Entscheidungsstichwort (Thema)
Stellenzulage für Soldaten als Führer oder Ausbilder. Aufwandsentschädigung für Außendienst. Beweislast bei Rücknahme eines Bewilligungsbescheides. Soldat als Vorgesetzter kraft Dienststellung
Leitsatz (amtlich)
- Unmittelbarer Vorgesetzter (gemäß § 1 VorgV) kann auch ein Soldat sein, dem die entsprechende Dienststellung nicht förmlich übertragen worden ist.
- Wird der Bewilligungsbescheid über die Gewährung einer Stellenzulage und einer Aufwandsentschädigung zurückgenommen, trägt der Dienstherr die materielle Beweislast für dessen Rechtswidrigkeit (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
BBesG Anlage I Vorbem. Nr. 4; SG § 1 Abs. 5; Vorgesetztenverordnung § 1; VwVfG § 48
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 12.02.2002; Aktenzeichen 5 L 4012/98) |
VG Oldenburg (Urteil vom 25.08.1995; Aktenzeichen 6 A 270/93) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung einer Außendienstzulage. Er war bis September 1992 Berufssoldat und zuständig für Wartung, Instandsetzung, Pflege und Modifikation des Waffensystems “NIKE” sowie für die Ausbildung des ihm unterstellten Personals. Seinen Dienst versah er zu einem nicht genau feststehenden Anteil in Einsatzstellungen.
Mit Bescheid vom 29. August 1990 gewährte ihm die Beklagte rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Mai 1971 bis zum 29. Dezember 1989 eine Stellenzulage für Soldaten als Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst und für den Zeitraum vom 1. Januar 1988 bis zum 29. Dezember 1989 eine Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit als Führer einer Teileinheit und Flakraketenfeuerleit-Elektromechanikermeister, wobei mit Bescheid vom selben Tage die Stellenzulage für die Zeiträume 1. Januar 1972 bis 9. März 1972, 17. September 1978 bis 19. Dezember 1978 und 1. Oktober 1982 bis 30. September 1983 wegen anderweitiger Verwendung während dieser Zeiten wieder entzogen wurde. Zulage und Aufwandsentschädigung wurden nicht ausgezahlt.
Durch Bescheid vom 7. September 1992 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid mit der Begründung auf, dem Kläger stünden die Außendienstzulage und die Aufwandsentschädigung nicht zu, weil er nicht nachweisen könne, im fraglichen Zeitraum mehr als 87 Stunden monatlich im Außendienst tätig gewesen zu sein.
Nach erfolgloser Beschwerde hat der Kläger Klage gegen den Rücknahmebescheid erhoben, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat. Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen des § 48 VwVfG für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes lägen nicht vor. Die vom Kläger verrichtete Instandsetzungsarbeit in den Einsatzstellungen sei Außen- und Geländedienst im Sinne der Nr. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Zahlung der Stellenzulage für Soldaten, die als Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst verwendet werden. Bei seinen Einsätzen im Außendienst sei der Kläger überwiegend als Führer verwendet worden. Er habe die Funktion des Teileinheitsführers wahrgenommen. Auf Grund seiner Dienststellung und seiner fachlichen Qualifikation habe er als Meister innerhalb der Teileinheit, mit der er die Instandsetzungsarbeiten ausgeführt habe, die Verantwortung für die durchzuführenden Maßnahmen zu tragen, den Mitgliedern der Teileinheit Anweisungen auch hinsichtlich ihres Einsatzes zu erteilen und alle für die Instandsetzung maßgeblichen Entscheidungen verbindlich für die übrigen Mitglieder der Teileinheit zu treffen gehabt. Die Frage, ob der Kläger überwiegend, also mit mehr als der Hälfte seiner dienstlichen Inanspruchnahme und somit monatlich mehr als 87 Stunden im Außen- und Geländedienst als Führer tätig gewesen sei, könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht eindeutig beantwortet werden. Die Unaufklärbarkeit gehe zu Lasten der Beklagten, die die materielle Beweislast trage.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Februar 2002 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 25. August 1995 zurückzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat den angefochtenen Rücknahmebescheid zu Recht aufgehoben, weil es nicht festzustellen vermochte, dass der begünstigende Bescheid über die Bewilligung einer Stellenzulage für Soldaten als Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst sowie einer Aufwandsentschädigung vom 29. August 1990 rechtswidrig ist.
Gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen, die mit beachtlichen Verfahrensrügen nicht angegriffen worden sind und deshalb das Revisionsgericht binden (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO), kann nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger die Zulage nach der Vorbemerkung Nr. 4 zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B in Anlage I Abschnitt II zum Bundesbesoldungsgesetz (im Folgenden “Vorbemerkung Nr. 4”) sowie die Außendienstaufwandsentschädigung auf der Grundlage des § 17 BBesG in Verbindung mit den Richtlinien für die Gewährung einer Aufwandsentschädigung für Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst vom 10. November 1988 (VMBl S. 314) zu Recht oder zu Unrecht gewährt worden ist.
Gemäß der Vorbemerkung Nr. 4 erhalten Soldaten, wenn sie überwiegend als Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst verwendet werden, eine Stellenzulage nach der Anlage IX. Mit der Zulage werden die erhöhten Anforderungen an den Soldaten in seiner Funktion als Ausbilder oder als Führer sowie die besonderen Belastungen durch den Dienst unter freiem Himmel abgegolten.
Außen- und Geländedienst im Sinne der Vorbemerkung Nr. 4 ist jeder militärische Dienst außerhalb der ortsfesten Unterkünfte im Freien. Insoweit kommt es darauf an, ob die typischen Sonderverhältnisse des Dienstes im Freien wie z.B. wechselnde Witterungsverhältnisse, besondere Geländebeschaffenheit oder mangelnde Versorgungsmöglichkeiten prägend sind. Zutreffend bezeichnet die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Zahlung der Stellenzulage für Soldaten, die als Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst verwendet werden, vom 20. August 1980 (VMBl S. 461) auch den Dienst in Einsatzstellungen der Flugabwehrraketen-, Flugkörper- und Tiefflieger-Melde- und Leitdienst-Verbände als Außen- und Geländedienst. Der Dienst in schützenden Stellungen schließt den Außen- und Geländedienst ebenso wenig aus wie z.B. die Benutzung mobilen Geräts, das den Soldaten ebenfalls gegen Witterungseinflüsse schützen kann.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Kläger habe Waffen und Gerät in solchen Einrichtungen gewartet und instand gesetzt. Dass diese Tätigkeit als Außen- und Geländedienst zu qualifizieren ist, wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt.
Zu Recht ist das Berufungsgericht weiterhin davon ausgegangen, dass der Kläger Außen- und Geländedienst als “Führer” geleistet hat. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. August 1995 – BVerwG 2 C 40.94 – (Buchholz 240.1 BBesO Nr. 15 S. 11 f.) – ausgeführt hat, ist nicht
“jeder militärische Vorgesetzte, der gemäß § 1 Abs. 5 Soldatengesetz – SG – befugt ist, einem Soldaten Befehle zu erteilen, … zugleich “Führer” im Sinne der Vorbemerkung Nr. 4. Soweit die Vorgesetzteneigenschaft durch Dienstgrad oder Aufgabenstellung begründet wird, trägt dem regelmäßig bereits die allgemein vorgesehene Besoldung Rechnung; denn nach dem geltenden System des Besoldungsrechts wird die angemessene Besoldung grundsätzlich in der Form des dem verliehenen Amt/dem verliehenen Dienstgrad entsprechenden Grundgehalts nebst Ortszuschlag gewährt, während nur ausnahmsweise eine weitere Differenzierung durch Zulagen vorgesehen ist (Urteil vom 5. Mai 1995 – BVerwG 2 C 13.94 – Buchholz 240 § 42 BBesG Nr. 17).
Der Rechtsbegriff des “Führers” wird allerdings in § 1 der Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses vom 4. Juni 1956 (BGBl I S. 459 mit späteren Änderungen – VorgV) erläutert, wonach ein Soldat, der einen militärischen Verband, eine militärische Einheit oder eine Teileinheit führt, die allgemeine Befugnis hat, den ihm unterstellten Soldaten im und außer Dienst Befehle zu erteilen. Die in der Vorbemerkung Nr. 4 mit dem Begriff “Führer” herausgehobene Funktion (vgl. § 42 Abs. 1 BBesG) nimmt ein Vorgesetzter jedenfalls dann wahr, wenn er “unmittelbarer Vorgesetzter” gemäß § 1 VorgV ist.”
Diese Auffassung hat sich das angefochtene Urteil zu eigen gemacht und mit bindender Wirkung für das Revisionsgericht festgestellt, dass der Kläger aufgrund seiner Dienststellung und seiner fachlichen Qualifikation als Meister innerhalb der Teileinheit, mit der er die Instandsetzungsarbeiten ausgeführt hat, die Verantwortung für die durchzuführenden Maßnahmen zu tragen, den Mitgliedern der Teileinheit Anweisungen auch hinsichtlich ihres Einsatzes zu erteilen und alle für die Instandsetzung maßgeblichen Entscheidungen verbindlich für die übrigen Mitglieder der Teileinheit zu treffen hatte.
Die Funktion eines Teileinheitsführers ist entgegen der Auffassung der Revision nicht von der formellen Voraussetzung abhängig, dass dem jeweiligen Soldaten eine “Dienststellungsnummer” zugeordnet ist. Die Zuteilung einer “Dienststellungsnummer”, wie sie in den ausschließlich für den internen Dienstgebrauch verbindlichen Richtlinien der Bundeswehr vorgesehen ist, hat keine konstitutive Bedeutung gemäß § 1 VorgV.
Die Dienststellung eines unmittelbaren Vorgesetzten nach § 1 VorgV muss entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch einen förmlichen Organisationsakt, der in der “Dienststellungsnummer” Ausdruck findet, eingeräumt werden. § 1 VorgV enthält keine Regelung, in welcher Form einem Soldaten die Führung eines militärischen Verbandes, einer militärischen Einheit oder Teileinheit zu übertragen ist. Vielmehr ist die Leitungs- oder Führungsbefugnis Voraussetzung der Befehlsbefugnis. Es bedarf nicht der Vertiefung, ob die Gestaltungsfreiheit der Beklagten eine ausdrückliche, auf die Vorgesetzteneigenschaft bezogene Verleihung einer Dienststellung nach § 1 VorgV ermöglicht. Jedenfalls wird ein solcher förmlicher Akt gesetzlich nicht gefordert.
Ob der Kläger “überwiegend”, also zu mehr als der Hälfte seiner Dienstzeit als Führer im Außen- und Geländedienst tätig gewesen ist, hat das Berufungsgericht nach Ausschöpfen der ihm zur Verfügung stehenden Beweismöglichkeit nicht feststellen können. Der Aussage des angefochtenen Urteils, eine weitere Sachaufklärung sei nicht mehr möglich, ist die Revision nicht entgegengetreten. Soweit sie ausführt, der Kläger habe seine Tätigkeit oft in einer Truppenunterkunft oder innerhalb von Gebäuden ausgeübt und bestimmte Aufgaben im Freien verrichtet, handelt es sich nicht um eine Verfahrensrüge, sondern um eine von den Feststellungen des Berufungsgerichts abweichende, im Revisionsverfahren unbeachtliche Tatsachenbehauptung. Somit ist auch im Revisionsverfahren davon auszugehen, dass der Umfang der vom Kläger unter den Voraussetzungen der Vorbemerkung Nr. 4 ausgeübten Tätigkeit nicht mehr aufgeklärt werden kann.
Aus der Unaufklärbarkeit dieses Umstands hat das Berufungsgericht die Folgerung gezogen, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, weil die Beklagte die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 VwVfG trägt. Auch dies steht im Einklang mit revisiblem Recht.
Nach ständiger Rechtsprechung trägt im Falle der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts grundsätzlich die Behörde die sog. Feststellungslast dafür, dass der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtswidrig ist (vgl. Urteile vom 25. März 1964 – BVerwG 6 C 150.62 – BVerwGE 18, 168 ≪170 ff.≫, vom 13. Mai 1976 – BVerwG 3 C 93.74 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57 und vom 13. Dezember 1984 – BVerwG 3 C 79.82 – Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 52).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt allerdings dann, wenn die Unerweislichkeit auf einem gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßenden unlauteren Verhalten des Begünstigten beruht (vgl. Urteile vom 26. Februar 1965 – BVerwG 7 C 71.63 – BVerwGE 20, 295 ≪298 f.≫, vom 7. Juli 1966 – BVerwG 3 C 219.64 – BVerwGE 24, 294 ≪299 f.≫ m.w.N. und vom 13. Dezember 1984 a.a.O.). Ein solches unlauteres Verhalten des Klägers hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und ist auch von der Revision nicht geltend gemacht worden.
Dass der Kläger der Verpflichtung, den Umfang seiner Außendiensttätigkeit schriftlich aufzuzeichnen, nicht nachgekommen ist, rechtfertigt keine abweichende Verteilung der materiellen Beweislast. Die Pflicht zur Selbstdokumentation beruht auf Nr. 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Zahlung der Stellenzulage für Soldaten, die als Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst verwendet werden, und ist weder materielle noch formelle Anspruchsvoraussetzung. Sie dient vielmehr der Sachverhaltsermittlung im Verwaltungsverfahren. Da die Beklagte bei Bewilligung der Stellenzulage auf die entsprechenden Angaben und Nachweise verzichtet hat, ist sie wegen dieses Mangels nicht berechtigt, den Bewilligungsakt aufzuheben.
Ebenso wenig trägt der Kläger die materielle Beweislast, weil ihm antragsgemäß die Zulage rückwirkend für einen Zeitraum von annähernd 20 Jahren bewilligt worden ist, ohne dass die Beklagte die Einrede der – teilweisen – Verjährung des Besoldungsanspruches geltend gemacht hat. Auch dies liegt ausschließlich im Verantwortungsbereich der Beklagten.
Aus denselben Gründen ist die Beklagte nicht berechtigt, die Bewilligung der Außendienstaufwandsentschädigung aufzuheben. Denn die Aufwandsentschädigung wird nach Nr. 2 der Richtlinien für die Gewährung einer Aufwandsentschädigung für Führer oder Ausbilder im Außen- und Geländedienst vom 10. November 1988 (VMBl S. 314) an Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit gezahlt, denen die Stellenzulage nach der Vorbemerkung Nr. 4 zusteht. Die materiellrechtlichen Leistungsvoraussetzungen wie auch die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sind identisch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen
NVwZ-RR 2003, 517 |
ZBR 2003, 387 |
DÖD 2003, 204 |
PersV 2004, 187 |
RiA 2004, 91 |