1. Überblick
Rz. 16
Nach § 823 Abs. BGB wird eine Haftung ausgelöst, wenn schuldhaft ein Schutzgesetz verletzt wird und dadurch einem Dritten ein Schaden zugefügt wird. Ein Schutzgesetz liegt vor, wenn die Norm ggf. neben dem Schutz allgemeiner Interessen zumindest auch individuelle Interessen schützen soll, wobei der eingetretene Schaden vom Zweck des Gesetzes verhindert bzw. sanktioniert werden soll.
Der BGH, Urt. v.11.7.1988 – II ZR 243/87, NJW 1988, 2794, 2795, definiert ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB wie folgt:
"Zutreffend ist allerdings ihr Ausgangspunkt, dass als Schutzgesetz i. S. des § 823 II BGB nur eine Norm angesehen werden kann, die nach Zweck und Inhalt wenigstens auch auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung ausgerichtet ist (BGHZ 100, 13 (14) = NJW 1987, 1818 m. w. Nachw.; Knöpfle, NJW 1967, 698 f.). Dieser muss im Aufgabenbereich des Gesetzes liegen und darf sich nicht nur als Reflex darstellen, der sich bei Befolgen der Norm objektiv einstellt (BGHZ 66, 388 (389 f.) = NJW 1976, 1740). Andererseits ist es auch nicht erforderlich, dass sich das Schutzgesetz in der Gewährleistung von Individualschutz erschöpft. Es genügt, dass er neben anderen Interessen ebenfalls im Schutzbereich der gesetzlichen Vorschrift liegt, selbst wenn der Schutz von Allgemeininteressen im Vordergrund stehen mag (BGHZ 100, 13 (15) = NJW 1987, 1818; Knöpfle, NJW 1967, 697 f.)."
Rz. 17
Vor allem Strafgesetze können Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sein. In Betracht kommen aber auch Vorschriften aus anderen Gesetzen, wie z.B. § 82 GmbHG, § 1 Abs. 1 BauFordSiG, § 331 HGB und § 15a Abs. 1 und 4 InsO. Auf einzelne Schutzgesetze wird im Folgenden eingegangen.
2. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO
Rz. 18
Das Leitungsmitglied ist gesetzlicher Verteter der Gesellschaft. Als solches trifft ihn die Insolvenzantragspflicht. Ist die Gesellschaft insolvenzreif, also zahlungsunfähig oder überschuldet, ist grundsätzlich unverzüglich durch die Leitungsmitglieder ein Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO). Auch hier gilt beim Verschulden das Prinzip der Gesamtverantwortung (siehe dazu die Ausführungen bei § 43 GmbHG V). Auch auf die entsprechenden Ausführungen bei der Kommentierung zu § 15b InsO zur Frage des Verschuldens sei verwiesen. Daneben kann die verspätete Insolvenzantragstellung auch eine Haftung wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung begründen (siehe unten bei § 826 BGB).
Rz. 19
Die Strafbarkeit des Geschäftsleiters wegen Insolvenzverschleppung ergibt sich aus § 15a Abs. 4 InsO.
§ 15 a Abs. 4 InsO lautet:
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1 und 2, auch in Verbindung mit Satz 3 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag
- nicht oder nicht rechtzeitig stellt oder
- nicht richtig stellt.
Rz. 20
Die verspätete oder unterlassene rechtzeitige Beantragung des Insolvenzantrags kann aber auch eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB auslösen. Hierbei ist anerkannt, dass die Strafvorschrift § 15 a Abs. 4 InsO ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist, also bei schuldhafter Verletzung eine entsprechende Schadensersatzpflicht auslöst. Der Geschäftsleiter kann die Insolvenzverschleppung vorsätzlich oder fahrlässig verwirklichen. Raum für D&O-Versicherungsschutz besteht bei der fahrlässigen Begehung. Dies betrifft insbesondere den Geschäftsführer, dem nur eine Verletzung seiner Überwachungspflicht angelastet werden kann. Auch ist zu beachten, dass eine zunächst fahrlässige Insolvenzverschleppung in eine vorsätzliche Verschleppung "umschlagen" kann. Dann entfällt der Versicherungsschutz für den Schaden, der auf der vorsätzlichen Begehung beruht.
Die Rechtsprechung unterscheidet bei der Haftung des Geschäftsleiters wegen Insolvenzverschleppung zwei Fallgruppen. Soweit der Gläubiger bereits bei Beginn der Insolvenzverschleppung mit seiner Forderung vorhanden war, besteht sein Schaden darin, dass durch seine Verschleppung ggf. seine Insolvenzquote sinkt. Insofern ist der Schadensersatzanspruch darauf gerichtet, diesem Gläubiger den sog. Quotenschaden zu ersetzen. Diesen Schaden kann meist nur der Insolvenzverwalter berechnen. Insofern ist dieser auch berechtigt, für die Gläubigergesamtheit den Quotenschaden gegenüber dem haftenden Geschäftsleiter geltend zu machen.
Rz. 21
Soweit ein Gläubiger seine Forderung erst nach Eintritt der Insolvenzreife erwirbt, hätte dieser bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung ggf. gar nicht mehr mit der Gesellschaft den Vertrag geschlossen. Dann hätte er keinen Forderungsausfall erlitten. Dieser Gläubiger hat einen Direktanspruch gegen den Geschäftsleiter gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 4 InsO, der darauf gerichtet ist, den Gläubiger so zu stellen, als habe er nicht mit der GmbH kontrahiert (sog. negatives Interesse). Soweit der Gläubiger z.B. Ware geliefert hat, bestünde sein Schaden zumindest ...