Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschlossensein eines Grundstücks. Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands. Beitragspflicht eines Miteigentümers, der zugleich Wohnungseigentümer ist
Leitsatz (amtlich)
Der Miteigentümer eines durch eine Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücks unterliegt auch dann der Erschließungsbeitragspflicht, wenn die in seinem Sondereigentum stehende Wohnung von der Erschließungsanlage keinen Zugang hat.
Normenkette
BBauG § 130 Abs. 2, § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 134; WEG § 1 Abs. 2, 5
Beteiligte
1) des Steuerberaters Bruno Scheurer |
2) seiner Ehefrau Helga Scheurer |
Rechtsanwälte Wilhelm Beisel u. a |
Oberbürgermeister in Karlsruhe 1 |
Rechtsanwalt Max Wolter in Berlin |
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht |
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.12.1978; Aktenzeichen II 3131/77) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 04.10.1977; Aktenzeichen II 84/77) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Kläger, die sich gegen ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag wenden, sind Miteigentümer einer Eigentumswohnung im zweiten Obergeschoß des Wohngebäudes Kaiserstraße 165 in Karlsruhe, das auf dem Grundstück Flurstück 1224 steht. Ihr Miteigentumsanteil an diesem Grundstück beträgt 115,62/1000. Das im Gebiet des Bebauungsplans „Kaiserstraße” liegende Grundstück grenzt im Norden an die Kaiserstraße und im Süden an die Straße Südlicher Herrenhof. Die Eigentumswohnung der Kläger hat Zugang von der Kaiserstraße; ein Zugang von der Straße Südlicher Herrenhof besteht nicht.
Der westliche Teil der Straße Südlicher Herrenhof wurde bereits (früher) unter der Geltung des Badischen Ortsstraßengesetzes ausgebaut und abgerechnet. Nachdem die Beklagte den Grunderwerb für den Ausbau der Straße in ihrem östlichen Teil einschließlich eines abzweigenden Nebenwegs abgeschlossen und die Fahrbahn hergestellt hatte, veranlagte sie die Kläger wegen der hierfür entstandenen Aufwendungen durch den am 6. Dezember 1976 zugestellten Bescheid vom 3. Dezember 1976 im Wege der Kostenspaltung zu einem Erschließungsbeitrag von 616,73 DM. Den von den Klägern dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 14. Februar 1977 zurück.
Die Kläger haben Klage erhoben mit dem Antrag, die genannten Bescheide aufzuheben. Sie haben im ersten und zweiten Rechtszug im wesentlichen vorgetragen: Da infolge der baulichen Konstruktion des auf dem Grundstück stehenden Wohnhauses von der Straße Südlicher Herrenhof keine Zugangsmöglichkeit zu ihrer Eigentumswohnung bestehe, werde diese durch die Straße nicht erschlossen. Das Prinzip des mit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen bezweckten Vorteilsausgleichs gebiete in einem solchen Fall eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Danach ergebe sich für ihr Wohnungseigentum ebensowenig wie für das der übrigen Miteigentümer ein Vorteil aus dem Ausbau der Straße Südlicher Herrenhof. Diese erschließe vielmehr nur das Sondereigentum des Juweliers B. Der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid sei auch deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte bei der Ermittlung des Erschließungsaufwands keinen förmlichen Beschluß über die Bildung eines (Straßen-)Abschnitts bzw. einer Erschließungseinheit gemäß § 130 Abs. 2 BBauG gefaßt habe.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, nicht das Wohnungseigentum der Kläger, sondern das in ihrem Miteigentum stehende Grundstück unterliege der Erschließungsbeitragspflicht. Da das Grundstück einen Zugang zur Straße Südlicher Herrenhof habe, sei die Heranziehung der Kläger rechtmäßig. Auf die innere Gestaltung des Bauwerks auf diesem Grundstück komme es nicht an. Zur Ermittlung des Erschließungsaufwands sei eine Abschnittsbildung gemäß § 130 Abs. 2 BBauG nicht erforderlich gewesen, weil der westliche Teil der Straße bereits früher abgerechnet worden sei. Die Bildung einer Erschließungseinheit mit anderen Erschließungsanlagen sei nicht in Betracht gekommen, weil die Erschließungsanlage von historischen Ortsstraßen umgeben sei.
Die Klage hatte in beiden Rechtszügen keinen Erfolg. Im Urteil des Berufungsgerichts vom 18. Dezember 1978 ist ausgeführt: Das Grundstück Flurstück Nr. 1224 unterliege gemäß §§ 127 ff. BBauG in Verbindung mit der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 27. Juni 1961 in der hier maßgeblichen Fassung vom 29. Juni 1976 der Beitragspflicht. Ein förmlicher Beschluß über die Bildung eines Abrechnungsgebiets im Sinne des § 130 Abs. 2 BBauG sei nicht erforderlich gewesen, weil unter den Straßen in der näheren Umgebung die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nur noch für den Ausbau des östlichen Teils der Straße Südlicher Herrenhof in Betracht gekommen sei. Die anderen Straßen bzw. Straßenabschnitte seien historische Straßen, für die die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ausgeschlossen sei. Die Beklagte habe die Kläger auch zu Recht nach § 134 Abs. 1 BBauG zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen. Ihr Einwand, die Erschließungsanlage Südlicher Herrenhof biete ihnen keinen Vorteil, greife nicht durch. Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der systematischen Stellung des im Jahre 1976 eingefügten zweiten Halbsatzes des § 134 Abs. 1 Satz 3 BBauG ergebe sich, daß durch diese Neuregelung keine sachliche Änderung der in den §§ 133 Abs. 1 und 134 BBauG normierten Grundsätze, wonach die Entstehung der Beitragspflicht u. a. vom Erschlossensein eines Grundstücks abhänge und die Beitragspflicht den Grundstückseigentümer treffe, beabsichtigt gewesen sei. Ob in Fällen von Miteigentum ein Miteigentümer aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen von dem durch die Erschließung des Grundstücks gebotenen Vorteil keinen Gebrauch machen könne oder wolle, sei ohne Bedeutung. Im übrigen bestehe der vom Gesetzgeber vorausgesetzte Vorteil durch die Herstellung der Erschließungsanlage bereits in der Möglichkeit, von dieser – gegebenenfalls erst in Zukunft – einen Zugang zum Grundstück zu nehmen. Es sei nicht auszuschließen, daß die Kläger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden.
Die Kläger haben gegen dieses Urteil die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, der jetzt ausgebaute östliche Teil der Straße Südlicher Herrenhof stelle entweder zusammen mit dem nach Nordosten abzweigenden Nebenweg den Abschnitt einer Erschließungsanlage dar oder er bilde zusammen mit dem Nebenweg eine Erschließungseinheit im Sinne des § 130 Abs. 2 BBauG, so daß der beitragsfähige Erschließungsaufwand so oder so für diesen Teil der Straße und den Nebenweg zusammenfassend ermittelt werden durfte. Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht hat auch die übrigen – bundesrechtlichen – Voraussetzungen des Erschließungsbeitragsanspruchs der Beklagten zutreffend bejaht. Nach § 131 Abs. 1 BBauG ist der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen. Das Grundstück Flurstück 1224 wird durch die Straße Südlicher Herrenhof im Sinne dieser Vorschrift erschlossen. Erschlossen sind Grundstücke, denen die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise, d. h. in einer auf die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit des Grundstücks gerichteten Funktion, die Zugänglichkeit vermittelt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die Eigentümer die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit haben, von der Erschließungsanlage eine Zufahrt bzw. einen Zugang zu ihren Grundstücken zu nehmen (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 1969 – BVerwG IV C 14.68 – BVerwGE 32, 226 [227] und vom 7. Oktober 1977 – BVerwG IV C 103.74 – Buchholz 406.11 § 131 Nr. 25). Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist dies hier der Fall. Das Grundstück Flurstück 1224, dessen Miteigentümer die Kläger sind, grenzt unmittelbar an die Straße Südlicher Herrenhof und hat Zugang von dieser Straße.
Das Grundstück war auch in vollem Umfang in die Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands einzubeziehen. Dies folgt aus der Anwendung des bürgerlich-rechtlichen Begriffs des Grundstücks im Sinne des Grundbuchrechts, von dem ebenso wie im allgemeinen Baurecht grundsätzlich auch im Erschließungsbeitragsrecht auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. April 1971 – BVerwG IV C 82.69 – BVerwGE 38, 35 und vom 20. Juni 1973 – BVerwG IV C 62.71 – BVerwGE 42, 269). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Urteilen eine starre Bindung an den bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff abgelehnt und in besonderen Fällen Ausnahmen für möglich gehalten, wenn es nach Inhalt und Sinn des Erschließungsbeitragsrechts gröblich unangemessen wäre, diesen Grundstücksbegriff zugrunde zu legen (vgl. insbesondere Urteil vom 20. Juni 1973, a.a.O. S. 272). Anders als in den angeführten Entscheidungen geht es im vorliegenden Fall aber nicht um die Zusammenfassung mehrerer Grundstücke zu einer wirtschaftlichen Einheit, sondern um die Frage, ob lediglich ein Teil des Grundstücks bei der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands zu berücksichtigen ist, weil infolge der Gestaltung des auf dem Grundstück stehenden Bauwerks nur die im Sondereigentum eines (Grundstücks-)Miteigentümers stehenden Räume, nicht aber auch die Wohnungen der übrigen Miteigentümer Zugang von der Erschließungsanlage haben. Diese Frage ist aus folgenden Gründen zu verneinen: Die Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands auf die durch die Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke (§ 131 Abs. 1 BBauG) hat zur Folge, daß die Höhe der Beitragspflicht im einzelnen von der Zahl und der Größe der in die Verteilung einzubeziehenden Grundstücke abhängt. In Fällen der vorliegenden Art können die übrigen Beitragspflichtigen die volle Einbeziehung des Grundstücks in die Verteilung schutzwürdig erwarten; denn es gibt keinen sachlich gerechtfertigten Grund, es zum Nachteil der übrigen Beitragspflichtigen in geringerem Umfang zu belasten. Das Grundstück ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977 – BVerwG IV C 35.74 – Buchholz 406.11 § 133 Nr. 60: Ausweisung von Grundstücksteilen als öffentliche Grünfläche) in seiner baulichen (oder gewerblichen) Nutzbarkeit eingeschränkt und wird in gleichem Maße wie die übrigen anliegenden Grundstücke durch die Erschließungsanlage erschlossen.
Die auf dem Grundstück geschaffenen baulichen Gegebenheiten und die privatrechtlichen Verhältnisse zwischen den Miteigentümern fallen in deren Sphäre und sind für die Verteilung des Erschließungsaufwands auf die erschlossenen Grundstücke ohne Bedeutung.
Die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 Satz 1 BBauG sind gleichfalls erfüllt. Das im Miteigentum der Kläger stehende Grundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Daß es bereits bebaut ist, hindert das Entstehen der Beitragspflicht nicht; denn durch die Bebauung kommt die abstrakte Bebaubarkeit im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 BBauG zum Ausdruck (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1966 – BVerwG IV C 136.65 – Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 8).
Das Berufungsgericht hat schließlich zutreffend angenommen, daß die Kläger als Miteigentümer des Grundstücks (§ 1 Abs. 2 und 5 WEG) nach § 134 Abs. 1 BBauG beitragspflichtig sind. Nach dieser Vorschrift ist beitragspflichtig derjenige, der im Zeitpunkt der Zustellung des Beitragsbescheids Eigentümer des Grundstücks ist. Mehrere Beitragspflichtige – wie im vorliegenden Fall – haften als Gesamtschuldner. Der dem Absatz 1 Satz 3 der Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2221) beigefügte Halbsatz 2, wonach bei Wohnungs- und Teileigentum die einzelnen Wohnungs- und Teileigentümer nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig sind, findet im vorliegenden Fall keine Anwendung; denn der hier angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid ist vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes zugestellt worden (vgl. Art. 3 § 9 Abs. 1 der Novelle 1976). Dennoch hat die Beklagte die Kläger nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil herangezogen.
Die Beitragspflicht der Kläger entfällt auch nicht im Hinblick darauf, daß ihre Eigentumswohnung keinen Zugang von der Erschließungsanlage Südlicher Herrenhof hat. Allerdings setzt die Erhebung eines öffentlich-rechtlichen Beitrags einen Vorteil voraus, den der Beitragspflichtige aus einer der Beitragserhebung zugrunde liegenden Handlung oder Unterlassung erhalten hat, so daß ein Erschließungsbeitrag nur dann gefordert werden kann, wenn der Eigentümer eines Grundstücks durch den Bau einer Erschließungsanlage einen Vorteil erlangt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1966 – BVerwG IV C 99.65 – Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 11). Die Kläger haben aber einen solchen Vorteil erlangt. Denn der Erschließungsvorteil besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem, was die Erschließung für die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit (Nutzung) des Grundstücks hergibt (vgl. Urteile vom 25. Februar 1977 – BVerwG IV C 35.74 – Buchholz 406.11 § 133 Nr. 60 S. 28 [30] und vom 26. Januar 1979 – BVerwG 4 C 61–68 und 80–84.75 – Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 27 S. 42 [473); er ist also grundstücksbezogen. Der Senat hat dazu in seinen Urteilen vom 10. Juni 1981 – BVerwG 8 C 15.81 und 8 C 20.81 – betont, daß die Erschließung Voraussetzung für die nach dem Bauplanungsrecht (§§ 30, 33, 34 und 35 BBauG) zulässige Ausnutzbarkeit der Grundstücke ist, die ihrerseits Auswirkungen auf den Gebrauchswert (Nutzwert) dieser Grundstücke hat, so daß der mit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen bezweckte Vorteilsausgleich an der durch die Erschließung ermöglichten Ausnutzbarkeit der Grundstücke zu orientieren ist. Daran ist festzuhalten. Der danach vorausgesetzte Erschließungsvorteil kommt auch den Klägern als Miteigentümern des Grundstücks zugute.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Weyreuther, Türke, Noack, Schäfer, Dr. Kleinvogel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.07.1981 durch Grubert Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen