Rz. 3

Der Anspruch der werdenden Mutter auf Unterhalt nach S. 1 ist von dem Vorliegen zweier Voraussetzungen abhängig. Zum einen muss zur Zeit des Erbfalls die Geburt eines Erben zu erwarten sein, zum anderen muss die werdende Mutter außerstande sein, sich selbst zu unterhalten, es muss also Bedürftigkeit gegeben sein.

I. Zur Zeit des Erbfalls zu erwartende Geburt eines Erben

 

Rz. 4

Ein Unterhaltsanspruch nach S. 1 kommt nur in Betracht, wenn zur Zeit des Erbfalls – Tod des Erblassers – die Geburt eines Erben zu erwarten ist. Das setzt im Hinblick auf die Regelung des § 1923 Abs. 2 BGB zunächst voraus, dass das ungeborene Kind bereits gezeugt ist (nasciturus), weil es ansonsten an der Erbfähigkeit fehlen würde.

 

Rz. 5

Des Weiteren muss der nasciturus eine Erbenstellung innehaben. Diese kann auf Gesetz beruhen, sie kann sich aber auch aus gewillkürter Erbfolge ergeben.

 

Rz. 6

Die Erbenstellung muss im Zeitpunkt des Todes des Erblassers unmittelbar bestehen, anderenfalls kann S. 1 erst bei Wegfall eines zunächst zur Erbfolge Berufenen, sofern dieses Ereignis zeitlich vor der Geburt liegt, eingreifen. Relevanz erlangt diese Konstellation vor allem in den Fällen der Ausschlagung (§ 1953 BGB), der Einsetzung als Ersatzerbe (§ 2096 BGB) und der Erbunwürdigkeitserklärung (§ 2344 BGB). Mit Eintritt eines dieser Ereignisse vor der Geburt kann S. 1 bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen Wirkung entfalten.[5]

 

Rz. 7

Fraglich ist, ob für die Anwendbarkeit des S. 1 auch eine bloße Pflichtteilsberechtigung des nasciturus genügt. Entgegen der Auffassung, die eine direkte[6] oder analoge[7] Anwendung von S. 1 bejaht, ist diese Frage zu verneinen.[8] Entscheidender Gesichtspunkt hierfür ist, dass der Erbe mit dem Erbfall bzw. der mit einer Erbenstellung ausgestattete nasciturus nach der Geburt Rechtsnachfolger in das gesamte Vermögen des Erblassers wird, während der Pflichtteilsberechtigte lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch erwirbt. Diese unterschiedlichen Rechtspositionen schließen eine Anwendung des auf die werdende Mutter eines Erben bezogenen S. 1 auf den Fall des nasciturus, der künftig lediglich pflichtteilsberechtigt ist, aus.

 

Rz. 8

Die werdende Mutter eines künftigen Vermächtnisnehmers hat gleichfalls keinen Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass.[9]

 

Rz. 9

Eine Sonderregelung findet sich bei der Einsetzung des nasciturus als Nacherbe. Für den Fall, dass im Zeitpunkt des Nacherbfalls der Nacherbe bereits gezeugt, jedoch noch nicht geboren ist, hat die werdende Mutter gem. § 2141 BGB in entsprechender Anwendung des S. 1 einen Unterhaltsanspruch. Dasselbe gilt dann, wenn der Nacherbfall erst mit der Geburt des Kindes eintritt (§§ 2101 Abs. 1 S. 1, 2106 Abs. 2 S. 1 BGB).[10]

[5] Vgl. Palandt/Weidlich, § 1963 Rn 1.
[6] Stöcker, ZblJugR 1981, 125 ff., der vom Begriff des Erben alle Personen umfasst wissen will, die überhaupt etwas aus dem Nachlass – sei es als Erbe, Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer – erhalten; zustimmend Krüger/Tegelkamp, ErbR 2012, 34, 36.
[7] Staudinger/Mesina, § 1963 Rn 3.
[8] Wie hier etwa Erman/Westermann, § 1963 Rn 3; MüKo/Leipold, § 1963 Rn 3.
[9] Siehe etwa Erman/Westermann, § 1963 Rn 3; MüKo/Leipold, § 1963 Rn 3; Staudinger/Mesina, § 1963 Rn 3; a.A. Stöcker, ZblJugR 1981, 125 ff.
[10] Vgl. MüKo/Leipold, § 1963 Rn 3.

II. Bedürftigkeit der werdenden Mutter

 

Rz. 10

Die Regelung des S. 1 setzt weiter voraus, dass die werdende Mutter außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Gesetz verwendet hier dieselbe Formulierung wie in § 1602 Abs. 1 BGB bezogen auf die Unterhaltsberechtigung zwischen Verwandten in gerade Linie. Für die Frage der Bedürftigkeit i.S.v. § 1963 BGB ist deshalb von denselben Voraussetzungen auszugehen, bei deren Vorliegen Bedürftigkeit nach § 1602 Abs. 1 BGB gegeben ist.

 

Rz. 11

Danach liegt Bedürftigkeit nur vor, wenn die werdende Mutter vermögenslos ist, d.h., sich weder aus Vermögenseinkünften noch aus dem Vermögensstamm unterhalten kann und nicht in der Lage ist, ihre Arbeitskraft zu verwerten, sprich, kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat.[11] Ansprüche auf nachrangig zu gewährende Sozialleistungen wie z.B. Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II) oder Sozialhilfe nach dem SGB XII schließen die Bedürftigkeit im Hinblick darauf nicht aus, dass diese Leistungen dem Subsidiaritätsprinzip unterliegen[12] (zur Frage, ob im Falle der Leistungsgewährung Anspruch aus S. 1 auf den Leistungsträger übergeht, siehe Rdn 29).

[11] Siehe näher zur Bedürftigkeit Palandt/Brudermüller, § 1602 Rn 2 ff.
[12] Siehe etwa zur Sozialhilfe § 2 Abs. 2 SGB XII; vgl. auch BGH v. 25.2.1987 – IV b ZR 36/86, NJW 1987, 1551, 1553.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?