1. Grundsatz
Rz. 11
Sind mehrere Nachlassgläubiger vorhanden, braucht der Erbe – solange er von der Zulänglichkeit des Nachlasses ausgehen darf – keine bestimmte Reihenfolge bei der Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten einzuhalten (§ 1979 BGB). Er kann also alle Nachlassgläubiger, auch die Minderberechtigten, nach freiem Belieben befriedigen bzw. deren Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung zulassen. Ist diese Annahme nicht mehr gerechtfertigt, hat der Erbe die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen (§ 1980 BGB), es sei denn, dass die Überschuldung nur auf Vermächtnissen und Auflagen oder Ansprüchen nach den §§ 1973, 1974 BGB beruht (§ 1980 Abs. 1 S. 3 BGB). Konnte der Erbe erkennen, dass der Nachlass nicht ausreicht, alle Gläubiger zu befriedigen, gelten §§ 1978, 1979 BGB uneingeschränkt, solange die Voraussetzungen des § 1990 BGB nicht erfüllt sind, der Nachlass also noch nicht dürftig ist. Verletzt der Erbe die Pflicht, die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen (§ 1980 BGB), macht er sich Gläubigern gegenüber schadensersatzpflichtig (§ 1980 Abs. 1 S. 2 BGB), soweit diese weniger erhalten, als sie bei Durchführung eines Nachlassinsolvenzverfahrens bekommen hätten. Ist der Nachlass aufgrund der Befriedigung verschiedener Nachlassgläubiger dürftig geworden, ist das Recht des Erben, sich auf § 1990 BGB zu berufen, nicht ausgeschlossen. Der Erbe muss in diesen Fällen jedoch aus seinem Eigenvermögen denjenigen Betrag an den Nachlass leisten, der nötig ist, die nicht befriedigten Nachlassgläubiger so zu stellen, wie sie für den Fall des rechtzeitigen Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestanden hätten.
2. Befriedigung bei dürftigem Nachlass
Rz. 12
Liegen die Voraussetzungen des § 1990 BGB vor, entfällt die Verpflichtung des Erben, Nachlassverwaltung oder die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen. Der Erbe hat nun bei der Befriedigung der Nachlassgläubiger die Ausnahmebestimmungen der Abs. 3 und 4 zu beachten. Nach Abs. 3 wirkt die rechtskräftige Verurteilung des Erben zur Befriedigung eines Nachlassgläubigers einem anderen Nachlassgläubiger gegenüber wie eine Befriedigung (vgl. insoweit die ähnliche Bestimmung des § 1973 Abs. 2 S. 3 BGB). Der titulierte Betrag gilt als nicht mehr im Nachlass vorhanden. Nach der h.M. ist derjenige Nachlassgläubiger, der den Titel gegen den Erben erwirkt hat, vor den übrigen Nachlassgläubigern zu befriedigen. Die entsprechende Anwendung des Abs. 3 wird befürwortet, auf Forderungen des Erben wegen seiner Ansprüche gegen den Nachlass und in Bezug auf den Nachlasspfleger wegen dessen Ansprüche auf Vergütung, Gebühren und Auslagenersatz.
Rz. 13
Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auslagen sind wie im Nachlassinsolvenzverfahren erst nach den übrigen Forderungen und nach den Forderungen ausgeschlossener und diesen gleichgestellter Gläubiger zu erfüllen (§ 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 327 Abs. 1 und 3 InsO). Diese Regelung gilt auch für Pflichtteilsergänzungsansprüche alten Rechts und für Erbersatzansprüche, soweit diese wegen des Übergangsrechts noch geltend gemacht werden können.
Rz. 14
Der Erbe kann all diesen Gläubigern die Einrede des § 1990 BGB schon dann entgegenhalten, wenn der Nachlass für sie nach einer Befriedigung derjenigen Gläubiger, die ihnen im Insolvenzverfahren vorgehen würden, nicht mehr ausreichen würde. Eine Befriedigung braucht noch nicht erfolgt zu sein. Die durch diese Bestimmung vorgenommene Zurücksetzung greift auch dann ein, wenn sie bereits eine rechtskräftige Verurteilung des Erben (Abs. 3) erwirkt haben. Die Rangfolge richtet sich streng nach § 327 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO. Aber auch die Sonderregelungen in § 327 Abs. 2 und 3 InsO sind hier zu beachten.
Rz. 15
Für Verstöße gegen Abs. 4 bei voreiliger Befriedigung nachlassbeteiligter Gläubiger haftet der Erbe den anderen – vorrangigen – Gläubigern nach Maßgabe der §§ 1978 Abs. 1, 1979 BGB auf den Ausfall.
Rz. 16
Der Erbe selbst kann u.U. seine Leistung an einen Nachlassgläubiger nach den §§ 813, 814 kondizieren, soweit er sie nach den §§ 1990 Abs. 1, 1991 Abs. 4 BGB hätte verweigern dürfen.