Gesetzestext
Pflichtteilsrechte, Vermächtnisse und Auflagen werden durch das Aufgebot nicht betroffen, unbeschadet der Vorschrift des § 2060 Nr. 1.
A. Allgemeines
Rz. 1
Die Bestimmung wurde als notwendig angesehen, weil der Zweck des Aufgebots, dem Erben über die Nachlassverbindlichkeiten zuverlässige Kenntnis zu verschaffen, bei Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen regelmäßig entfalle. Es bedürfe deshalb keines Aufgebotsverfahrens, weil der Erbe nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Regelfall bei Eröffnung des Testaments von der letztwilligen Verfügung Kenntnis erlange. Die praktischen Folgen dieser Regelung sind, was aufzuzeigen ist, gering.
B. Rechtliche Folgen des Nichtbetroffenseins
Rz. 2
Nach § 1972 BGB werden durch das Aufgebot Pflichtteilsrechte (§§ 2303 ff. BGB), Vermächtnisse (§§ 2147 ff. BGB) und Auflagen (§§ 2192 ff. BGB) nicht betroffen. Die rechtliche Stellung dieser sog. nachlassbeteiligten Gläubiger ist schwächer als diejenige anderer – ausgeschlossener – Nachlassgläubiger. Denn obwohl ihre Ansprüche aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen im Aufgebotsverfahren nicht ausgeschlossen werden, braucht der Erbe sie, wenn die Voraussetzungen des § 1990 BGB erfüllt sind (bei Vermächtnissen und Auflagen genügen bereits die Voraussetzungen des § 1992 BGB), erst im Range nach den anderen Nachlassgläubigern – selbst wenn diese im Aufgebotsverfahren ausgeschlossen sind – zu befriedigen (§ 1991 Abs. 4 BGB; § 327 Abs. 3 InsO). Pflichtteilsrechte, Vermächtnisse und Auflagen können damit nur gegenüber einem nicht durch andere Verbindlichkeiten überschuldeten Nachlass geltend gemacht werden. Hatte der Erbe die in § 1972 BGB genannten Verbindlichkeiten zuvor bereits erfüllt, müssen die anderen Nachlassgläubiger dies nur dann hinnehmen, wenn der Erbe den Umständen nach annehmen durfte, dass der Nachlass zur Berichtigung aller Nachlassverbindlichkeiten ausreichen würde; § 1979 BGB. Die übrigen Nachlassgläubiger müssen diese Befriedigung als für Rechnung des Nachlasses erfolgt gegen sich gelten lassen (§ 1979 BGB). Sie können die Erfüllung nach § 322 InsO oder § 5 AnfG wie unentgeltliche Verfügungen anfechten bzw. durch den Insolvenzverwalter anfechten lassen. Im Nachlassinsolvenzverfahren werden Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen nachrangig – noch nach den Forderungen des § 39 Abs. 1 InsO – erfüllt (§ 327 Abs. 1 InsO; vgl. auch §§ 322, 328 InsO).
Rz. 3
Die Bedeutung des § 1972 BGB liegt im Wesentlichen darin, dass nachlassbeteiligte Gläubiger – anders als ausgeschlossene Gläubiger – ggf. den Erben für seine Verwaltung persönlich haftbar machen können (§§ 1978, 1979 BGB). Gegenüber den ausgeschlossenen Nachlassgläubigern ist nämlich die Haftung auf Bereicherungsgrundsätze beschränkt (§ 1973 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB; § 328 Abs. 2 InsO). § 1972 BGB lässt die Vorschrift des § 2060 Nr. 1 BGB unberührt. Nach ihr haften Miterben nach der Teilung des Nachlasses nur für den ihrem Erbteil entsprechenden Teil einer Nachlassverbindlichkeit, wenn der Gläubiger im Aufgebotsverfahren ausgeschlossen worden ist. Insoweit wirkt der Ausschließungsbeschluss (§§ 439–441 FamFG) auch zum Nachteil der Gläubiger des § 1972 BGB. Die Anmeldung der Forderung im Aufgebotsverfahren erhält die gesamtschuldnerische Haftung der Miterben über die Teilung hinaus.
Rz. 4
Die Anmeldung der Forderung kann für die Gläubiger des § 1972 BGB auch deshalb sinnvoll sein, weil diese – anders als die Gläubiger des § 1971 BGB – nach fünfjähriger Säumnis im Verhältnis zueinander wie ausgeschlossene Gläubiger behandelt werden (vgl. § 1974 Abs. 3 BGB, der § 1972 BGB nicht erwähnt). Erbersatzansprüche, die es in Bezug auf die Erbfälle vor dem 1.4.1998 noch stets geben kann (Art. 227 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB) werden nach §§ 1934b Abs. 2, 1972 BGB wie Pflichtteilsrechte vom Aufgebot nicht betroffen.