Rz. 69
Unter ausdrücklicher Aufgabe der bisher gegenteiligen Rechtsprechung hat der BGH 2009 entschieden, dass es Fälle geben kann, in denen § 2040 BGB durch § 2038 BGB "verdrängt" wird. So kann bspw. die Kündigung eines Mietvertrages oder eines Darlehensvertrages mehrheitlich nach Abs. 1 S. 2 Hs. 1 erfolgen (und nicht einstimmig nach § 2040 BGB), wenn es sich um eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung handelt. In Fällen der Verfügungen im Rahmen von Notverwaltungsmaßnahmen ging bereits nach bisheriger Rechtsprechung des BGH Abs. 1 S. 2 Hs. 2 der Regelung des § 2040 BGB vor.
Denkt man diese Änderung der Rechtsprechung konsequent weiter, müssten bspw. auch Verfügungen über Immobilien durch die Erbengemeinschaft im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung mehrheitlich möglich sein. Die Einhaltung der Form des § 29 Abs. 1 GBO ergäbe sich jedenfalls konkludent durch die Beurkundung der Auflassung durch die Mehrheit der Erben (zur Form der Beschlussfassung vgl. Rdn 40). Dieser Mehrheitsbeschluss ermächtigt die handelnden Erben. Das OLG Hamm lehnte diesen Weg 2014 mit der Begründung ab, dass dies "eine Nachprüfung tatsächlicher Verhältnisse voraus(setzt), die im Grundbucheintragungsverfahren nicht stattfindet". Dabei wirft das OLG mit Recht eine offensichtliche Frage auf: Wie soll der Empfänger der Erklärung (hier: Auflassung) feststellen können, ob es sich um eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung handelt? Der BGH sah in seinen Entscheidungen aus den Jahren 2009 und 2014 offensichtlich kein Problem darin, dieses Bewertungsrisiko auf den Empfänger der Kündigung abzuwälzen. Man wird daher im speziellen Fall des Grundbuchverfahrens sogar noch eher dazu gelangen können oder sogar gelangen müssen, dass das Grundbuchamt die Wirksamkeit der Ermächtigung durch Mehrheitsbeschluss (vergleichbar mit der Wirksamkeit einer erteilten Vollmacht) nicht dahingehend zu prüfen hat, ob ein Fall der ordnungsgemäßen Verwaltung vorliegt. Naheliegend wird es sein, dem Grundbuchamt lediglich ein Prüfungsrecht dahingehend einzuräumen, ob die Mehrheit der Erben verfügt – nicht jedoch, ob es eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung ist. Selbst wenn man der Meinung sein sollte, dass das Grundbuchamt sogar insoweit ein Prüfungsrecht hätte, so dürften die Anforderungen hier nicht überzogen werden: Verfügt die Erbenmehrheit entgeltlich und nicht gegen eine testamentarische Verfügung (Teilungsverbot, Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis), so darf das Grundbuchamt eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung annehmen. Die Voraussetzungen kann die Erbenmehrheit ebenso nachweisen wie der Testamentsvollstrecker, wenn die Frage seines Verfügungsrechts geprüft wird (Prüfung, ob Testamentsvollstrecker nicht gegen das Verbot unentgeltlicher Verfügungen verstößt, § 2205 S. 3 BGB, vgl. hierzu § 2205 Rdn 17 ff.).
Das OLG München hat im Jahr 2018 eine Eintragung lediglich noch deswegen abgelehnt, weil durch den Antragsteller "mit den vorgelegten Urkunden (…) weder ein (wirksamer) Beschluss zur Mehrheitsverwaltung noch die Ordnungsgemäßheit der von den Beteiligten als Verwaltungsmaßnahme gewerteten Verfügung nachgewiesen" wurde. Wenngleich die Antragsteller in diesem Fall nicht erfolgreich waren, scheint es auf den ersten Blick so, als ob erstmals ein OLG die grundsätzliche Möglichkeit der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltungsmaßnahme im Grundbucheintragungsverfahren sieht. Denn der Senat legt ausführlich dar, nach welchen Kriterien die Ordnungsgemäßheit zur prüfen wäre und dass den Antragstellern dieser Nachweis nicht gelungen sei. Am Ende dieser Ausführungen findet sich dann allerdings auch der Satz, dass "(…) das Grundbuchamt in der Regel – und auch hier – die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung nicht nachprüfen (kann)": ein Satz, der im Widerspruch zu den vorangegangenen Ausführungen steht.
Die Frage, ob ein Fall des § 2038 BGB (gemeinschaftliches Handeln nicht zwingend notwendig) oder ein Fall des § 2040 BGB (gemeinschaftliches Handeln zwingend notwendig) vorliegt, wenn es sich um eine Verfügung als Verwaltungsmaßnahme handelt, wird in der Praxis weiterhin Schwierigkeiten bereiten. Insbesondere bei Kündigungserklärungen wird es dem Adressaten der Kündigung selten möglich sein, verlässlich zu prüfen, ob die Kündigung für die Erbengemeinschaft – also außerhalb seines Wahrnehmungsbereiches – eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung darstellt.