Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutscher Volkszugehöriger, Ausschluss vom Erwerb des Status eines Spätaussiedlers bei Ausübung einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt bzw. bei mindestens dreijährigem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft mit einem derartigen Funktionsträger;. antizipierte Überstundenanordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Statusausschlussvorschriften des § 5 Nr. 2 Buchstabe b und c BVFG i.d.F. des Art. 6 Nr. 1 HSanG erfassen auch deutsche Volkszugehörige, die ihren Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheides vor dem In-Kraft-Treten des Haushaltssanierungsgesetzes gestellt haben (wie BVerwGE 99, 133 [135 ff.]).
2. § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG geht davon aus, dass derjenige, der in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, den Schutz dieses Systems genoss, für ihn also die für Volksdeutsche sonst bestehende Gefahrenlage nicht fortbestand.
3. Hauptamtlich tätig gewesene Parteifunktionäre der KPdSU sind als das kommunistische Herrschaftssystem tragend nach § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus ausgeschlossen (hier: Ausschluss einer hauptamtlich angestellten Funktionärin eines Rayonskomitees).
4. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Gesetzgebers in § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG, die ursprünglich für die Volksdeutschen bestehende Gefahrenlage bestehe auch bei demjenigen Volksdeutschen nicht fort, der mindestens drei Jahre mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von Nummer 2 Buchstabe b in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat.
Normenkette
BVFG 2000 § 5 Nr. 2 Buchst. b, c
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 29.03.2000; Aktenzeichen 2 A 2762/98) |
VG Köln (Entscheidung vom 20.04.1998; Aktenzeichen 17 K 6581/94) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. März 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren ihre Aufnahme als Spätaussiedler.
Die Klägerin zu 1 wurde am 15. März 1952 im Gebiet Omsk in der früheren Sowjetunion als Tochter deutscher Volkszugehöriger geboren. Aus ihrer Ehe mit dem Kläger zu 2, einem russischen Volkszugehörigen, entstammen die am 26. März 1976 und 15. Oktober 1981 geborenen Söhne, die Kläger zu 3 und 4. Der am 18. September 1992 gestellte Antrag auf Aufnahme in das Bundesgebiet wurde am 2. Juni 1994 vom Bundesverwaltungsamt nach § 5 Abs. 1 Buchstabe d BVFG a.F. abgelehnt, weil die Klägerin zu 1 von 1983 bis 1988 als Konsultantin für politische Aufklärung und später als Instrukteurin der Industrie- und Verkehrsabteilung im Rayonskomitee der KPdSU tätig war. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Der Kläger zu 2 hat seine Klage auf Einbeziehung in den Aufnahmebescheid der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht zurückgenommen, nachdem sich die Beklagte verpflichtet hatte, ihn nach einer rechtskräftigen positiven Entscheidung über die Erteilung eines Aufnahmebescheides an die Klägerin zu 1 in deren Aufnahmebescheid einzubeziehen, wenn nachgewiesen wird, dass dieser heute und im Zeitpunkt der Erteilung des Aufnahmebescheides an die Klägerin zu 1 deren Ehemann war bzw. ist. Die Klagen der Klägerin zu 1 und ihrer Söhne hat das Oberverwaltungsgericht abgewiesen, und zwar im Wesentlichen aus folgenden Gründen:
Die Klägerin zu 1 habe keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Dem stehe § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG entgegen. Diese Vorschrift sei mangels Überleitungsvorschriften des Haushaltssanierungsgesetzes das nach den materiellrechtlichen Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebende Recht zur Beurteilung des von der Klägerin zu 1 geltend gemachten Aufnahmeanspruches. Die Klägerin zu 1 könne sich insoweit auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die von der Klägerin zu 1 von 1983 bis 1988 innegehabte Stellung als hauptamtliche Parteifunktionärin sei eine Funktion i.S. des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG, die den Erwerb der Rechtsstellung als Spätaussiedler ausschließe. Grund für den Ausschluss sei, dass Aufnahmebewerber sich dadurch in einer Weise in dieses System eingefügt und ihm gedient hätten, dass davon auszugehen sei, dass sie jedenfalls gegen die deutsche Minderheit gerichteten Maßnahmen im Aussiedlungsgebiet nicht (mehr) ausgesetzt gewesen seien und deshalb eine Aufnahme als Spätaussiedler nicht geboten sei. Nach der die politischen Verhältnisse im fraglichen Zeitraum regelnden sowjetischen Verfassung habe das kommunistische Herrschaftssystem in der früheren Sowjetunion in der Herrschaft der KPdSU als „führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft” und „Kern ihres politischen Systems” bestanden. Demgemäß sei eine Funktion dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam anzusehen, wenn eine hauptamtliche Tätigkeit als Parteifunktionär ausgeübt worden sei. Denn der Parteiapparat der KPdSU mit den Büros und Sekretariaten als seine entscheidenden Organe hätte zum Kern des kommunistischen Herrschaftssystems der UdSSR gehört.
Der Umstand, dass die Klägerin zu 1 im Jahre 1988 nach knapp fünf Jahren aus der Parteiarbeit des Rayonskomitees entlassen worden sei, berühre ihren Ausschluss vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft gemäß § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG nicht. Sei der Ausschlusstatbestand einmal erfüllt, könne er in der Regel nicht nachträglich durch weitere bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems eintretende Umstände wieder entfallen. Dies würde dem Sinn und Zweck der Ausschlussregelung widersprechen, die Aufnahme solcher Bewerber zu verhindern, die sich bis dahin an die Verhältnisse in den Aussiedlungsgebieten in einem Maße angepasst hätten, das ihre Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland entbehrlich mache. Unerheblich sei deshalb, ob die Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des kommunistischen Herrschaftssystems noch ausgeübt worden sei.
Der Anspruch der Kläger zu 3 und 4 auf Erteilung des begehrten Aufnahmebescheides scheitere daran, dass diese den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG erfüllten. Denn sie hätten ausweislich des Inhaltes ihrer Aufnahmeanträge nach dem 23. Juni 1983 mindestens drei Jahre mit der Klägerin zu 1 in häuslicher Gemeinschaft gelebt.
Gegen dieses Urteil haben die Klägerin zu 1 und die Kläger zu 3 und 4 Revision eingelegt, mit der sie ihren Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides weiterverfolgen; die Kläger zu 3 und 4 beantragen hilfsweise die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter. Sie rügen Verletzung des § 5 Nr. 2 Buchstabe b und c BVFG. Die Klägerin zu 1 sei nur auf Rayonsebene beim Sekretariat angestellt und eben nicht gewählte Sekretärin gewesen. Unzweifelhaft stelle eine bloße Angestelltenfunktion auf Rayonsebene nach der hierarchischen Struktur der KPdSU keine Funktion dar, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam gewesen wäre. Darüber hinaus verstoße das Berufungsurteil gegen Verfassungsrecht, da der Ausschlusstatbestand mangels Übergangsvorschrift keine Anwendung hätte finden dürfen. Dies gelte insbesondere bei überlanger Verfahrensdauer. Selbst wenn bei der Klägerin zu 1 der Ausschlusstatbestand erfüllt wäre, dürften die Kläger zu 3 und 4 nicht ausgeschlossen werden, da die Regelung des § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit keine Anwendung finden könne. Die Vorschrift verstoße gegen Art. 6 GG. Durch die bloße zeitlich begrenzte Dauer eines Zusammenlebens mit einer Person, die selbst den Ausschlusstatbestand erfülle, werde für die übrigen Familienmitglieder eine „Sippenhaft” begründet. Die Normierung lege in unzulässiger Weise den Familienangehörigen eine Notwendigkeit auf, das familiäre Zusammenleben innerhalb einer Frist von drei Jahren aufzulösen, um selbst nicht vom Ausschlusstatbestand betroffen zu werden. Die betroffenen Kinder würden dadurch in einen verfassungsrechtlich unzulässigen Gewissenskonflikt getrieben.
Der Beklagte, das beigeladene Land Sachsen-Anhalt und der Oberbundesanwalt verteidigen das angefochtene Urteil. Der Oberbundesanwalt trägt vor: Die von den Klägern vermisste Übergangsregelung sei von Verfassungs wegen nicht geboten. Denn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch beziehe sich auf einen hypothetischen, in der Zukunft liegenden Statuserwerb, der bis zu seiner Entstehung dem nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte beschränkten Zugriff des Gesetzgebers unterliege. Ein Verstoß des § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG gegen Art. 6 GG sei nicht ersichtlich. Diese Regelung sei durch einleuchtende Sachgründe gerechtfertigt, nämlich durch die vom Gesetzgeber typisierend unterstellte besondere Begünstigung aufgrund einer herausgehobenen Funktion im früheren kommunistischen Herrschaftssystem, die nicht nur dem Funktionsinhaber allein, sondern bei lebensnaher Betrachtung in aller Regel auch seinen nächsten Familienangehörigen zugute gekommen sein dürfte.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht entschieden, dass den Klägern kein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach den §§ 26, 27 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts (Haushaltssanierungsgesetz – HSanG –) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2534), zusteht.
Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Aufnahmebegehren der Klägerin zu 1 die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Regelung des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG i.d.F. des Art. 6 Nr. 1 Buchstabe b HSanG entgegengehalten. Diese Vorschrift gilt in Ermangelung einer gesetzlichen Überleitungsvorschrift auch für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren (vgl. BVerwGE 99, 133 [135 ff.]). Nach § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG erwirbt den Status als Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht, wer in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles war. Die Vorschrift knüpft an das fehlende Kriegsfolgenschicksal des Antragstellers an (BTDrucks 14/1523, S. 172; 14/1636, S. 175). § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG macht dies jedoch – ebenso wie seine Vorgängervorschrift § 5 Nr. 1 Buchstabe d BVFG a.F. – nicht an dem Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes fest. Das Gesetz billigt damit dem deutschen Volkszugehörigen nach wie vor zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion (vgl. BVerwGE 108, 340 [343 f.] zur Vorgängervorschrift). § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG geht vielmehr davon aus, dass das für deutsche Volkszugehörige sonst (möglicherweise) bestehende Kriegsfolgenschicksal nicht mehr fortbestand, wenn der deutsche Volkszugehörige im Aussiedlungsgebiet eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, weil er damit den Schutz dieses Systems genoss.
Nicht verkannt wird, dass auch diese Gruppe deutscher Volkszugehöriger nach dem Ende ihrer Funktionsausübung und insbesondere nach dem Untergang des kommunistischen Herrschaftssystems gegebenenfalls mit Nachteilen wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit rechnen muss. Das für die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG maßgebliche Kriegsfolgenschicksal knüpft aber nicht nur an die Benachteiligung als deutscher Volkszugehöriger oder deren Nachwirkungen an, sondern setzt weiter einen örtlichen und zeitlichen Bezug, den ständigen Aufenthalt bzw. Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet seit den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BVFG genannten Stichtagen, voraus. Damit stellt § 4 BVFG für die Rechtsstellung als Spätaussiedler mit den sich daraus ergebenden Rechten wesentlich auf eine in den Aussiedlungsgebieten entstandene und fortdauernde Gefahrenlage ab. Fehlt sie, z.B. bei späterer Einreise in das Aussiedlungsgebiet, z.B. zur Heirat, oder ist sie unterbrochen, z.B. bei Aus- und späterer Wiedereinreise, so sind spätere Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit kein die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG begründendes Kriegsfolgenschicksal. Entsprechend betrifft auch der Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG einen Fall, in dem die ursprünglich für den deutschen Volkszugehörigen bestehende Gefahrenlage entfallen ist. Das Gesetz geht davon aus, dass derjenige, der in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, den Schutz dieses Systems genoss, für ihn also die für Volksdeutsche sonst bestehende Gefahrenlage nicht fortbestand. Wenn dieser Volksdeutsche dann später doch Benachteiligungen unterliegen sollte, z.B. nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Volksdeutscher in einer dann selbständigen Republik der ehemaligen Sowjetunion, so ist doch die ursprüngliche für die Rechtsstellung als Spätaussiedler maßgebliche Gefahrenlage unterbrochen gewesen und vermag eine neu entstehende Gefahrenlage nicht mehr die Rechtsstellung als Spätaussiedler zu begründen.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Frage, welche Funktionen i.S. des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG gewöhnlich als bedeutsam galten, nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems herrschenden politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet beantwortet. Diese waren – wie der Senat bereits zur Vorgängervorschrift hervorgehoben hat (BVerwGE 108, 340 [345 f.]) – in der früheren Sowjetunion geprägt durch die führende Rolle, die der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) in Staat und Gesellschaft zukam. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der sowjetischen Verfassung vom 7. Oktober 1977 bezeichnete die KPdSU als die „führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft” und den „Kern ihres politischen Systems, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen”. Dem entsprach auch die Verfassungswirklichkeit und die politische Doktrin in der Sowjetunion (vgl. Meissner, in: Handbuch der Sowjetverfassung, redigiert von Martin Fincke, 2. Aufl. 1983, Art. 6 Rn. 8 ff.). Folgerichtig war die KPdSU auch auf allen territorialen Ebenen der Unionsrepubliken (vgl. Art. 79, 145 Sowjetverfassung 1977) bis hinunter zu den Rayons und den ländlichen Ortschaften, Siedlungen, Stadtbezirken und Kleinstädten mit Parteikomitees, Büros und Sekretariaten vertreten, um ihren Führungsanspruch bis auf die unterste staatliche Ebene hinab zur Geltung zu bringen. Zur Durchsetzung ihrer führenden Rolle hatte sich die Partei einen mit hauptamtlich tätigen Funktionären besetzten Apparat geschaffen, der zusammen mit den Parteiorganen das Herzstück des kommunistischen Herrschaftssystems bildete (vgl. Voslensky, Nomenklatura, 3. Aufl. 1987, S. 171 f.). Zu Recht ist deshalb das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass hauptamtlich tätige Parteifunktionäre der KPdSU eine Funktion ausgeübt haben, die in der ehemaligen Sowjetunion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt i.S. des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG.
Eine solche Funktion hat die Klägerin zu 1 nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts fast fünf Jahre lang innegehabt. Sie wurde durch Protokoll des Rayonskomitees der KPdSU von Kupino vom 22. Juni 1983 als „Konsultant im Amtszimmer für politische Aufklärung des Rayonskomitees der KPdSU” eingestellt, d.h. sie war – wie der vom Verwaltungsgericht bestellte Sachverständige Prof. Dr. Dr. Voslensky in seinem Gutachten vom 27. November 1995 ausgeführt hat – für politische Propaganda zuständig. Zwei Jahre später wurde sie „Instrukteur der Industrie- und Verkehrsabteilung im Rayonskomitee der KPdSU”. Dass die Klägerin zu 1 am 23. Februar 1988 ihre Mitarbeit im Parteiapparat aufgab und ihrer Ausbildung entsprechend wieder auf technischen Posten in der Milchindustrie tätig war, berührt – wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat – das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG nicht. Denn § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG verlangt nur, dass der Ausgeschlossene in den Aussiedlungsgebieten eine entsprechende Funktion „ausgeübt hat”, schreibt aber – anders als § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG – weder eine Mindestdauer vor noch, dass diese Funktionsausübung bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems angedauert haben muss. Zeitliche Mindestanforderungen an die Dauer der Funktionsausübung ließen sich deshalb allenfalls aus dem Zweck des Ausschlusstatbestandes gewinnen, wenn die Funktionsausübung von so kurzer Dauer war, dass sie die gesetzliche Annahme, das fortwirkende Kriegsfolgenschicksal sei unterbrochen, offensichtlich und eindeutig nicht zu rechtfertigen vermochte. Eine solche möglicherweise unter teleologischen Gesichtspunkten unbedeutende kurzfristige Funktionsausübung wird aber bei einer Dauer von fast fünf Jahren bei weitem überschritten.
Nicht zu beanstanden ist schließlich die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass der Anspruch der Kläger zu 3 und 4 auf Erteilung eines Aufnahmebescheides an § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG scheitert, weil sie nach dem 23. Juni 1983 mit der Klägerin zu 1 mindestens drei Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Auch bei diesem Personenkreis deutscher Volkszugehöriger konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass sie jedenfalls in der Zeit der häuslichen Gemeinschaft mit den Funktionsträgern nach Nummer 2 Buchstabe b den Schutz des Herrschaftssystems genossen, eine Gefahrenlage für sie also nicht fortbestand, vielmehr das fortwirkende Kriegsfolgenschicksal unterbrochen war.
Zu Unrecht bestreitet die Revision die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift. Sie knüpft nicht an der verwandtschaftlichen oder familiären Beziehung der ausgeschlossenen Person zu dem Funktionsträger im Sinne von § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG an, sondern an dem Zusammenleben mit diesem in häuslicher Gemeinschaft. Die nachteiligen Rechtsfolgen der Norm treffen also Nichtfamilienmitglieder in gleicher Weise wie Familienmitglieder, so dass eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Benachteiligungsverbot ausscheidet (vgl. BVerfGE 28, 104 [112]). § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG übt entgegen der Auffassung der Revision auch keinen verfassungsrechtlich unzulässigen Zwang zur Auflösung des Familienverbandes aus. Denn die Vorschrift knüpft an in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalten an und besitzt deshalb keine verhaltenssteuernde Wirkung.
Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 95, 143 [154 f.]; stRspr). Dabei ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers weiter bemessen, wenn Regelungen zur Beseitigung von Kriegsfolgelasten betroffen sind (vgl. BVerfGE 95, 143 [155]). Die Gewährung des Spätaussiedlerstatus ist mit weitreichenden finanziellen und sozialpolitischen Vorteilen verbunden. Wenn sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, diesen Status deutschen Volkszugehörigen vorzuenthalten, die zu den Stützen des kommunistischen Herrschaftssystems gehörten oder die mit derartigen Funktionsträgern über längere Zeit hinweg in häuslicher Gemeinschaft lebten, so ist die hierin liegende Ungleichbehandlung gegenüber der Gruppe der nicht in das kommunistische Herrschaftssystem integrierten deutschen Volkszugehörigen sachlich gerechtfertigt. Denn bei der benachteiligten Gruppe der für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsamen Funktionsträger und der mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft Lebenden durfte der Gesetzgeber bei typisierender Betrachtungsweise davon ausgehen, dass sie anders als die Mehrzahl der in den Aussiedlungsgebieten lebenden deutschen Volkszugehörigen nicht mehr von den Spätfolgen des Krieges und den damit verbundenen Nachteilen betroffen waren, vielmehr das fortwirkende Kriegsfolgenschicksal unterbrochen war.
Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen tragen die Kläger (§ 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Franke, Dr. Jannasch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.03.2001 durch Stoffenberger Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 116 |
DÖV 2001, 788 |
NJ 2001, 557 |
DVBl. 2001, 1156 |