1. Allgemeines
a) Bedeutung und Zweck des Sicherungsmittels
Rz. 31
In der Praxis besitzt das Sicherungsmittel der Nachlasspflegschaft die größte Bedeutung. Wie die anderen Sicherungsmittel auch dient sie den Interessen des endgültigen Erben, nicht aber dem Schutz von Vermögensinteressen Dritter. Ihrer Zwecksetzung nach ist sie in der Hauptsache auf die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses ausgerichtet. Außerhalb dieses Zwecks liegen die Ausführung des Erblasserwillens, wie auch die Befriedigung von Nachlassgläubigern. Allerdings kann eine Befriedigung von Nachlassverbindlichkeiten in Betracht kommen, wenn dadurch der Nachlass vor weiteren Belastungen – etwa Prozesskosten – bewahrt wird.
b) Rechtsnatur der Nachlasspflegschaft
Rz. 32
Nach der herrschenden Vertretertheorie ist der Nachlasspfleger weder Vertreter des Nachlasses (im Sinne eines selbstständigen Sondervermögens) noch treuhänderische Amtsperson, sondern gesetzlicher Vertreter der (noch unbekannten) Erben. Bei der Nachlasspflegschaft handelt es sich ihrer Rechtsnatur nach um eine Personalpflegschaft in dem Sinne, dass der Pfleger als gesetzlicher Vertreter der Pflegebefohlenen, hier also der noch nicht feststehenden endgültigen Erben, erscheint. Inhaltlich ist sie im Hinblick auf die Sorge für den Nachlass eine Art Vermögenspflegschaft. Bei der Wahrnehmung seiner Hauptaufgabe, den Nachlass zu sichern und zu erhalten, ist der Nachlasspfleger gesetzlicher Vertreter des oder der Erben. Der Nachlasspfleger ist nicht etwa Vertreter des Nachlasses oder treuhänderische Amtsperson. Tritt der Nachlasspfleger in Ausübung seines Amtes auf, dann geschieht dies ausschließlich in Wahrnehmung seiner Aufgaben als gesetzlicher Vertreter der Erben.
c) Anwendung der Vorschriften des Vormundschaftsrechts
Rz. 33
Aus der Systematik des Gesetzes, insbesondere aus der Regelung des § 1962 BGB, wonach für die Nachlasspflegschaft an die Stelle des Familiengerichts oder Betreuungsgerichts das Nachlassgericht tritt, ergibt sich, dass für die Nachlasspflegschaft die allg. Vorschriften über die Pflegschaft gem. §§ 1909 ff. BGB gelten und damit auch § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB Anwendung findet. Nach Abs. 1 S. 1 dieser Regelung sind auf die Pflegschaft die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften entsprechend anwendbar, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Nicht mit den Besonderheiten der Nachlasspflegschaft vereinbar und deswegen unanwendbar sind diejenigen Vorschriften, die eine bestimmte Person als Vertretenden voraussetzen. Dies gilt z.B. für die Regelungen §§ 1777, 1783, 1800 und 1801 BGB.
d) Stellung des Erben bei Nachlasspflegschaft
Rz. 34
Durch die Anordnung der Nachlasspflegschaft wird die Stellung des betroffenen Erben nicht beeinträchtigt, denn der Nachlasspfleger besitzt keine verdrängende Vertretungsmacht. Der Erbe behält seine Verpflichtungs- und Verfügungsfähigkeit. Verpflichten sich Nachlasspfleger und Erbe hinsichtlich ein und desselben Nachlassgegenstandes, so sind beide Verpflichtungen wirksam. Im Falle jeweiliger Verfügungen über denselben Nachlassgegenstand gilt grundsätzlich das sachenrechtliche Prioritätsprinzip, wonach die frühere Verfügung wirksam ist. Allerdings sind die Grundsätze über den gutgläubigen Erwerb zu beachten.
e) Verhältnis zu anderen Pflegschaften
aa) Prozesspflegschaft
Rz. 35
Die Nachlasspflegschaft auf Antrag gem. § 1961 BGB stellt gleichfalls eine Nachlasspflegschaft dar. Auch die Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB kann nur in den Fällen des Abs. 1 angeordnet werden. Im Übrigen unterscheiden sich die beiden Rechtsinstitute jedoch vor allem darin, dass die Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB von Amts wegen angeordnet wird, während die Nachlasspflegschaft gem. § 1961 BGB einen Antrag des Berechtigten auf Bestellung eines Nachlasspflegers zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung eines gegen den Nachlass gerichteten Anspruchs voraussetzt. Allerdings hat auch bei der Nachlasspflegschaft auf Antrag der Nachlasspfleger die Interessen des Nachlasses bzw. der Erben zu wahren und darf sich, sofern die Pflegschaft nicht zulässigerweise allein die Erledigung eines Rechtsstreits zum Inhalt hatte, nicht auf die Befriedigung des antragstellenden Nachlassgläubigers beschränken (siehe § 1961 Rdn 16 f.).
bb) Pflegschaft für die Leibesfrucht
Rz. 36
Die Nachlasspflegschaft ist ihrer Hauptzwecksetzung nach auf die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses u.a. für den Fall ausgerich...