftig werden kann, wenn sie nicht angefochten wird (vgl. Urteile vom 16. April 1998 – BVerwG 7 C 32.97 – BVerwGE 106, 310 = Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 9, vom 16. Juli 1998 – BVerwG 7 C 39.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 159 = VIZ 1998, 563; Beschluss vom 25. Februar 1999 – BVerwG 7 B 281.98 – Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 42 und Urteil vom 24. Februar 2010 – BVerwG 8 C 14.08 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 94 m.w.N). Ein Anspruchssteller kann demzufolge bei Vorliegen der entsprechenden prozessrechtlichen Voraussetzungen auch eine isolierte Verpflichtungsklage auf Erlass einer solchen isolierten Berechtigtenfeststellung erheben. Ist eine solche isolierte Entscheidung über die Berechtigtenstellung bei der Behörde jedoch nicht beantragt und von dieser auch nicht getroffen worden, lässt sich die Zulässigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Teilurteils nicht aus der in § 30 Abs. 1 Satz 2 und 4 VermG enthaltenen Ermächtigung der Vermögensämter zum Erlass von Teilbescheiden herleiten und damit begründen (Urteil vom 25. November 2009 a.a.O. Rn. 29 m.w.N.). Mangels vergleichbarer, eine stufenweise Entscheidung gestattender verwaltungsprozessualer Vorschriften bleiben die Verwaltungsgerichte dann nach § 88 VwGO an das auf Rückübertragung des Vermögenswertes gerichtete Klagebegehren gebunden und haben es nach § 86 Abs. 1 und § 113 Abs. 5 VwGO spruchreif zu machen. Verwaltungsverfahrensrechtliche Spezialregelungen können diese prozessrechtliche Pflicht nicht einschränken (Urteil vom 25. November 2009 a.a.O. Rn. 29 m.w.N.).
Rz. 17
Vorliegend war von dem Beklagten keine isolierte selbstständige Teilentscheidung hinsichtlich der Berechtigtenstellung getroffen worden. Dementsprechend konnte und durfte in dem auf Rückübertragung des beanspruchten Grundstücks gerichteten Rechtsstreit weder durch das Verwaltungsgericht noch durch das Bundesverwaltungsgericht isoliert über die Frage der vermögensrechtlichen Berechtigung der Klägerin vorab durch Teilurteil entschieden werden. Dies ist auch nicht geschehen.
Rz. 18
Das zurückverweisende Revisionsurteil ist auch kein rechtskräftiges Zwischenurteil im Sinne von § 109 VwGO gewesen, das für das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 318, 557 Abs. 2 ZPO rechtliche Bindungswirkungen entfaltet hätte. Denn durch Zwischenurteil kann gemäß § 109 VwGO nur über die Zulässigkeit der Klage insgesamt oder isoliert hinsichtlich einzelner Prozessvoraussetzungen entschieden werden. Beides war hier nicht der Fall.
Rz. 19
Schließlich war das zurückverweisende Revisionsurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 auch kein Grundurteil im Sinne von § 111 VwGO, das in Rechtskraft erwachsen wäre. Mit ihm ist über den von der Klägerin geltend gemachten Rückübertragungsanspruch nicht dem Grunde nach abschließend entschieden worden.
Rz. 20
2. Das angegriffene Urteil verstößt nicht gegen § 144 Abs. 6 VwGO. Die Vorschrift bestimmt, dass das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen hat. Missachtet das Tatsachengericht die Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils, so liegt darin ein Verfahrensmangel. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
Rz. 21
a) Das Verwaltungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Bindung des Tatsachengerichts an die rechtliche Beurteilung des zurückverweisenden Revisionsurteils entfällt, wenn sich im zweiten Rechtsgang der Streitstoff in entscheidungserheblicher Weise verändert.
Rz. 22
Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erstreckt sich auf die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts und umfasst die für die Aufhebungsentscheidung kausal ausschlaggebenden Gründe. Dies schließt die den unmittelbaren Zurückweisungsgründen vorausgehenden Gründe jedenfalls insoweit ein, als diese die notwendige (logische) Voraussetzung für die unmittelbaren Aufhebungsgründe waren (Urteil vom 30. Mai 1973 – BVerwG 8 C 159.72 – BVerwGE 42, 243 ≪247≫ = Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 26; Beschluss vom 21. August 1997 – BVerwG 8 B 151.97 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 65 = NJW 1997, 3456; Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 144 Rn. 118 m.w.N.). Erfasst sind damit die Ausführungen des Revisionsgerichts, aus denen sich die Verletzung von revisiblem Recht ergibt (vgl. Beschlüsse vom 19. Februar 1973 – BVerwG 3 B 25.72 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 21 und vom 21. März 1986 – BVerwG 3 CB 30.84 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 46). Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen wird, muss seiner Entscheidung zudem auch die rechtlichen Erwägungen zugrunde legen, wegen derer das Bundesverwaltungsgericht die anderweitige Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 144 Abs. 4 VwGO verneint hat (ebenso u.a. Eyermann/Kraft, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 144 Rn. 26 m.w.N.; Bader, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 144 Rn. 26 m.w.N.).
Rz. 23
Die Bindung nach § 144 Abs. 6 VwGO besteht jedoch nur auf der Grundlage des vom Tatsachengericht im ersten Rechtsgang festgestellten Sachverhalts, der sich durch neue Tatsachenermittlungen und weitere Beweisaufnahmen im zweiten Rechtsgang ändern kann (zur Parallelvorschrift des § 126 Abs. 5 FGO vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1977 – 1 BvR 1023/76 – HFR 1977, 450). Bei einer nachträglichen entscheidungserheblichen Änderung der Sach- und Rechtslage entfällt sie ohnehin (Urteil vom 30. Mai 1973 a.a.O. S. 247; Beschluss vom 21. August 1997 a.a.O.; Eyermann/Kraft, a.a.O. § 144 Rn. 28; Ruban, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 126 Rn. 27). Sie entfällt aber auch bei einer entscheidungserheblichen Änderung des Streitstoffs. Die Vorinstanz, an die die aufgehobene Entscheidung durch das Revisionsgericht zurückverwiesen wird, ist nach dem Wortlaut des § 144 Abs. 6 VwGO lediglich an die “rechtliche” Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden; keine Bindung besteht jedoch hinsichtlich der Tatsachen, die der revisionsgerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegen haben. Die revisionsgerichtliche Entscheidung, die zur Zurückverweisung an die Vorinstanz führt, beruht auf der Tatsachengrundlage, die das Verwaltungsgericht im ersten Rechtsgang festgestellt hatte und an die das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, sofern nicht von den Prozessparteien angebrachte Verfahrensrügen greifen.
Rz. 24
Den Beteiligten ist jedoch unbenommen, nach Zurückverweisung dem Tatsachengericht im zweiten Rechtsgang neue Tatsachen vorzutragen (§ 128 Satz 2 VwGO). Auch das Tatsachengericht selbst ist nicht gehindert, den Sachverhalt weiter aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO). Ändert sich auf diese Weise der entscheidungserhebliche Streitstoff, so wird der zurückverweisenden revisionsgerichtlichen Entscheidung gleichsam die Tatsachengrundlage entzogen. Da das Revisionsurteil die veränderte Tatsachengrundlage noch nicht beurteilt hatte, kann es für sie keine bindende Aussage getroffen haben (so im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 3. April 1985 – IVb ZR 18/84 – NJW 1985, 2029; stRspr des BFH, Nachweise bei Ruban, a.a.O. Rn. 27; BVerfG, Beschluss vom 20. April 1977 a.a.O.; Eichberger, a.a.O. Rn. 125 m.w.N. in Fußnote 317).
Rz. 25
Eine so weit gehende Bindungswirkung wird auch vom Zweck des § 144 Abs. 6 VwGO nicht gefordert. Dieser liegt darin, dass es für die Beteiligten eines Rechtsstreits untragbar und mit der rechtlichen Bedeutung einer revisionsgerichtlichen Entscheidung unvereinbar wäre, wenn das Tatsachengericht im zweiten Rechtsgang die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts als für seine Entscheidung unmaßgeblich behandeln dürfte. Anderenfalls könnte eine endgültige Entscheidung in der Sache dadurch verzögert oder gar verhindert werden, dass sie endlos zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz hin- und hergeschoben wird (vgl. Ruban, a.a.O. Rn. 21 m.w.N.). Eine andere Lage besteht jedoch dann, wenn nach Zurückverweisung des Rechtsstreits im zweiten Rechtsgang neuer Sachvortrag der Beteiligten oder die Sachverhaltsermittlung durch das Tatsachengericht eine gegenüber der revisionsgerichtlichen Entscheidung wesentlich veränderte Tatsachengrundlage ergibt. Dies gilt auch dann, wenn es sich insoweit um das Entdecken oder Auffinden “alter”, also bereits zur Zeit des ersten Rechtsgangs vorliegender, damals vom Tatsachengericht aber noch nicht festgestellter oder übersehener Tatsachen handelt. Denn das Tatsachengericht muss nach einer revisionsgerichtlichen Zurückverweisung des gesamten Rechtsstreits, sofern nicht einzelne Teilentscheidungen (teil-)rechtskräftig geworden sind, eigenständig prüfen, ob die Tatsachengrundlage in entscheidungserheblicher Hinsicht gegenüber dem ersten Rechtsgang unverändert ist oder ob sie sich etwa aufgrund neuen Tatsachenvortrags oder einer nunmehrigen Heranziehung bisher übersehenen oder nicht hinreichend zur Kenntnis genommenen Tatsachenvortrags der Beteiligten oder der Aktenlage anders darstellt. Das mag für die Prozesspartei, die auf der alten Tatsachengrundlage eine für sie günstige, aber noch nicht (teil-)rechtskräftige Entscheidung des Revisionsgerichts erreicht hat, schmerzlich sein, dient aber der materiellen Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die zurückverweisende Entscheidung dem Tatsachengericht noch Raum für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts lässt. Dies war hier hinsichtlich des geltend gemachten Rückübertragungsanspruchs der Fall.
Rz. 26
b) Das Verwaltungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die entscheidungserhebliche Tatsachengrundlage habe sich hier nach dem zurückverweisenden Revisionsurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 verändert.
Rz. 27
Bei den Tatsachen, auf die das Verwaltungsgericht sein Urteil gestützt hat, handelt es sich um Umstände, die den tatsächlichen Feststellungen in seinem ersten Urteil und damit auch dem zurückverweisenden Revisionsurteil nicht zugrunde gelegen hatten. Nach den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ist die Erfassung der Klägerin durch die Thüringer Liste “A” der zu enteignenden Betriebe vom 17. April 1946 erstmals durch den Schriftsatz des Beklagten vom 28. Juli 2010 und damit nach dem zurückverweisenden revisionsgerichtlichen Urteil in das Verfahren eingeführt worden. Zwar hat die Klägerin bestritten, dass das Verwaltungsgericht erstmals durch diesen Schriftsatz von der Thüringer Liste “A…” Kenntnis erhalten habe; sie hat darauf verwiesen, dass sie zu den Enteignungsvorgängen in E… (Land Brandenburg) bereits in ihrer Widerspruchsbegründung vom 12. November 1999 sowie in ihrer Klagebegründung vom 14. Februar 2001 Stellung genommen habe. das gelte auch für den Beklagten, der sich hierzu in seinem Bescheid vom 14. Dezember 1998 geäußert habe. Dies betrifft indes nicht die Thüringer Liste “A…” vom 17. April 1946. Vor allem aber hatte das Verwaltungsgericht diesen Streitstoff im ersten Rechtsgang noch nicht berücksichtigt. Er wird daher von der Bindungswirkung des zurückverweisenden Revisionsurteils nicht erfasst.
Rz. 28
3. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 habe der Enteignung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nicht entgegen gestanden, weil dieses nach den nunmehr getroffenen Feststellungen bereits vor dem 18. April 1948 wirksam enteignet worden sei, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Rz. 29
Nach den tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils war die Klägerin mit dem Namenszusatz “G.-Stadt” 1946 in der Thüringer Liste “A…” der nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 zu enteignenden Unternehmen aufgeführt. Dieser Enteignungszugriff betraf nach den getroffenen Feststellungen nicht nur in G… belegene Vermögensteile der Klägerin. Vielmehr betraf die Enteignung die “W… GmbH Berlin-Dahlem” und damit das gesamte in der SBZ belegene Vermögen der Klägerin, auch wenn sich ihr Sitz in den westlichen Besatzungszonen von Berlin befand. Seine tatsächlichen Feststellungen hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Halle vom 30. März 1995 – 1 VG A 356/92 – gestützt. Darin heißt es, “dass die W… GmbH Berlin-Dahlem, Hausverwaltung G…, in Thüringen gemäß SMAD-Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 beschlagnahmt, enteignet und in Volkseigentum überführt” worden ist. Damit sei nicht nur eine Enteignung der in G… (Thüringen) belegenen Grundstücke, sondern eine Enteignung der “W… GmbH Berlin-Dahlem” in der SBZ erfolgt. Diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts Potsdam hat die Klägerin nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen.
Rz. 30
Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Verwaltungsgericht in seinem angegriffenen Urteil die einschlägigen in der sowjetischen Besatzungszone geltenden und angewandten Regelungen unrichtig festgestellt oder rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewendet hätte.
Rz. 31
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend vom faktischen Enteignungsbegriff des Vermögensrechts ausgegangen. Dieser setzt keine bestimmte Form der Vermögensentziehung voraus. Auch auf deren Rechtmäßigkeit kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde und dass diese Verdrängung in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck kam (stRspr; vgl. Urteile vom 6. April 1995 – BVerwG 7 C 5.94 – BVerwGE 98, 137 ≪141≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 42 S. 105, vom 2. März 2000 – BVerwG 7 C 13.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 11 S. 41 und vom 25. Mai 2005 – BVerwG 8 C 7.04 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 31 S. 107 m.w.N.). Die in den Ländern der SBZ nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 parallel durchgeführten und nach Vorlage der Enteignungslisten der Länder durch die Deutsche Wirtschaftskommission von der Besatzungsmacht im Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigten Unternehmensenteignungen waren nicht nur gegenstandsbezogen auf einzelne Vermögenswerte, sondern auch und in erster Linie personenbezogen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 1 und vom 3. Juni 1999 – BVerwG 7 C 35.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 4 S. 15). Denn Voraussetzung für die Enteignung nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 war die Eigenschaft der Unternehmenseigentümer als “Kriegs-” oder “Naziverbrecher”. Diese Personengruppe sollte durch die Enteignung für ihr früheres Verhalten während des NS-Regimes zur Rechenschaft gezogen und aus dem wirtschaftlichen Leben in der sowjetischen Besatzungszone entfernt werden, damit ihre Betriebe, wie es in der Präambel zum SMAD-Befehl Nr. 64 hieß, “nicht mehr für imperialistische Aggression und zum Schaden des deutschen Volkes ausgenutzt werden” konnten. Mit diesem auf das gesamte Gebiet der SBZ bezogenen Zweck der Enteignungen war es aus der Sicht der Besatzungsmacht nicht vereinbar, wenn derselbe Unternehmenseigentümer von einem Land der SBZ als “Kriegs-” oder “Naziverbrecher” behandelt, in einem anderen Land derselben Besatzungszone hingegen von der Enteignung verschont wurde (vgl. dazu Urteil vom 3. Juni 1999 a.a.O. S. 15). Angesichts dessen ist auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen davon auszugehen, dass Objekt der in Thüringen auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 durchgeführten und durch Nr. 1 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigten Listenenteignungen nicht nur die in G… (Thüringen) befindlichen Unternehmensteile, sondern das Unternehmen der Klägerin in der gesamten sowjetischen Besatzungszone war.
Rz. 32
Damit ist hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, das bis zu der in der SBZ erfolgten Enteignung zum Betriebsvermögen der Klägerin zählte, von einer besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Natur der die Klägerin schädigenden Maßnahme zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 7. Oktober 1949 (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG) auszugehen. Für die besatzungshoheitliche Zurechnung von Maßnahmen deutscher Stellen genügt, dass sie auf Wünsche oder Anregungen der Besatzungsmacht zurückgingen oder sonst deren generellem oder im Einzelfall geäußertem Willen entsprachen (stRspr; vgl. Urteile vom 30. Juni 1994 – BVerwG 7 C 58.93 – BVerwGE 96, 183 ≪185≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 26 S. 47 f. und vom 13. Dezember 2006 – BVerwG 8 C 25.05 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34 Rn. 24 m.w.N.). Da die sowjetische Besatzungsmacht als Inhaberin der obersten Hoheitsgewalt bei der Verwirklichung der von ihr oder mit ihrem Einverständnis angeordneten Maßnahmen jederzeit lenkend und korrigierend eingreifen konnte, erstreckt sich ihre Verantwortung grundsätzlich auch auf die in der Besatzungszeit geübte Enteignungspraxis deutscher Stellen, selbst wenn diese die einschlägigen Rechtsgrundlagen extensiv auslegten oder nach rechtsstaatlichen Grundsätzen willkürlich anwendeten. Der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang wird nur unterbrochen, wenn die Enteignung einem generell oder im Einzelfall ausgesprochenen Verbot der Besatzungsmacht zuwider lief (stRspr; vgl. BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 – 1 BvR 1170/90, 1174/90, 1175/90 – BVerfGE 84, 90 ≪115≫; BVerwG, Urteile vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – BVerwGE 104, 84 ≪86≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104 S. 312, vom 27. Juli 1999 – BVerwG 7 C 36.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 6 S. 22 und vom 13. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 27).
Rz. 33
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein solches Verbot hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Grundstücks nicht aus Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948. Diese Regelung bestimmte, dass es mit den von Nr. 1 und 4 des Befehls erfassten und vor dem 18. April 1948 erfolgten Enteignungen sein Bewenden haben sollte und weitere Sequestrierungen nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 ebenso wie Enteignungen, die nicht auf den bisherigen Beschlagnahmeaktionen nach diesem Befehl beruhten, nach dem Willen der sowjetischen Besatzungsmacht künftig zu unterbleiben hatten (vgl. u.a. Urteil vom 13. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 27). Nr. 1 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigte jedoch die Betriebslistenenteignungen und damit die Enteignung des Betriebsvermögens der Klägerin aufgrund der Thüringer Liste “A…”. Insofern bedurfte es auch keiner Sequestration jedes einzelnen in die Betriebsenteignung einbezogenen Vermögensgegenstandes (Urteil vom 7. März 2012 – BVerwG 8 C 1.11 – juris Rn. 24). Nr. 2 Abs. 1 der von der DWK erlassenen Ersten Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 (Richtlinien Nr. 1) vom 28. April 1948 bestimmte, dass sich die Enteignung wirtschaftlicher Unternehmungen in der sowjetischen Besatzungszone auf das gesamte den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen erstreckte. Da die Klägerin als Unternehmen darauf ausgerichtet war, Wohnungen zu bauen, zu vermieten und gegebenenfalls zu verkaufen, war damit im Geltungsbereich der Richtlinien Nr. 1 der DWK von der in Thüringen erfolgten Enteignung der Klägerin alles zu dem Unternehmen und ihren Niederlassungen in der sowjetischen Besatzungszone gehörende Vermögen erfasst. Darüber hinaus regelte Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 der DWK für Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten, von denen bisher nicht jede ausdrücklich enteignet worden war, dass die Enteignung auch hinsichtlich aller anderen Unternehmensteile zu gelten hatte, die in wirtschaftlichem Zusammenhang untereinander standen. Sollten daher nicht alle Betriebsstätten in den Enteignungslisten verzeichnet gewesen sein, hätte dies an der Enteignung auch dieser Betriebsstätten nichts geändert (vgl. dazu allgemein u.a. Beschlüsse vom 8. April 1998 – BVerwG 7 B 7.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 149 S. 455 und vom 4. November 2002 – BVerwG 7 B 70.02 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 23). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es sich – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – bei den “Niederlassungen” der Klägerin in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nicht um Unternehmensteile oder “unselbstständige Niederlassungen” handelte, sind nicht ersichtlich. Durchgreifende Verfahrensrügen gegen die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil hat die Klägerin nicht erhoben. Gleiches gilt hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht aufgrund der Unternehmensziele und der Unternehmensstruktur angenommenen wirtschaftlichen Zusammenhangs der Klägerin mit ihren Unternehmensteilen und Grundstücken in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, damit also auch in Potsdam.
Rz. 34
Daran ändert auch nichts, dass offenbar den Enteignungsbehörden in Brandenburg im Sommer und Herbst 1948 und auch noch 1949 die Thüringer Sequestrierung und Enteignung der Klägerin möglicherweise nicht hinreichend bekannt war (vgl. dazu allgemein u.a. Urteil vom 7. März 2012 a.a.O. Rn. 22). Soweit Koordinationsschwierigkeiten oder Fehler bei der Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 124 in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone dazu geführt hatten, dass Vermögenswerte eines in den Sequesterlisten aufgeführten Betroffenen nur unvollständig erfasst wurden, entsprach es dem Willen der SMAD, solche Lücken zu schließen (vgl. u.a. Urteile vom 27. Februar 1997 – BVerwG 7 C 42.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 106 S. 321 f. und vom 7. März 2012 a.a.O. Rn. 22 m.w.N.).
Rz. 35
Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die von den Enteignungsbehörden in Potsdam seit Mai 1948 getroffenen zusätzlichen Maßnahmen gegen die Klägerin und ihre dort belegenen Grundstücke bei isolierter Betrachtung ebenfalls auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG erfolgten.
Rz. 36
Ebenso kann offen bleiben, ob das Vorbringen des Beklagten zutreffend ist, das Vermögensgesetz sei auf den Anspruch der Klägerin schon deshalb nicht anzuwenden, weil es sich bei ihr aufgrund ihrer bis zum Kriegsende 1945 bestehenden engen personellen und wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Reichswehrministerium und der Wehrmacht um eine Wohnungsbaugesellschaft gehandelt habe, die seit ihrer Gründung zum Reichsfiskus gehört habe und dass ihre private Form nur zu Tarnzwecken gewählt worden sei.
Rz. 37
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Deiseroth, Dr. Hauser, Dr. Held-Daab, Dr. Rudolph
Fundstellen
Haufe-Index 3591072 |
BVerwGE 2013, 122 |
LKV 2013, 176 |