Entscheidungsstichwort (Thema)
Satzungsfehler. Unbeachtlichkeit. Nichtigkeit. Gesamtnichtigkeit. Abgabengerechtigkeit. öffentliche Einrichtung. Einrichtungsbegriff. Typisierung. Pauschalierung. Verwaltungspraktikabilität. Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers. Ergebniskontrolle
Leitsatz (amtlich)
Verstöße einer Beitragssatzung gegen höherrangiges Recht können nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit deswegen als unbeachtlich behandelt werden, weil die Beitragsmehrbelastung bei rechtmäßiger Satzungsvorschrift nur unwesentlich höher ausfiele.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; Sächsisches KAG § 9 Abs. 1-2, § 17 Abs. 1, 4, § 39a
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 24.02.2003; Aktenzeichen 5 B 639/02) |
VG Leipzig (Urteil vom 10.06.2002; Aktenzeichen 6 K 1563/99) |
Tenor
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2003 wird aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 10. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Eigentümer eines zweigeschossig bebaubaren sowie eines gewerblich genutzten Grundstücks, die an einer durch einen anschlussfähigen Niederschlags- und Abwasserkanal erschlossenen Straße liegen. Mit Bescheiden vom 28. Dezember 1998 zog die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Kläger zur ersten Rate eines Abwasserbeitrages in Höhe von insgesamt 6 946 DM heran. Nach § 1 Abs. 1 der den Bescheiden als Rechtsgrundlage zugrunde liegenden Abwassersatzung der Beklagten betreibt diese die Beseitigung des in ihrem Gebiet anfallenden Abwassers “als eine öffentliche Einrichtung”. Gemäß § 21 Abs. 3 dieser Satzung unterliegen bereits an die öffentlichen Abwasseranlagen angeschlossene Grundstücke der erstmaligen Beitragspflicht, wenn das Abwasser behandelt wird und die Abwasseranlagen den rechtlichen Anforderungen genügen.
Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage des Klägers hob das Verwaltungsgericht die Beitragsbescheide mangels wirksamer Rechtsgrundlage auf. § 21 Abs. 3 der Abwassersatzung (AbwS) verstoße gegen § 17 Abs. 1 Sächsisches Kommunalabgabengesetz (SächsKAG) sowie gegen den Grundsatz der Abgabengleichheit, was die Nichtigkeit aller Satzungsbestimmungen zum Gegenstand der Beitragspflicht zur Folge habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Nichtberücksichtigung der mit Kleinkläranlagen und Kanalableitungen abwasserentsorgten Grundstücke bei der Bestimmung des Kreises der Beitragspflichtigen durch § 21 Abs. 3 AbwS habe das Verwaltungsgericht zu Recht beanstandet; sie stelle jedoch keinen zur Nichtigkeit der gesamten Abwassersatzung führenden Verstoß gegen den Grundsatz der Abgabengleichheit dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führe die Nichterhebung von Beiträgen gegenüber beitragspflichtigen Grundstücken nur bei Vorliegen besonderer tatsächlicher Voraussetzungen zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz, der dem Gesetzgeber und damit auch dem Ortsgesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit belasse. Nur die willkürlich ungleiche Behandlung von im Wesentlichen gleichen Sachverhalten sei hiernach unzulässig. Die Grundsätze der Typengerechtigkeit und der Verwaltungspraktikabilität könnten eine Ungleichbehandlung erst dann sachlich nicht mehr rechtfertigen, wenn die durch die Ungleichbehandlung bewirkte Mehrbelastung eine bestimmte Quantitätsgrenze überschreite, was der Fall sei, wenn die Mehrbelastung deutlich über dem Richtwert von 10 % liege. Hiervon ausgehend fehle es an einem Verstoß durch § 21 Abs. 3 AbwS gegen den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit, weil der Beitragssatz durch diese Vorschrift nicht berührt werde. Denn die Beklagte habe die von § 21 Abs. 3 AbwS betroffenen Grundstücke in die Flächenseite ihrer Globalberechnung eingestellt, so dass der vom Kläger zu zahlende Beitrag von der Nichterhebung von Beiträgen gegenüber den unter die Regelung des § 21 Abs. 3 AbwS fallenden Eigentümern unbeeinflusst sei. Fehlerhaft sei auch die Regelung des § 1 Abs. 1 AbwS, wonach die Beklagte die Beseitigung des Abwassers als eine öffentliche Einrichtung betreibt. Denn die Beklagte nehme die Aufgabe der Abwasserbeseitigung in ihrem Satzungsgebiet in unterschiedlichem Umfang wahr, indem sie einen Teil der Grundstücke schmutz- und niederschlagswasserentsorge und einen anderen Teil der Grundstücke nur schmutzwasserentsorge. Aus der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zum Einrichtungsbegriff, an der festgehalten werde, folge jedoch, dass der Satzungsgeber unterschiedliche öffentliche Einrichtungen der Abwasserbeseitigung bilden müsse, wenn er im Satzungsgebiet in unterschiedlichem Umfang die Abwasserbeseitigung wahrnimmt. Auch dieser Mangel führe jedoch nicht zur Nichtigkeit der Satzung und stelle ihre Eignung als Rechtsgrundlage für die Abgabenerhebung im Ergebnis nicht in Frage, weil die zugrunde liegende Globalberechnung den Schluss zulasse, dass die Beiträge der lediglich teilentsorgten Grundstücke in Höhe von deutlich unter dem Richtwert von 10 % liegendem Umfang infolge der unterbliebenen Bildung einer eigenen Einrichtung überhöht seien.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger, dass das Oberverwaltungsgericht die festgestellten Satzungsmängel als unbeachtlich angesehen hat. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Pauschalierung und Typengerechtigkeit dürfe nur den Zweck haben, die Verwaltungsarbeit bei arbeitsaufwendigen Massenverfahren zu erleichtern. Zu einer generellen Rechtfertigung von Gesetzesverstößen dürfe dies aber nicht führen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2003 dahingehend zu ändern, dass unter Zurückweisung der Berufung die Bescheide der Gemeinde Luppa vom 28. Dezember 1998 in Gestalt der Widerspruchsbescheide des Landkreises Torgau/Oschatz vom 2. September 1999 aufgehoben werden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Oberverwaltungsgericht habe zu Recht unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Abwassersatzung nicht gegen den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit verstoße, weil die durch die Ungleichbehandlung von Grundstücken verursachte Mehrbelastung sich noch im Bereich von bis zu 10 % bewege. Aus den landesrechtlichen Vorgaben folge, dass eine pfenniggenaue Abrechnung der Aufwendungen für die Herstellung von Abwasserbeseitigungsanlagen nicht zu erfolgen habe und die Beitragssätze nicht nach den tatsächlichen Vorteilen im Sinne eines Wirklichkeitsmaßstabes zu ermitteln seien. Die sich hieraus ergebenden Unwägbarkeiten seien durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zum Einrichtungsbegriff noch verstärkt worden, weil die Zuordnung von Kosten und Flächen zu der jeweiligen Einrichtung zusätzliches “Fehlerpotential” enthalte. Vergleichbare Unwägbarkeiten habe das Bundesverwaltungsgericht aufgegriffen, als es zur Rechtfertigung einer bis zu zehnprozentigen Ungleichbelastung die Grundsätze der Verwaltungspraktikabilität und Typengerechtigkeit herangezogen habe. Diesen Grundsätzen habe es hier entsprochen, auf die Bildung zweier oder mehrerer Einrichtungen der Abwasserbeseitigung zu verzichten, weil damit zeit- und kostenintensive Sachverhaltsermittlungen und Zuordnungsentscheidungen vermieden würden. In gleicher Weise stelle auch die Nichtberücksichtigung an sich nach Landesrecht bei der Beitragserhebung zu berücksichtigender Grundstücke keine willkürliche Ungleichbehandlung dar. Der “Nachteil” der schon jetzt herangezogenen Beitragspflichtigen liege nur darin, dass einzelne Grundstückseigentümer in Anwendung des § 21 Abs. 3 AbwS ihren Beitrag erst später zu entrichten hätten.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist begründet.
Die das Urteil des Oberverwaltungsgericht tragende Erwägung, die Fehlerhaftigkeit von § 1 Abs. 1 AbwS sei mangels Verstoßes gegen den Grundsatz der Abgabengleichheit unbeachtlich und wirke sich deswegen nicht auf die Eignung der Abwassersatzung der Beklagten als Rechtsgrundlage für die Abgabenerhebung aus, verstößt gegen Bundesrecht. Der Satzungsmangel führt vielmehr zur Gesamtnichtigkeit der Satzung und mithin zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Deswegen ist gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO unter Aufhebung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts und unter Zurückweisung der Berufung das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts wiederherzustellen.
Der Senat hat zunächst erwogen, ob das Oberverwaltungsgericht tatsächlich dahingehend zu verstehen ist, dass § 1 Abs. 1 AbwS als fehlerhaft anzusehen ist. Auf der Grundlage der Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts, die (Gesamtnichtigkeits-)Folgen seines Verständnisses des Begriffs der “öffentlichen Einrichtung” in § 9 Abs. 2 (a.F.), § 17 Abs. 1 und Abs. 4 SächsKAG zu begrenzen, hätte es nahe liegen können, die satzungsmäßige Festlegung einer einheitlichen Abwassereinrichtung für zulässig anzusehen, wenn bei getrennten Einrichtungen für Vollentsorgung (Schmutz- und Niederschlagswasser) und Teilentsorgung (Schmutzwasser) keine wesentlichen Beitragsunterschiede zu erwarten sind. Einer solchen Neubestimmung des landesrechtlichen Einrichtungsbegriffes, die dem Satzungsgeber bei der Festlegung der öffentlichen Einrichtungen von vornherein einen gewissen Spielraum einräumt, wäre bei Beachtung des Gebots der Abgabengerechtigkeit und des Äquivalenzprinzips bundesrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1978 – BVerwG 7 B 118 bis 124.78 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 40 S. 46 f.).
Diesen Weg hat das Oberverwaltungsgericht jedoch ersichtlich nicht beschritten. Es hat § 1 Abs. 1 AbwS vielmehr ausdrücklich als “fehlerhaft” bezeichnet und festgestellt, dass diese Regelung tatbestandlich gegen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes “verstößt”. Nur auf dieser Grundlage konnte sich auf der Rechtsfolgenseite die vom Oberverwaltungsgericht bejahte Frage stellen, ob der Fehler “unbeachtlich” ist.
Dass das Oberverwaltungsgericht von der Fehlerhaftigkeit der Vorschrift des § 1 Abs. 1 AbwS im Hinblick auf den in § 9 Abs. 2 Satz 1 a.F., § 17 Abs. 1 und Abs. 4 SächsKAG enthaltenen “Einrichtungsbegriff” ausgegangen ist, hat der Senat als Auslegung irrevisiblen Landesrechts seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 560 ZPO i.V.m. § 173 VwGO). Einen Verstoß gegen Bundesrecht, der die insoweit bestehende Bindung aufheben würde, vermag der Senat nicht zu erkennen. Er wird auch weder vom Beklagten noch von den gegenüber dieser Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts kritischen Stimmen in der Literatur (vgl. etwa Birk in: Driehaus, KAG, § 8 Rn. 1101a ff.) geltend gemacht.
Auch die zwischenzeitlich durch Art. 38 des Sächsischen Verwaltungsmodernisierungsgesetzes (SächsVwModG) vom 5. Mai 2004 (GVBl S. 148, 160 ff.) erfolgte Änderung der Vorschrift des § 9 Abs. 2 SächsKAG führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hat der sächsische Gesetzgeber hierdurch das nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts gebotene Verständnis des Begriffes der öffentlichen Einrichtung ausdrücklich aufgegeben; es ist deswegen nicht mehr erforderlich, bei der Abwasserbeseitigung, die – wie hier – für Teilgebiete der Gemeinde nur eine Schmutzwasserentsorgung und für die restlichen Gebiete die Vollentsorgung anbietet, von zwei getrennten Einrichtungen im Rechtssinne auszugehen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, LTDrucks 3/9110 S. 83 f. zu Nr. 9a). Das Bundesverwaltungsgericht ist auch nicht gehindert, während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen, auch soweit sie – wie hier – das irrevisible Recht betreffen, zu berücksichtigen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 3. November 1994 – BVerwG 3 C 30.93 – Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 2 S. 16 f. m.w.N.). Die erfolgte Änderung von § 9 Abs. 2 SächsKAG wirkt sich auf das vorliegende Verfahren jedoch nicht aus. Wie sich aus § 39a SächsKAG ergibt, hat der Landesgesetzgeber dieser Änderung keine Rückwirkung beigemessen und die das Revisionsgericht bindende Auslegung des Oberverwaltungsgerichts somit nicht beseitigt. Sie gilt – anders als die § 2 Abs. 2 SächsKAG betreffende Änderung – nicht auch für Satzungen, die nach bisherigem Recht erlassen worden sind und konnte erst mit In-Kraft-Treten der Neufassung des § 9 Abs. 2 SächsKAG zum 23. Mai 2004 (Art. 48 Abs. 1 SächsVwModG) und mithin nach Erlass der angefochtenen Bescheide wirksam werden.
Zu Unrecht meint das Oberverwaltungsgericht, die danach irrevisibel festgestellte Fehlerhaftigkeit der Regelung des § 1 Abs. 1 AbwS führe mangels Verstoßes gegen den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit nicht zur Nichtigkeit der Satzung und stelle ihre Eignung als Rechtsgrundlage für die Abgabenerhebung im Ergebnis nicht in Frage. Mit dieser Auffassung verkennt das Oberverwaltungsgericht Funktion und Anwendungsbereich des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit und verkürzt dadurch die sich aus § 113 VwGO und Art. 19 Abs. 4 GG ergebende Rechtsschutzgarantie.
Als Ausprägung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt der Grundsatz der Abgabengerechtigkeit vom Normgeber die Gleichbehandlung der Abgabenpflichtigen und fordert für Differenzierungen wesentlich gleicher oder die Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte einen sachlich einleuchtenden und hinreichend gewichtigen Grund (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. März 1995 – BVerwG 8 N 3.93 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 75 S. 36 m.w.N.). Dabei ist für das Abgabenrecht anerkannt, dass Typisierungen und Pauschalierungen – insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen – durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt sein können (BVerwG, Beschluss vom 28. März 1995 – a.a.O.).
Von diesem inhaltlichen Verständnis des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat diesen Grundsatz allerdings nicht lediglich als – weiteren – Rechtmäßigkeitsmaßstab von Satzungsvorschriften herangezogen, sondern – zumindest bei der Prüfung von § 1 Abs. 1 AbwS – vielmehr als Rechtfertigungsgrund für einen bereits festgestellten Satzungsverstoß. Eine solche Funktion kommt dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit jedoch nicht zu. Er begrenzt die einem Satzungsgeber zustehende Gestaltungsfreiheit, vermag sie aber nicht zu erweitern. Insbesondere kann er nicht dazu herangezogen werden, Überschreitungen der Gestaltungsfreiheit des Normgebers zu rechtfertigen, die sich aus dem Verstoß gegen andere Rechtsnormen ergeben. Die Einhaltung des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit ist notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung für die Rechtmäßigkeit von Abgabensatzungen. Andernfalls geriete der Grundsatz der Abgabengerechtigkeit zu einer undifferenzierten Vorrangnorm, an der Verstöße gegen Rechtsnormen im Hinblick auf etwaige Rechtsfolgen allein zu messen wären. Es ist aber allenfalls Sache des Gesetzgebers, die Unbeachtlichkeit von Rechtsverstößen ggf. gesetzlich anzuordnen und hierdurch Ausnahmen von dem Grundsatz, dass Rechtsfehler die Nichtigkeit einer Satzungsvorschrift zur Folge haben, vorzusehen. Ansonsten ist es den Verwaltungsgerichten verwehrt, von der (inzidenten) Feststellung der Unwirksamkeit einer als rechtswidrig erkannten Satzungsvorschrift oder einer daraus resultierenden Aufhebung von auf ihr beruhenden Verwaltungsakten abzusehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2000 – BVerwG 11 B 54.99 – Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.). Dass unabhängig hiervon der vom Oberverwaltungsgericht hervorgehobene Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geeignet sein könnte, Rechtsfehler als unbeachtlich zu behandeln, ist ohnehin nicht erkennbar.
Nichts anderes ergibt sich aus der vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. In seinem Urteil vom 16. September 1981 (BVerwG 8 C 48.81 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 45) hat das Bundesverwaltungsgericht einen Verstoß gegen den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit verneint, wenn sich der Satzungsgeber bei der landesrechtlich nicht weiter eingeschränkten Wahl zwischen Beitrags- oder Gebührenfinanzierung einer öffentlichen Einrichtung für eine (reine) Gebührenfinanzierung entscheidet, bei der die durch eine Ungleichbehandlung bedingte Gebührenmehrbelastung eine bestimmte Quantitätsgrenze nicht überschreitet. Die Ungleichbehandlung bestand darin, dass Eigentümer nicht angeschlossener unbebauter, aber bebaubarer und mithin beitragspflichtiger Grundstücke bei einer Gebührenfinanzierung nicht herangezogen wurden. Die Quantitätsgrenze sah das Bundesverwaltungsgericht als überschritten an, wenn der Anteil dieser Grundstücke mehr als 20 % beträgt und zu einer Gebührenmehrbelastung von mehr als 10 % führen würde.
Aus dieser Entscheidung kann entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht der Schluss gezogen werden, Satzungsverstöße wie im Fall des § 1 Abs. 1 AbwS seien unbeachtlich, wenn die Beitragsmehrbelastung nicht mehr als 10 % beträgt. Denn die Entscheidung hat allein die Begrenzung des dem Satzungsgeber grundsätzlich zustehenden Gestaltungsfreiraums zum Gegenstand. Hieraus lässt sich für die Frage der Unbeachtlichkeit von Satzungsverstößen, aufgrund derer der Satzungsgeber die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit bereits überschritten hat, nichts herleiten. Deswegen kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht die Rede davon sein, das Urteil vom 16. September 1981 greife “vergleichbare Unwägbarkeiten” auf, wie sie sich aufgrund der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zum Einrichtungsbegriff ergeben.
Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts kann schließlich auch nicht auf das Urteil des Senats vom 17. April 2002 (BVerwG 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 188) gestützt werden. Zwar hat es der Senat dort bundesrechtlich beanstandet, Gebührenregelungen insgesamt für nichtig zu erklären, ohne zu prüfen, ob und in welchem Umfang sich festgestellte Mängel im Ergebnis auf die Gebührenhöhe ausgewirkt haben. Dieses Erfordernis einer Ergebniskontrolle bezieht sich aber ausschließlich auf Mängel in der Kostenkalkulation. Der Senat hat insoweit klargestellt, dass eine unzutreffende Kalkulation nicht dazu führt, dass die auf ihrer Grundlage getroffene Festsetzung der Gebühr durch den Satzungsgeber “ermessensfehlerhaft” wird. Vielmehr ist die Gebührenfestsetzung erst dann rechtlich zu beanstanden, wenn sie die hierfür geltenden (landes-)rechtlichen Obergrenzen (Verbot der Kostenüberdeckung und der unangemessenen Gewinnerzielung) überschreitet (Urteil vom 17. April 2002, a.a.O. S. 193). Diese Rechtsprechung lässt sich zwar auf die Festsetzung von Beiträgen, deren höchstzulässige Sätze aufgrund einer Globalberechnung zu ermitteln sind (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 1 SächsKAG), ohne weiteres übertragen. Um Kalkulations- bzw. Globalberechnungsmängel und deren Auswirkung, auf die sich das Gebot der Ergebniskontrolle allein bezieht, geht es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht. Das Oberverwaltungsgericht versteht die Bestimmung der öffentlichen Einrichtung nicht als Teil der Globalberechnung. Es hat in der angefochtenen Entscheidung vielmehr an seiner Rechtsprechung zum Einrichtungsbegriff festgehalten. In den in Bezug genommenen Entscheidungen (SächsVBl 2001, 186 und 189) wird ausdrücklich zwischen Mängeln in der Globalberechnung und der fehlerhaften Festlegung der öffentlichen Einrichtung durch Satzungsvorschrift differenziert. Auf Satzungsmängel und die Frage ihrer Rechtsfolge beziehen sich die dargelegten Ausführungen des Senats im Urteil vom 17. April 2002 jedoch nicht.
- Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ein anderer Grund für die Unbeachtlichkeit des vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Rechtsfehlers in § 1 Abs. 1 AbwS ist nicht ersichtlich. Die somit gegebene Nichtigkeit dieser Satzungsnorm führt zur Gesamtnichtigkeit der Satzung, weil ohne die Bestimmung der Einrichtung der zwingende Inhalt der Abgabensatzung (§ 2 Satz 2 SächsKAG), zu dem der die Abgabe begründende Tatbestand und mithin auch die Bestimmung der Einrichtung gehört, die die beitragspflichtige Möglichkeit des Anschlusses bietet (§ 17 Abs. 1 SächsKAG), keine mit höherem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-)Regelung des Sachverhalts belässt (vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 1997 – BVerwG 8 NB 2.96 – NJW 1998, 469). Dadurch fehlt es den angefochtenen Bescheiden an einer wirksamen Rechtsgrundlage.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Hien, Prof. Dr. Rubel, Prof. Dr. Eichberger, Dr. Nolte, Domgörgen
Fundstellen
ZKF 2005, 66 |
DVBl. 2005, 255 |
IR 2005, 21 |
SächsVBl. 2005, 65 |