I. Ungewissheit über die Erbfolge
1. Allgemeines
Rz. 2
Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 1960 BGB ist eine bestehende Ungewissheit hinsichtlich der tatsächlichen Erbfolge. Dabei ist es unerheblich, ob lediglich eine Person zum Alleinerben oder mehrere Personen zu Miterben berufen sind. Mit dem Begriff "Erbe" ist, wie § 1922 Abs. 1 BGB deutlich macht, sowohl der Allein- als auch der Miterbe gemeint. Das hat zur Folge, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1960 BGB auch bei Vorhandensein mehrerer Erben zu prüfen ist und Sicherungsmaßnahmen ggf. nur bezogen auf einen (mehrere) Miterbenanteil(e) etwa in Gestalt einer sog. Teilnachlasspflegschaft angeordnet werden (vgl. Rdn 15).
Rz. 3
Ob die tatsächliche Erbfolge ungewiss ist, hat das Nachlassgericht zu prüfen. Dabei ist ein Hinweis auf anhängige gerichtliche Auseinandersetzungen nicht ausreichend. Das Gesetz zählt die Fälle, in denen die tatsächliche Erbfolge als ungewiss angesehen wird, in Abs. 1 S. 1 und 2 auf: Es sind dies die fehlende Annahme der Erbschaft, die Unbekanntheit des Erben sowie die Ungewissheit darüber, ob der Erbe die Erbschaft angenommen hat.
2. Fehlende Erbschaftsannahme
Rz. 4
Erst im Zeitpunkt der Erbschaftsannahme ist der Schwebezustand beendet, der eine mögliche Nachlassgefährdung verursachen kann. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen kann nur erfolgen, wenn die Annahme der Erbschaft aus der Sicht des Nachlassgerichts nicht feststeht. Die Annahme kann sowohl durch ausdrückliche Erklärung des Erben erfolgen wie auch durch schlüssiges Verhalten, sog. pro herede gestio. Das Verhalten des Erben muss den eindeutigen Willen erkennen lassen, die Erbschaft anzunehmen (abzugrenzen ist hiervon etwa der bloße Wille, die Verwaltung der Erbschaft zu übernehmen; siehe näher zum Begriff der Erbschaftsannahme § 1942 Rdn 5 und § 1943 Rdn 1 f.). Zu beachten ist § 1943 Hs. 2 BGB, wonach die Erbschaft als angenommen gilt, wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist abgelaufen ist (im Hinblick auf die in § 1944 Abs. 2 BGB genannten subjektiven Merkmale kann die Bestimmung des Fristbeginns und damit die Berechnung der Annahmefrist zur Ungewissheit über die Erbschaftsannahme führen, siehe dazu auch noch Rdn 5).
3. Ungewissheit über die Erbschaftsannahme
Rz. 5
Ungewissheit über die Erbschaftsannahme ist gegeben, wenn die Auslegung des Verhaltens eines Erben bei der Erbschaftsannahme pro herede gestio Schwierigkeiten bereitet, wenn Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit einer erklärten Anfechtung der Annahme oder hinsichtlich der Wirksamkeit einer Ausschlagung bestehen. Dasselbe gilt, wenn keine Klarheit darüber besteht, ob die Ausschlagungsfrist der §§ 1943, 1944 BGB verstrichen und es damit zu einer Fiktion der Erbschaftsannahme gekommen ist. Der Ungewissheit über die Erbschaftsannahme steht die Ungewissheit über die gem. Art. 86 EGBGB für den Erbschaftserwerb einer ausländischen juristischen Person erforderliche staatliche Genehmigung gleich.
4. Unbekannter Erbe
Rz. 6
Das Unbekanntsein des Erben ist praktisch ein besonders bedeutsamer Grund für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 1960 BGB. Unbekannt ist der Erbe, wenn nicht mit zumindest hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist, sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen.
5. Beurteilungsstand
Rz. 7
Ob Ungewissheit über die Erbfolge besteht, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an dessen Stelle tretenden Beschwerdegerichts aus zu beurteilen. Maßgebend ist der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme.
6. Fallgruppen
Rz. 8
Der Erbe ist nicht unbekannt i.S.d. Abs. 1 S. 2, wenn nach den klaren tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Nachlasspflegers mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist. Das gilt auch dann, wenn vor einem anderen Gericht Klage auf Feststellung des Erbrechts erhoben worden ist oder wenn ein Erbschein noch nicht erteilt worden ist. Auch wenn das Erbscheinsverfahren noch schwebt, die Person aber feststeht und die Annahme der Erbschaft konkludent durch Beantragung des Erbscheins erklärt hat, ist der Erbe bekannt. Sofern ein Erbschein erteilt ist, schließt schon dessen Vermutungswirkung i.d.R. das Unbekanntsein des Erben aus. Ist ein erteilter Erbschein wieder eingezogen worden, so kann ...