Entscheidungsstichwort (Thema)
Örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für Klagen eines ehemaligen Soldaten. Versäumung der Klagefrist. Auslegung der Klageschrift. fehlgeleitete Klageschrift. keine Begründung der Rechtshängigkeit durch fehlgeleitete Klageschrift. Verschulden an Fehlleitung der Klageschrift. Verschulden des Prozessvertreters
Leitsatz (amtlich)
In so genannten Verwaltungsangelegenheiten eines Soldaten endet die Zuständigkeit der Truppenverwaltung mit der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses.
Durch den Eingang der Klageschrift bei einem unzuständigen Gericht wird die Klagefrist nur dann gewahrt, wenn die Klage gerade an dieses Gericht gerichtet war (wie Beschluss vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 3 B 36.99 – Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 13).
Normenkette
VwGO § 52 Nr. 4, §§ 74, 60; GVG § 17a Abs. 2 S. 3, § 17b Abs. 1 S. 2; SG § 31; WBO § 15
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 18.02.2000; Aktenzeichen 10 A 11919/99) |
VG Neustadt a.d. Weinstraße (Entscheidung vom 04.03.1999; Aktenzeichen 9 K 2663/98) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Februar 2000 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 4. März 1999 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger war Soldat auf Zeit. Nach dem Einsatz beim Oder-Hochwasser erkrankte er, war seit Mitte Oktober 1997 „krank zu Hause” geschrieben und unterzog sich seit November 1997 einer gluten- und lactosefreien Diätkost. Mit der Begründung, er sei infolge der vor dem Oder-Einsatz erhaltenen Schutzimpfungen erkrankt, beantragte er bei seiner damaligen Einheit in Z. die Erstattung der durch die Diätnahrung entstehenden Kosten. Antrag und Beschwerde blieben erfolglos. Die Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdebescheids lautet auf Klage bei dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sandte die Klageschrift an das Amtsgericht Neustadt an der Weinstraße. Dieses verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, das die Klage als verfristet abgewiesen hat. Das Berufungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die dem Beschwerdebescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei unrichtig; sie habe die einmonatige Klagefrist nicht in Lauf gesetzt. Das in der Rechtsmittelbelehrung bezeichnete Verwaltungsgericht sei nicht das örtlich zuständige Gericht. Vielmehr sei dies das Verwaltungsgericht Sigmaringen. In dessen Bezirk habe der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt seinen Wohnsitz gehabt. Dieser liege im örtlichen Zuständigkeitsbereich der ehemaligen Einheit des Klägers. Denn das Soldatenverhältnis beruhe auf einer personalen Bindung des Soldaten zu seinem Dienstherrn. Aus dieser Bindung folge eine „universelle” Zuständigkeit, die nicht an den Aufenthalt des Soldaten anknüpfe. Diese Zuständigkeit sei nicht auf den Sitz der früheren Behörde beschränkt, sondern erstrecke sich jedenfalls bei einer Bundesbehörde auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das Bataillon in Z. sei daher für den Wohnsitz des Klägers in R. örtlich zuständig gewesen. R. liege im Bezirk des Verwaltungsgerichts Sigmaringen und nicht des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Beklagte die Verletzung formellen Rechts geltend. Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Februar 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 4. März 1999 zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hält die Berufungsentscheidung für korrekturbedürftig.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht. Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil ist zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Kläger hat die Klagefrist versäumt.
1. Der Lauf der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass die mit dem Beschwerdebescheid erteilte Rechtsmittelbelehrung zutreffend war. Das ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der Fall. Das in der Rechtsmittelbelehrung bezeichnete Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße war örtlich zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit dieses Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 52 Nr. 4 VwGO. Nach dessen Satz 1 ist örtlich zuständig das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der Kläger seinen dienstlichen Wohnsitz (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BBesG) oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz (vgl. § 7 BGB) hat. Hat der Kläger keinen dienstlichen Wohnsitz und auch keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, die den ursprünglichen Bescheid erlassen hat, ist nach § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO örtlich zuständig das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk diese Behörde ihren Sitz hat (vgl. Beschluss vom 11. Juni 1981 – BVerwG 2 ER 401.81 – Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 22 S. 4 m.w.N.).
Der Kläger hatte nach seiner Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit mit Ablauf des 31. Mai 1998 keinen dienstlichen Wohnsitz mehr. Davon geht das angefochtene Urteil zutreffend aus. Seine Annahme, der (bürgerliche) Wohnsitz des Klägers liege im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Truppenteils, der den ursprünglichen Ablehnungsbescheid erlassen habe, ist dagegen unrichtig. Eine „universelle” Zuständigkeit des früheren Dienstvorgesetzten des Klägers besteht nicht. Eine solche setzt eine Vorschrift des Inhalts voraus, dass eine am dienstlichen Wohnsitz begründete örtliche Zuständigkeit bestehen bleibt, obwohl der dienstliche Wohnsitz des Bediensteten sich verändert oder entfällt (vgl. dazu etwa Urteil vom 16. April 1970 – BVerwG 8 C 146.67 – BVerwGE 35, 141 ≪143≫). Für den Anspruch des Klägers, der sich aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 31 SG) ableitet, ist keine universelle Zuständigkeit der Ausgangsbehörde begründet. Dieser Anspruch gehört – wie die Ansprüche auf Geld- und Sachbezüge, auf Heilfürsorge und Versorgung wegen Wehrdienstbeschädigung – zu den Verwaltungsangelegenheiten. Soweit militärischen Dienststellen die Entscheidung in Angelegenheiten der Truppenverwaltung übertragen ist – z.B. auf dem Gebiet der Geld- und Sachbezüge – endet diese Entscheidungsbefugnis mit dem Wehrdienstverhältnis des Soldaten. Der aus dem Wehrdienstverhältnis ausgeschiedene Soldat (auf Zeit) unterliegt nicht mehr der Befehlsgewalt seines ehemaligen Dienstvorgesetzten. Die Regelung von Verwaltungsangelegenheiten des früheren Soldaten obliegt nunmehr den Behörden der Bundeswehrverwaltung (vgl. auch Art. 87 b GG). Zwar wird ein eingeleitetes Beschwerdeverfahren auch nach der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses von dem zuständigen Vorgesetzten fortgeführt (vgl. § 15 WBO). Mit der Entscheidung in dem an die Stelle eines Vorverfahrens tretenden Beschwerdeverfahrens (vgl. § 23 Abs. 1 WBO) endet jedoch dessen sachliche Zuständigkeit. Mit diesem Zeitpunkt endet auch seine örtliche Zuständigkeit, so dass der Wohnsitz des Klägers nicht mehr im örtlichen Zuständigkeitsbereich im Sinne des § 52 Nr. 4 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 VwGO liegen kann. Deshalb bestimmt sich der Gerichtsstand nach § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO.
2. Der Kläger hat die durch die richtige Rechtsmittelbelehrung in Lauf gesetzte Klagefrist versäumt. Die versehentlich an das Amtsgericht adressierte, ihrem Inhalt nach jedoch eindeutig für das Verwaltungsgericht bestimmte Klageschrift wahrte die Klagefrist nicht. Durch den Eingang der Klageschrift bei einem unzuständigen Gericht wird die Klagefrist nur dann gewahrt, wenn die Klage gerade an dieses Gericht gerichtet war (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 3 B 36.99 – Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 13 S. 8 m.w.N.). Das war hier nicht der Fall. Anrufen wollte der anwaltlich vertretene Kläger zweifelsfrei nicht das Amtsgericht, sondern das in der Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdebescheids bezeichnete Verwaltungsgericht. Das ergibt eine Auslegung der Klageschrift nach den für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Grundsätzen (vgl. Urteil vom 27. April 1990 – BVerwG 8 C 70.88 – Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9 m.w.N. und Beschluss vom 20. Januar 1993 – BVerwG 7 B 158.92 – Buchholz 310 § 91 VwGO Nr. 24 S. 4). Danach kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die Klageschrift ungeachtet ihrer Adressierung an das Amtsgericht Neustadt an der Weinstraße für das dortige Verwaltungsgericht bestimmt war. Schon aus dem Klageantrag geht hervor, dass der Kläger ablehnende Bescheide einer Dienststelle der Bundeswehr angreift und eine dienst-rechtliche Entscheidung begehrt. Die angegriffenen Bescheide waren der Klage als Anlage beigefügt. Schließlich wird aus dem letzten Absatz der Klageschrift offensichtlich, dass die Klage zum Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße und nicht zum dortigen Amtsgericht erhoben werden sollte. Denn der Kläger regte wegen der von ihm angenommenen örtlichen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße die Verweisung des Rechtsstreits an das von ihm für örtlich zuständig erachtete Verwaltungsgericht Sigmaringen an. Der beim Amtsgericht eingegangene offenkundige „Irrläufer” begründete keine Rechtshängigkeit. Die Verweisung des Rechtsstreits ändert daran nichts. Sie setzt vielmehr voraus, dass Rechtshängigkeit eingetreten ist, deren Wirkungen nach der Verweisung bestehen bleiben (vgl. § 17 b Abs. 1 Satz 2 GVG). Ihre Bindungswirkung erstreckt sich nicht auf den Eintritt der Rechtshängigkeit. Der Verweisungsbeschluss kann vielmehr nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG nur hinsichtlich des Rechtswegs binden. Ohne Rechtshängigkeit ist für eine Verweisung kein Raum. Ein Irrläufer ist formlos an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gewährt werden. Denn sein Prozessbevollmächtigter hat die Versäumung der Klagefrist verschuldet. Dieses Verschulden muss sich der Kläger zurechnen lassen (§ 173 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO). Maßgeblich ist dabei nicht nur der Adressierungsfehler, den der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Unterzeichnung der Klageschrift hätte bemerken und beheben müssen. Ein weiteres Verschulden des Anwalts liegt vielmehr darin, dass er auf die bei ihm noch vor Ablauf der Klagefrist eingangene Anfrage des Amtsgerichts vom 3. August 1998 nicht unverzüglich dafür gesorgt hat, dass die Klageschrift noch rechtzeitig an das Verwaltungsgericht gelangte. Aus der Anfrage des Amtsgerichts ging eindeutig hervor, dass die Klageschrift in der Verwaltungsstreitsache an dieses Gericht statt an das Verwaltungsgericht gelangt war. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte dieser Anfrage außerdem entnehmen müssen, dass das Amtsgericht die Klage nicht innerhalb der noch laufenden Frist formlos an das Verwaltungsgericht weiterleiten wollte, sondern eine förmliche Verweisung beabsichtigte. Statt das Amtsgericht mit Schriftsatz vom 7. August 1998 um Konkretisierung der Anfrage zu bitten, hätte er die Klageschrift beim Verwaltungsgericht einreichen sollen, was noch fristgerecht geschehen konnte, oder das Amtsgericht unter Hinweis auf die irrtümliche Adressierung um sofortige Übersendung der Klageschrift an das Verwaltungsgericht bitten sollen. Denn die Klagefrist endete erst am 10. August 1998 (vgl. § 74 Abs. 1 und 2, § 58 Abs. 1, § 57 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit §§ 187, 188, 193 BGB). Wenn aus der Sicht des Prozessbevollmächtigten Bedenken wegen anderweitiger Rechtshängigkeit beim Amtsgericht bestanden hätten, hätte er die dort eingegangene Klage vorsorglich zurücknehmen können. Es kann daher auf sich beruhen, ob das Amtsgericht nach Lage der Dinge verpflichtet war, die Klageschrift umgehend an das Verwaltungsgericht weiterzuleiten. Darauf kommt es nicht an, weil eine Pflicht zur Weiterleitung das „zweite” Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht ausräumt. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in den Verantwortungsbereich eines zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts mag sich zwar grundsätzlich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr auswirken, weil beide darauf vertrauen dürfen, dass der Schriftsatz rechtzeitig weitergeleitet wird (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪115≫). Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf besteht jedoch dann nicht mehr, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter innerhalb der Frist davon Kenntnis erlangt, dass eine fristgerechte Weiterleitung nicht beabsichtigt ist, und gleichwohl nichts unternimmt, um die Frist zu wahren, obwohl dies ohne weiteres möglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 31.10.2001 durch Schütz Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 667132 |
HFR 2003, 189 |
NVwZ 2002, 1126 |
ZAP 2002, 336 |
BayVBl. 2002, 611 |
IÖD 2002, 96 |
ZfSG/SGB 2002, 546 |