Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausbildungsförderung für Vertriebene trotz berufsqualifizierenden Abschlusses im Herkunftsland. Ausland, Förderung einer weiteren Ausbildung trotz Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses im -. Vertriebene, Ausbildungsförderung für - trotz berufsqualifizierenden Abschlusses im Herkunftsland

 

Leitsatz (amtlich)

§ 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG gilt nicht für Ausbildungsabschlüsse, die Vertriebene vor ihrer Aussiedlung im Herkunftsland erworben haben.

 

Normenkette

BAföG § 7 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

Hamburgisches OVG (Urteil vom 05.04.1995; Aktenzeichen Bf V 52/94)

VG Hamburg (Entscheidung vom 08.08.1994; Aktenzeichen 1 VG 709/93)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. April 1995 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

I.

Der 1968 in Polen geborene Kläger erwarb dort 1987 nach vierjährigem Besuch eines “Berufslyzeums” das Reifezeugnis. Es bestätigt den Besitz der Facharbeiterausbildung und die höhere allgemeine Bildung; es weist aus, daß der Kläger den Unterricht im Fachlyzeum im Fach Kraftfahrzeugmechanik mit vierjähriger Unterrichtsdauer beendet, die Prüfung im Berufsunterricht abgelegt und den Facharbeitertitel in diesem Fach erworben hat und daß er die Reifeprüfung vor dem Staatlichen Prüfungsausschuß abgelegt hat und zur Bewerbung um die Aufnahme eines Hochschulstudiums berechtigt ist. Nach dem Besuch einer “Pädagogischen Technischen Schule” von 1987 bis 1989 erhielt er die Qualifikation eines “Lehrers der praktischen Berufslehre” sowie den Titel “Mechanotechniker in der Fachrichtung Kraftfahrzeugreparatur und -betrieb”. Im Juli 1989 ist der Kläger als Aussiedler aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er ist Inhaber eines Vertriebenenausweises.

Zum Wintersemester 1992/93 nahm der Kläger an der Universität H… das Studium der Betriebswirtschaftslehre auf. Seinen Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für dieses Studium lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 11. Januar 1993 ab, weil für eine zweite weitere (= dritte) Ausbildung kein Förderungsanspruch bestehe. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1993) erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht der Klage stattgegeben und dies im wesentlichen folgendermaßen begründet:

Eine Förderung des Studiums an der Universität H… komme nur auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 BAföG in Betracht; denn mit dem Abschluß des “Berufslyzeums” habe der Kläger bereits eine schulische berufsqualifizierende Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG erhalten.

Der Kläger habe nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BAföG Anspruch auf Förderung einer zweiten schulischen beruflichen Ausbildung. Dem stehe nicht entgegen, daß er in Polen bereits eine weitere zweijährige Ausbildung an einer “Pädagogischen Technischen Schule” durchgeführt und die zusätzlichen Berufsqualifikationen eines “Mechanotechnikers” sowie eines “Lehrers der praktischen Berufslehre” erlangt habe. Diese Ausbildung sei einer Ausbildung im Bundesgebiet nicht gleichwertig und nicht anerkennungsfähig, so daß dem Kläger eine Tätigkeit auf dieser Qualifikationsebene nicht möglich wäre. Für ihn sei es, wenn nicht ausgeschlossen, so doch jedenfalls nicht zuzumuten gewesen zu versuchen, durch eine nach einem Beschluß der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 1978 hierfür erforderliche vierjährige berufspraktische Tätigkeit als Kraftfahrzeugmechaniker eine Gleichstellung seiner polnischen Ausbildung mit der eines “Staatlich geprüften Technikers” im Bundesgebiet zu erreichen. Seine Ausbildung zum “Mechanotechniker” und “Lehrer für berufspraktischen Unterricht” befähige den Kläger auch nicht im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG zur Berufsausübung in Polen, weil es ihm als Vertriebenem im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes nicht zugemutet werden könne, sich dort aufzuhalten, und die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG ihrer Zielsetzung nach für die Ausbildung von Vertriebenen nicht gelte. Diese Vorschrift betreffe nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur Auszubildende, die sich nach dem Erwerb eines Ausbildungsabschlusses im Ausland freiwillig (wieder) in das Bundesgebiet begäben, nicht hingegen solche, denen aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden könne, den erlernten Beruf im Ausland auszuüben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er rügt Verletzung von § 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BAföG.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang, so daß die Revision zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO).

Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger in Übereinstimmung mit Bundesrecht einen Anspruch auf Förderung seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der Universität H… auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BAföG in der hier maßgeblichen Fassung des 15. BAföG-Änderungsgesetzes vom 19. Juni 1992 (BGBl I S. 1062) zugesprochen. Insbesondere hat es zu Recht das Klagebegehren nicht an § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG scheitern lassen.

§ 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG bestimmt, daß Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluß geleistet wird. Nach Satz 2 der Vorschrift ist ein Ausbildungsabschluß berufsqualifizierend auch dann, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt. § 7 Abs. 2 BAföG regelt sodann, unter welchen Voraussetzungen Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung bis zu deren berufsqualifizierendem Abschluß geleistet wird.

Dem Oberverwaltungsgericht ist darin zu folgen, daß die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG auch innerhalb des – in der Problematik des “berufsqualifizierenden Abschlusses” dem § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG gleichgelagerten – Anwendungsbereiches des § 7 Abs. 2 BAföG gilt und deshalb eine weitere Ausbildung nicht gefördert werden kann, wenn eine solche bereits im Ausland abgeschlossen wurde und dieser Ausbildungsabschluß dort zur Berufsausübung befähigt. Mit Recht hat das Berufungsgericht diese Regelung im vorliegenden Fall aber für unanwendbar gehalten.

Die Rechtsansicht der Vorinstanz kann sich auf Sinn und Zweck des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG stützen, wie sie sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entnehmen lassen. Ausgehend vom Ziel des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, berufsbildende Ausbildungen zu fördern, die zu einer Berufsausübung in Deutschland befähigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1992 – BVerwG 11 C 5.92 – ≪Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 105 S. 144/146 f. = NJW 1993, 950 = FamRZ 1993, 863≫ m.w.N.), kommt einem Ausbildungsabschluß grundsätzlich – soweit nichts anderes geregelt ist – nur dann die Eignung als berufsqualifizierend im Sinne des § 7 BAföG zu, wenn er zu einer Berufsausübung in Deutschland qualifiziert. Mit der Einfügung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG wollte der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit BVerwGE 62, 174) begegnen, wonach im Ausland erworbene Abschlüsse bei einer Entscheidung nach § 7 BAföG nur dann berücksichtigt werden durften, wenn der erworbene Abschluß einem entsprechenden inländischen Abschluß gleichwertig war und die Aufnahme einer entsprechenden Berufstätigkeit im Bundesgebiet ermöglichte (BTDrucks 12/2108 S. 18). Mit der Änderung sollte “eine Ungleichbehandlung zu vergleichbaren Inlandsfällen vermieden werden”, die der Gesetzgeber darin sah, daß sonst “Auszubildende, die sich zunächst für eine im Ausland angebotene Ausbildung entschieden haben, unter Berufung auf eine fehlende oder nicht gleichwertige Anerkennung im Inland bzw. eine fehlende Verwertbarkeit der Berufsqualifikation die Förderung einer weiteren Ausbildung verlangen können, ohne an die einschränkenden Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BAföG gebunden zu sein” (BTDrucks 12/2108 S. 18). Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG betrifft also nur die Auszubildenden, die sich bei offener Möglichkeit einer Ausbildung im Inland für eine berufsbildende Ausbildung im Ausland “entschieden haben”; sie sollen nicht günstiger als im Falle der Ausbildung im Inland in den Genuß von Ausbildungsförderung für eine (weitere) Ausbildung kommen. Hingegen war es nicht die Absicht des Gesetzgebers, Auszubildende von der Ausbildungsförderung auszuschließen, wenn eine solche freiwillige Entscheidung für eine Ausbildung im Ausland nicht vorliegt. Diese nur begrenzte Intention des Gesetzgebers, der mit der Einfügung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG auf eine spezielle Förderungsproblematik reagierte, gebietet es, die genannte Bestimmung entsprechend ihrem Maßnahmezweck eingeschränkt auszulegen. Sie gilt nicht für Ausbildungsabschlüsse, die Vertriebene vor ihrer Aussiedlung im Herkunftsland erworben haben. Denn es ist davon auszugehen, daß es Vertriebenen bis zu ihrer Aussiedlung nicht möglich war, eine Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, und sie sich deshalb in der Zeit vor ihrer Ausreise nicht freiwillig dahin entschieden, ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in ihrem Herkunftsland durchzuführen.

Bei diesem Verständnis der gesetzlichen Voraussetzungen der Förderung einer weiteren Ausbildung nach § 7 Abs. 2 BAföG kommt es auf die Frage nicht an, ob und inwieweit es dem Kläger hätte zugemutet werden können, auf der Grundlage seiner Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker durch eine im Bundesgebiet aufzunehmende berufspraktische Tätigkeit die Voraussetzungen für eine Anerkennung und Gleichstellung jener Ausbildung mit der eines “staatlich geprüften Technikers” in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Rojahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1619470

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