I. Wegfall des gesetzlichen Erben vor dem Erbfall
Rz. 2
Vor dem Erbfall kann ein gesetzlicher Erbe genau genommen nicht wegfallen, denn vor dem Erbfall kann niemand gesetzlicher Erbe sein. Mit "Wegfall vor dem Erbfall" ist der Wegfall derjenigen Personen gemeint, die für den Fall als gesetzliche Erben berufen gewesen wären, dass der Erbfall vor dem Wegfall eingetreten wäre. Unter Wegfall fällt hierbei das Vorversterben des gesetzlichen Erben, der Erbverzicht gem. § 2346 BGB, die Enterbung gem. § 1938 BGB, der Ausschluss des Ehegattenerbrechts gem. § 1933 BGB oder im Wege der Eheauflösung, desgleichen der vorzeitige Erbausgleich, der vor dem 1.4.1998 rechtsgültig zustande gekommen ist (Art. 227 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB; § 1934e BGB a.F.).
II. Wegfall des gesetzlichen Erben nach dem Erbfall
Rz. 3
Hierunter fallen Ereignisse, die das gesetzliche Erbrecht entfallen lassen und hierbei auf den Erbfall zurückwirken. Ein gesetzlicher Erbe kann danach nach dem Erbfall durch Ausschlagung (§ 1953 BGB) oder durch Erbunwürdigkeitserklärung (§ 2344 BGB) in Wegfall geraten. Ein Wegfall nach dem Erbfall liegt auch dann vor, wenn eine zur Zeit des Erbfalls bereits erzeugte Person (§ 1923 Abs. 2 BGB) nicht lebend geboren wird. Von einem Wegfall ist hingegen nicht auszugehen, wenn ein gesetzlicher Erbe nach Eintritt des Erbfalls verstirbt, da der Erbteil bereits erlangt wurde und dessen Tod hieran auch nichts mehr ändert. Ist die Ausschlagungsfrist noch nicht abgelaufen, geht das Ausschlagungsrecht auf den Erben über.
III. Erhöhung des Erbteils
Rz. 4
Weitere Voraussetzung ist, dass sich infolge des Wegfalls eines gesetzlichen Erben der Erbteil eines anderen gesetzlichen Erben erhöht. Zu einer Erhöhung kommt es dann, wenn derjenige gesetzliche Erbe, dem die Erhöhung zugutekommt, bereits vor dem Wegfall zum gesetzlichen Erben berufen war, allerdings zu einer geringeren Quote. Der gesetzliche Erbteil eines Verwandten kann sich innerhalb der ersten drei Erbfolgeordnungen entweder durch Wegfall des Ehegatten oder aber durch Wegfall eines anderen erbberechtigten Verwandten, der derselben Ordnung angehört, erhöhen. Die Erhöhung des Erbteils des Ehegatten richtet sich nach § 1931 Abs. 1 und 2 BGB. Lebten die Ehegatten beim Eintritt des Erbfalls im Güterstand der Gütertrennung, kann sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten auch durch Wegfall eines Kindes sowie seines gesamten Stammes (§ 1931 Abs. 4 BGB) erhöhen, da durch dessen Wegfall die Zahl der erbberechtigten Kinder reduziert wird. Gem. § 10 Abs. 1 S. 1 LPartG erhöht sich der gesetzliche Erbteil des eingetragenen Lebenspartners durch Wegfall sämtlicher Abkömmlinge bzw. Großeltern des Erblassers unter Hinterlassung von Abkömmlingen. Desgleichen erhöht sich der gesetzliche Erbteil des Lebenspartners im Falle der Vereinbarung von Gütertrennung durch Wegfall eines Kindes.
Unter die Vorschrift des § 1935 BGB fällt nicht, wenn einem gesetzlichen Erben bereits mehrere Erbteile anfallen. Dies ist zum einen bei mehrfacher Verwandtschaft (§ 1927 S. 2 BGB) der Fall bzw. im Falle von § 1934 S. 2 BGB, § 10 Abs. 1 S. 7 LPartG, wenn nämlich der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner zugleich als Verwandter gesetzlicher Erbe wird.
IV. Wegfall eines eingesetzten Erben
Rz. 5
§ 1935 BGB gilt seinem Wortlaut nach nur dann, wenn ein gesetzlicher Erbe wegfällt und sich dadurch der Erbteil eines anderen zum gesetzlichen Erben Berufenen erhöht. Sind in einem Testament die gesetzlichen Erben bedacht, greift die Auslegungsregel des § 2066 BGB ein. Bei Wegfall von Erben vor oder nach dem Erbfall führt dies ebenfalls zu einer Erbteilserhöhung mit den Konsequenzen des § 1935 BGB. Greift jedoch § 2094 BGB ein, d.h., dass der Erbteil eines eingesetzten Erben infolge Wegfalls dem oder den anderen eingesetzten Erben infolge Anwachsung zufällt, ordnet § 2095 BGB dieselbe Rechtsfolge an, die auch in § 1935 BGB vorgesehen ist, d.h., dass der erhöhte Erbteil als besonderer Erbteil gilt. In den Fällen, in denen § 2088 BGB eingreift, nämlich dann, wenn der Erblasser einen Erben eingesetzt sowie die Einsetzung auf einen Bruchteil der Erbschaft beschränkt und gleichzeitig die Anwachsung gem. § 2094 Abs. 2 und 3 BGB ausgeschlossen hat, kann der Wegfall eines testamentarischen Erben auch dazu führen, dass sich der Erbteil des gesetzlichen Erben erhöht. In einem solchen Fall findet § 1935 BGB analoge Anwendung, da es sich um dieselbe Interessenlage handelt.