Rz. 2
Die Ausschlagungsfrist beginnt mit positiver Kenntnisnahme durch den vorläufigen Erben von (1.) dem Anfall der Erbschaft (Abs. 2 S. 1 Alt. 1) und (2.) dem Berufungsgrund (Abs. 2 S. 1 Alt. 2). Kenntnis bedeutet zuverlässiges Erfahren der Umstände, anhand derer von einem vorläufigen Erben objektiv Überlegungen zur Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft erwartet werden dürfen. Für eine positive Kenntnis kann es teilweise noch nicht einmal ausreichen, dass dem Erben eine entsprechende Mitteilung des Nachlassgerichts zugeht. Fahrlässige Unkenntnis steht der Kenntnis nicht gleich. Im Falle gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis vom Berufungsgrund dann anzunehmen, wenn dem Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung hat oder haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist. Unterliegt der vorläufige Erbe einem Tatsachen- oder Rechtsirrtum, so kann der Fristbeginn gehindert sein. Einem Rechtsirrtum gleichgestellt ist die Kenntnis des vorläufigen Erben vom Vorliegen einer letztwilligen Verfügung, deren Auslegung zwischen den Beteiligten streitig ist. Ein Rechtsirrtum ist jedoch dann auszuschließen, wenn die Rechtslage bei objektiver Beurteilung unzweifelhaft ist. Der Erbe darf sich für die wahre Rechtslage also nicht blind stellen. Ist die Auslegung eines Testaments streitig, so kann im Einzelfall nicht bereits ein richterlicher Hinweis, sondern erst eine entsprechende Begründung des Gerichts über die Erbrechtslage zur positiven Kenntnis des vorläufigen Erben führen. Ebenfalls soll die Unfähigkeit zur Kenntnisnahme infolge körperlichen oder geistigen Verfalls des vorläufigen Erben die Frist nicht in Gang setzen. Der relevante Zeitpunkt für die Kenntnis ist das Ende der Ausschlagungsfrist, eine zu Beginn der Ausschlagungsfrist gewonnene Kenntnis kann daher im Verlauf der Frist wieder entfallen. Bei Miterben läuft die Frist für jeden vorläufigen Miterben gesondert. Nach § 1951 BGB können die Ausschlagungsfristen ebenfalls unterschiedlich laufen, wenn und soweit der vorläufige Erbe in Bezug auf mehrere Erbteile berufen ist (vgl. auch § 1951 Rdn 1 ff.).
Rz. 3
Bei einem gesetzlich vertretenen Erben ist in bestimmten Fällen nicht dessen Kenntnisnahme, sondern die seines gesetzlichen Vertreters entscheidend, wobei bei mehreren gesetzlichen Vertretern – insbesondere den Eltern – nach überzeugender Ansicht die Kenntnis bei beiden von ihnen erforderlich ist; die Frist beginnt erst in dem Zeitpunkt, zu dem der letzte der beiden Kenntnis erlangt. Für den Fristbeginn ist also zu unterscheiden:
Fristbeginn bei Kenntniserlangung durch |
gesetzlichen Vertreter |
oder Erben |
Geschäftsunfähiger (minderjähriger) Erbe |
x |
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Geschäftsfähiger Erbe |
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x |
Abwesenheitspflegschaft für geschäftsunfähigen Erben |
x |
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Vermögenssorgebetreuung für geschäftsunfähigen Erben |
x |
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Abwesenheitspflegschaft für geschäftsfähigen Erben |
x |
x |
Vermögenssorgebetreuung für geschäftsfähigen Erben |
x |
x |
Rz. 4
In den Fällen der gewillkürten Stellvertretung nach §§ 164 ff. BGB genügt der h.M. entweder die Kenntnisnahme des Erben oder des Stellvertreters, wobei sich die Bevollmächtigung auch und gerade auf die Annahme oder Ausschlagung des Erbes beziehen muss. Bislang offengelassen ist, ob es auf die Kenntnis des Verfahrensbevollmächtigten ankommt. Liegt bei den vorstehenden Vertretungskonstellationen die Kenntnisnahme durch den Vertreter oder den Erben vor, so ist die früher ablaufende Frist entscheidend.
Rz. 5
In Bezug auf ein gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind (nasciturus) erfolgt die tatbestandliche Kenntnisnahme erst mit der Geburt des Kindes. Das folgt aus dem Rechtsgedanken des § 1923 Abs. 2 BGB. Für Stiftungen (soweit diese zur Ausschlagung überhaupt berechtigt sind) beginnt die tatbestandliche Kenntnis frühestens mit Kenntnis von der Anerkennung als rechtsfähig nach dem Erbfall (§ 84 BGB; vgl. auch § 1942 Rdn 6). Bei der Nacherbschaft beginnt der Lauf der Ausschlagungsfrist erst mit Kenntnis des Eintritts des Nacherbfalls. Das ergibt sich aus § 2142 Abs. 1 BGB, der insoweit die allg. Regeln der Ausschlagung modifiziert, und auch daraus, dass der Nacherbe vorher keine Kenntnis von seiner Erbenstellung hat (arg. §§ 2100, 2139 BGB). Bei der Kettenausschlagung (siehe Rdn 1) beginnt die Frist ebenfalls erst mit Kenntnisnahme von der Ausschlagung des vorhergehenden Erben, allerdings nicht erst mit der Mitteilung des Nachlassgerichts hiervon nach § 1953 Abs. 3 BGB.