I. Wahlrecht zwischen gesetzlichem und gewillkürtem Erbrecht (Abs. 1)
1. Tatbestandsvoraussetzungen
Rz. 2
Das Wahlrecht zwischen gesetzlichem Erbrecht aufgrund der §§ 1922 ff. BGB und gewillkürtem Erbrecht – sei es aufgrund Testaments oder Erbvertrages – beruht auf Abs. 1. Das Wahlrecht ist dahin ausgestaltet, dass wahlweise (nur) das gewillkürte Erbrecht ausgeschlagen werden kann, welches nach § 1937 BGB vorrangig ist. Voraussetzung des Wahlrechts nach Abs. 1 ist, dass der Erklärende aufgrund der §§ 1922 ff. BGB Erbe wird, wenn er die Berufung aufgrund Testaments oder Erbvertrages ausschlägt. Diese Voraussetzung ist jedoch nur selten erfüllt. Vor allem wegen des Vorranges der letztwilligen Verfügung (§ 1937 BGB) kann eine Auslegung des Erblasserwillens ergeben, dass der Erbe nicht gesetzlicher Erbe werden sollte. In der Praxis bedeutsam sind ferner § 2069 BGB, wonach die Abkömmlinge an die Stelle des Ausschlagenden treten, und § 2094 BGB, wonach der Erbteil des Ausschlagenden den Miterben anwächst. Des Weiteren sind §§ 2096, 2102 Abs. 1 BGB zu beachten. Standardfall des Abs. 1 bleibt daher die Ausschlagung des kinderlosen Alleinerben. In der Praxis stellt eine Ausschlagung nur des gewillkürten Teils daher ein beachtliches Risiko dar und bedarf der sorgfältigen Prüfung, da das gesetzliche Erbrecht nach §§ 1922 ff. BGB nur in Ausnahmefällen an die Stelle des ausgeschlagenen gewillkürten Erbteils tritt. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Ausschlagung des gewillkürten Erbrechts in Erwartung der gesetzlichen Erbschaft unbeachtlicher Motivirrtum für den Fall ist, dass ein Dritter tatsächlich gesetzlicher Erbe wird. Eine Anfechtung (§ 1954 BGB) ist insoweit ausgeschlossen.
2. Rechtsfolgen/Vorteile der Ausübung des Wahlrechts
Rz. 3
In der Rechtsfolge der Ausübung des Wahlrechts steht die Berufung zum gesetzlichen Erben, die als Vorteile den Erhalt des Voraus nach § 1932 BGB oder von Ausgleichsansprüchen nach § 2050 BGB mit sich bringen kann. Beim Ehegattentestament kann der Überlebende seine Bindung nach § 2271 Abs. 2 BGB (wechselseitige Verfügung) beseitigen. Im Übrigen bleiben jedoch etwa Vermächtnisse oder Auflagen im Zweifel wirksam (§§ 2161, 2192 BGB). Für die Pflichtteilslast gelten §§ 2320, 2324 BGB. Bedeutung hat das Wahlrecht ferner, wenn Belastungen durch den Erblasser nur für den eingesetzten Erben gelten oder für die Fälle des § 2095 BGB (besonderer Erbteil bei Anwachsung).
Rz. 4
Auch § 2085 BGB (teilweise Unwirksamkeit) ist bei einer Ausschlagung anwendbar und bekommt erhebliche Bedeutung, wenn das Testament für weitere Erben Bestand hat und damit mittelbar das gesetzliche Erbrecht des Ausschlagenden und der Miterben beeinflusst. Im Vergleich zwischen dem zugewendeten Erbteil und dem gesetzlichen Erbteil eines Miterben ist bei Ausübung des Wahlrechts deswegen zu bedenken, dass der gesetzliche Erbteil nicht größer als der ausgeschlagene zugewendete Erbteil sein kann, da die anderen eingesetzten Miterben den Ausschlagenden aufgrund der Verfügung des Erblassers insoweit verdrängen (Enterbung durch Erbeinsetzung). Vor diesem Hintergrund werden – bei entsprechender Auslegung des Erblasserwillens – der Lenkungsfunktion der Ausschlagung deutliche Grenzen gesetzt. Danach kann sich eine Ausschlagung des zugewendeten Erbteils vor allem dann lohnen, wenn keine gewillkürten Miterben vorhanden sind und der gesetzliche Erbteil den gewillkürten Erbteil (wertmäßig) übersteigt, ferner dann, wenn die eingangs aufgezeigten Rechtsfolgen im Einzelfall vorteilhaft sind oder der Erbe anderen (gesetzlichen) Miterben ihren Erbteil zukommen lassen will, was ansonsten wegen § 1950 BGB nicht möglich ist.
Rz. 5
Ob im Einzelfall erbschaftsteuerliche Vorteile erreicht werden können – etwa durch Ausschöpfung der Steuerfreibeträge der zum Zuge kommenden (Mit-)Erben –, hängt wesentlich vom Wert des Nachlasses ab.
II. Wahlrecht zwischen testamentarischem und erbvertraglichem Erbrecht (Abs. 2)
Rz. 6
Das Wahlrecht zwischen testamentarischem und erbvertraglichem Erbrecht ergibt sich aus Abs. 2. Voraussetzung ist hier kein gesetzliches Erbrecht. Ob die gestalterische Erklärung allerdings Vorteile bringt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen.
Rz. 7
Die wesentliche Wirkung liegt in § 2289 BGB (Aufhebungswirkung). Im Widerspruch zum Erbvertrag stehende testamentarische Verfügungen sind danach relativ unwirksam, kommen aber wieder zur Anwendung, wenn der Erbvertrag – etwa über die Ausschlagung nach Abs. 2 – später wegfällt und dahin auszulegen war, dass die vorherigen Testamente nicht widerrufen werden sollten. Belastungen und Beschränkungen werden auch über Abs. 2 kaum umgangen werden können, §§ 2161, 2192 BGB finden auch hier Anwendung. Kein Fall des Abs...