Entscheidungsstichwort (Thema)
Alimentation. Arbeitszeit. Bereitschaftsdienst. Gemeinschaftsrecht. Gesetzesbindung der Besoldung. Mehrarbeitsvergütung
Leitsatz (amtlich)
Die von einem Beamten in Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit ist weder nach nationalem Recht noch nach Gemeinschaftsrecht wie Mehrarbeit in “Volldienst” zu vergüten.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 33 Abs. 5; BBesG § 48; MVergV §§ 2-5; EG Art. 137; EWGVtr a.F. Art. 118a; Richtlinie 89/391/EWG; Richtlinie 93/104/EG; Richtlinie 2000/34/EG
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.03.2003; Aktenzeichen 2 A 10043/03) |
VG Mainz (Urteil vom 13.11.2002; Aktenzeichen 7 K 435/02) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. März 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist als Justizvollzugshauptsekretär bei einer Jugendarrestanstalt beschäftigt. Dort versah er u.a. Bereitschaftsdienst, der im strittigen Zeitraum von 1996 bis 2001 zu einem Zeitanteil von 50 v.H. vergütet worden ist. Seinen Antrag von Juli 2001, den Bereitschaftsdienst als Mehrarbeit in vollem zeitlichen Umfang finanziell auszugleichen, lehnte der Beklagte ab.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Der Bereitschaftsdienst eines Beamten sei zwar als Dienst und nicht als Freizeit zu bewerten, doch könne diese Form der Arbeitszeit unter Effektivitätsgesichtspunkten nicht ohne weiteres mit der vollen Arbeitszeit gleichgesetzt werden. Zwischen den Beteiligten stehe außer Frage, dass der Beklagte an die Grenze des besoldungsrechtlich Zulässigen gegangen sei, als er die Zeitdauer des Bereitschaftsdienstes zu 50 v.H. auf die abgeltungsfähige Mehrarbeit angerechnet habe. Nach Gemeinschaftsrecht sei eine vollständige Vergütung des Bereitschaftsdienstes als Mehrarbeit nicht geboten. Dies folge schon daraus, dass sich das Gemeinschaftsrecht von keiner vergütungsrechtlichen Regelungsabsicht leiten lasse.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. März 2003 und des Verwaltungsgerichts Mainz vom 13. November 2002 sowie die Bescheide des Beklagten vom 7. September 2001 und vom 11. März 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger für die Jahre 1996 bis 2001 Mehrarbeitsvergütung nach der vollen Höhe der als Bereitschaftsdienst geleisteten Mehrarbeit zuzüglich 5 % Zinsen des nachzuzahlenden Mehrarbeitsvergütungsbetrages über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts im Ergebnis an.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Vergütung, die über die Zahlungen hinausgeht, die er bereits für die in den Jahren 1996 bis 2001 in Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit erhalten hat. Die in Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit wird besoldungsrechtlich nicht wie “Volldienst” behandelt.
Nach der auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 BBesG erlassenen Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte (MVergV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. März 1992 (BGBl I S. 528) mit späteren Änderungen, ab 1. Januar 1999 anzuwenden in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1998 (BGBl I S. 3494), haben Beamte mit Dienstbezügen in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern unter den Voraussetzungen der §§ 2 und 3 MVergV Anspruch auf Vergütung für Mehrarbeit. Diese von der Alimentationspflicht zwar nicht geforderten, mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG allerdings ohne weiteres vereinbaren Regelungen (vgl. Urteil vom 21. Februar 1991 – BVerwG 2 C 48.88 – BVerwGE 88, 60 ≪62≫), die an das Leistungsprinzip anknüpfen, sehen keine allgemeine “Überstundenvergütung” vor. Eine Abrechnung nach Arbeitsstunden, auch wenn sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus anfallen, wird nicht von der Leitvorstellung umfasst, wonach die Besoldung die vom Staat festgesetzte Gegenleistung dafür ist, dass sich ihm der Beamte mit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung stellt und gemäß den jeweiligen Anforderungen seine Dienstpflichten nach Kräften erfüllt (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 11. April 1967 – 2 BvL 3/62 – BVerfGE 21, 329 ≪345≫; Beschluss vom 7. Mai 1974 – 2 BvR 267/71 – BVerfGE 37, 167 ≪179≫; BVerwG, Urteil vom 10. April 1997 – BVerwG 2 C 29.96 – BVerwGE 104, 230 ≪234≫). Danach stehen Besoldung und Dienstleistung nicht in einem unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis. Vielmehr ist der Beamte prinzipiell verpflichtet, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unentgeltlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu erbringen. Auch diese “Mehrleistung” ist grundsätzlich mit den Dienstbezügen abgegolten. Andererseits hat ein unverschuldetes Fernbleiben vom Dienst keine nachteiligen besoldungsrechtlichen Folgen (vgl. z.B. Urteil vom 1. April 2004 – BVerwG 2 C 14.03 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger Bereitschaftsdienst geleistet hat, der arbeitszeitrechtlich und besoldungsrechtlich als Mehrarbeit zu qualifizieren ist (vgl. Urteil vom 9. Mai 1985 – BVerwG 2 C 20.82 – Buchholz 235 § 48 BBesG Nr. 6 S. 5 f. m.w.N.; Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 2 C 24.95 – Buchholz 240.1 BBesO Nr. 17), und dass die dem Kläger gezahlte Vergütung nach den Maßgaben der §§ 4 und 5 MVergV nicht zu beanstanden ist. Dies stellt die Revision nicht in Frage.
Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 MVergV wird die in Bereitschaft geleistete Mehrarbeit nicht in der von § 4 MVergV vorgeschriebenen Höhe, sondern nur entsprechend dem Umfang der erfahrungsgemäß bei der betreffenden Tätigkeit durchschnittlich anfallenden Inanspruchnahme berücksichtigt, wobei schon die Ableistung eines Dienstes in Bereitschaft als solche im jeweils angemessenen Umfang anzurechnen ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Mehrarbeitsvergütung die Arbeitszeit fiktiv reduziert wird oder ob die Vergütung für die in Bereitschaft geleistete Mehrarbeit gegenüber den Ansätzen des § 4 MVergV nach dem Kriterium der regelmäßigen tatsächlichen Beanspruchung gemindert wird.
§ 5 Abs. 1 Satz 2 MVergV ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Das Prinzip der strengen Gesetzesbindung der Besoldung gemäß § 2 BBesG ist nicht verletzt. Zwar hat der Verordnungsgeber die Vergütung für in Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit betragsmäßig nicht festgesetzt. Vielmehr berechnet sich die Vergütung in diesen Fällen – auf der Grundlage der in § 4 MVergV bestimmten Sätze – nach dem auf die erfahrungsgemäß durchschnittliche tatsächliche dienstliche Beanspruchung entfallenden Zeitanteil; bereits die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst ist angemessen zu berücksichtigen. Diese Vorgaben eröffnen kein Ermessen der für die Besoldung zuständigen Stellen. Ob die Mehrarbeitsvergütung zutreffend festgesetzt worden ist, unterliegt uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1985, a.a.O. S. 6 f.).
Dass die Mehrarbeitsvergütung für Bereitschaftsdienst nicht die Höhe der Mehrarbeitsvergütung für “Volldienst” erreicht, wird durch § 48 BBesG oder § 72 BBG und entsprechendes Landesrecht nicht ausgeschlossen. Das abgesenkte Niveau ist gerechtfertigt, weil diese Form der Arbeitszeit hinsichtlich Intensität und Effektivität nicht dem “Volldienst” gleichgestellt werden kann (vgl. Beschluss vom 8. März 1967 – BVerwG 6 C 79.63 – ZBR 1967, 317 f.). Während des Bereitschaftsdienstes wird der Beamte nicht ununterbrochen beschäftigt. Vielmehr hat er sich an dem vom Dienstherrn bestimmten Ort für einen jederzeitigen Einsatz bereitzuhalten. Danach ist der Bereitschaftsdienst durch überwiegende Phasen der Ruhe und Entspannung geprägt. Diese Unterschiede rechtfertigen eine ungleiche besoldungsrechtliche Behandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG.
Gemeinschaftsrecht gebietet im Hinblick auf die Vergütung nicht die Gleichstellung von Mehrarbeit ohne Rücksicht darauf, ob sie als “Volldienst” oder als “Bereitschaftsdienst” geleistet wird. Zwar ist nach dem Recht der Europäischen Union Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu qualifizieren. Gemeinschaftsrecht regelt indessen nicht die Entlohnung für als Mehrarbeit erbrachten Bereitschaftsdienst. Aus den arbeitszeitrechtlichen Schutzvorschriften ergibt sich auch mittelbar kein Anspruch darauf, dass Bereitschaftsdienst wie “Volldienst” zu vergüten ist.
Die auf der Grundlage des Art. 118a EGV (nunmehr Art. 137 EG) ergangene und die allgemeinen Grundsätze der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG vom 12. Juni 1989 konkretisierende Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993, geändert durch die Richtlinie 2000/34/EG vom 22. Juni 2000, enthält dem Wortlaut nach keinerlei Bestimmungen über die Vergütung, die für als Mehrarbeit geleisteten Bereitschaftsdienst zu zahlen ist. Diese Zurückhaltung entspricht der Zielsetzung der Richtlinie und den Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts. Danach besteht kein Zweifel, dass § 5 MVergV mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass Bereitschaftsdienst, wie ihn der Kläger geleistet hat, Arbeitszeit ist (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-303/98, Simap, Slg. 2000, I-7963, Rn. 48; Urteil vom 9. September 2003 in der Rechtssache C-150/02, Jaeger, Rn. 63, ZBR 2004, 93; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – BVerwG 6 P 7.03 – PersR 2004, 106). Die gemeinschaftsrechtliche Einbeziehung des Bereitschaftsdienstes in die Arbeitszeit hat indessen ausschließlich arbeitszeitrechtliche, nicht dagegen besoldungsrechtliche Konsequenzen (vgl. BAG, Urteil vom 5. Juni 2003 – 6 AZR 114/02 – ZTR 2004, 137; Franke, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 9. September 2003, a.a.O. S. 99). Die Richtlinie, die prinzipiell auch Beamte einbezieht, beschränkt sich auf das Arbeitsschutzrecht. Dies macht bereits die Kennzeichnung des Inhalts der Richtlinie mit der Wendung “bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung” deutlich. Nach der Vorbemerkung liegt ihr die Erwägung zugrunde, dass durch “Mindestvorschriften für die Arbeitszeitgestaltung” die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft verbessert werden können: “um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft zu gewährleisten, müssen ihnen Mindestruhezeiten – je Tag, Woche und Jahr – sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden”. Entsprechend dieser Zielsetzung sind nach Art. 1 Abs. 2 Gegenstand der Richtlinie “die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus”. Schutzzweck der Regelung ist mithin die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer. Diese sollen vor quantitativer Überforderung und tageszeitlich bedingten Überbelastungen geschützt werden. Dieser Schutz wird ausschließlich durch Vorgaben für die Arbeitszeitgestaltung, dagegen nicht für die Festsetzung des Arbeitsentgeltes erreicht.
Dieses Regelungsziel entspricht der allgemeinen Intention der “Grundrichtlinie” 89/391/EWG, Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vorzusehen. Darauf zielt ebenso der frühere Art. 118a EGV, wonach der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegt, die die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer verstärkt zu schützen. Diese nunmehr in Art. 137 Abs. 1 EG enthaltene Ermächtigung beschränkt in Abs. 6 zugleich die Regelungskompetenzen. Danach dürfen die regelungsbefugten Organe keine Vorschriften über das Arbeitsentgelt erlassen (vgl. auch BAG, Urteil vom 5. Juni 2003, a.a.O.). Hierdurch wird ein Übergriff des Gemeinschaftsrechts auf das Entlohnungs- und Besoldungsrecht ausgeschlossen. Schon aus diesem Grund versagt sich die Richtlinie jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf den Umfang der Vergütung für die verschiedenen Formen der Arbeitszeit wie Nachtarbeit, Schichtarbeit oder Mehrarbeit (“Überstunden”). Deren Regelung bleibt ausschließlich dem nationalen – öffentlichen oder privatautonomen – Recht vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Albers, Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen
Haufe-Index 1177084 |
ZBR 2004, 431 |
ZTR 2004, 555 |
DÖD 2004, 277 |
PersV 2004, 437 |
RiA 2004, 237 |
BayVBl. 2004, 634 |
DVBl. 2004, 1374 |
GK/Bay 2005, 157 |