Rz. 29

Wie sehen die gegenseitigen Ansprüche der Miterben aus, wenn ein Erbe den ihm durch Teilungsanordnung zugewandten Gegenstand bereits zu Lebzeiten vom Erblasser erhalten hat? Vergleichbare Konstellationen kommen in der Praxis häufig vor und führen ebenso häufig zu tiefen Zerwürfnissen zwischen den Erben. Es bieten sich hier mehrere Lösungsmöglichkeiten an, die stets einzelfallabhängig zu prüfen sind.

a) Auslegung

 

Rz. 30

In erster Linie ist dem Erblasser durch Auslegung des Testaments zu helfen. Es darf nie vergessen werden, dass die Zuwendung von Todes wegen im Interesse des Erblassers geschieht und es daher auf seinen mutmaßlichen Willen ankommt. Die Auslegung geht der Anfechtung vor.[84] Vorrangig ist bei der Auslegung von Testamenten der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen, es ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, § 133 BGB.[85] Hat der Erblasser mithin lebzeitig bereits seine letztwillige Verfügung zu Teilen "vorweggenommen", wird daher zunächst zu prüfen sein, ob Anhaltspunkte bestehen, dass der Erblasser von der ursprünglich geplanten Aufteilung seines Vermögens, wie sie in seiner letztwilligen Verfügung niedergelegt ist, bewusst abweichen wollte. Dabei werden auch entsprechende Zuwendungsverträge darauf zu prüfen sein, ob sie Hinweise auf die Motive des Erblassers bieten.

 

Rz. 31

War aus Gegenständen, die durch Teilungsanordnung zugewandt wurden, die testamentarische Erbquote zu entnehmen und wendet der Erblasser hiervon lebzeitig Gegenstände dem Bedachten zu, so soll es nach einem nicht näher begründeten obiter dictum in einem Urteil des BGH möglich sein, dass eine ergänzende Auslegung des Testaments ergeben könne, dass die lebzeitige Zuwendung "auf die mit seiner Erbeinsetzung verbundene Teilungsanordnung anzurechnen ist".[86] Dabei lässt der BGH offen, welche Art von "Anrechnung" dies sein könnte. In dieser speziellen Konstellation (durch Teilungsanordnung zugewandte Gegenstände sind Grundlage für die Ermittlung der Erbquoten) wird es stattdessen zutreffend sein, im Rahmen der Auslegung die Erbquoten entsprechend zu reduzieren, soweit der Bedachte einen Gegenstand, der Grundlage der Ermittlung der Erbquote gewesen ist, bereits zu Lebzeiten erhalten hat.[87]

[84] BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, Rn 21, juris; BGH, Urt. v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LS 1, juris; BayObLG, Beschl. v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, Rn 18, juris; Staudinger/Otte (2013), § 2078 Rn 6; Rudolf/Bittler/Seiler-Schopp, § 4 Rn 9 m.w.N.
[85] Rudolf/Bittler/Seiler-Schopp, § 1 Rn 9 f.
[87] Ebenso: Staudinger/Otte (2013), § 2087 Rn 31.

b) Ausgleichung aufgrund Ausstattung

 

Rz. 32

Die lebzeitige "Vorwegnahme" der Teilungsanordnung könnte als Ausstattung i.S.v. § 1624 BGB ausgleichungspflichtig nach § 2050 Abs. 1 BGB sein. Diese Möglichkeit eröffnet sich überhaupt freilich nur bei Abkömmlingen des Erblassers, und auch nur dann, wenn die Abkömmlinge als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen (§ 2050 Abs. 1 BGB) oder im Fall der Erbfolge aufgrund einer letztwilligen Verfügung, wenn die gesetzliche Erbfolge wiederholt wird bzw. die Anordnung in einem entsprechenden Verhältnis geschieht (§ 2052 BGB). Gelangt man zur grundsätzlichen Ausgleichung über § 2050 Abs. 1 BGB, würde der nicht lebzeitig bedachte erbende Abkömmling über § 2055 BGB einen Ausgleich verlangen können, wobei die Grenze des § 2056 BGB (keine Herauszahlung des Mehrempfangs) zu beachten ist. Wer nicht Abkömmling des Erblassers ist, ist zur Ausgleichung weder berechtigt noch verpflichtet. Auch der ausgleichsrelevante Nettonachlass bestimmt sich ausschließlich nach den an der Ausgleichung beteiligten Abkömmlingen.

c) Ausgleichung durch Anordnung

 

Rz. 33

Wurde bei der lebzeitigen Zuwendung an einen der Erben bestimmt, dass dies "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" geschieht, so kann dies als Anordnung der Ausgleichung gem. §§ 2050 Abs. 3, 2052 BGB zu verstehen sein, was durch Auslegung zu ermitteln ist.[88] Einseitig kann der Erblasser eine Anrechnungsbestimmung i.S.v. § 2050 Abs. 3 BGB nicht nachholen. Hier bleibt ihm ausschließlich die Möglichkeit der letztwilligen Verfügung, namentlich der Anordnung von Vorausvermächtnissen zugunsten der übrigen Erben.[89]

[88] BGH, Urt. v. 27.1.2010 – IV ZR 91/09, LS 1 u. Rn 13 ff., juris; BGH NJW 1982, 43, LS 2 u. S. 44 für den Fall eines bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testaments.

d) Anfechtung

 

Rz. 34

Die Möglichkeit der Anfechtung des Testaments ist nur mit allergrößter Vorsicht zu wählen und wird in der Praxis viel häufiger gewählt, als es tatsächlich sachdienlich ist. Häufig wird die Anfechtung nicht zum gewünschten Ergebnis führen, denn die Anfechtung kassiert nur, sie reformiert nicht; Rechtsfolge aus § 142 Abs. 1 BGB. Daher ist vorrangig immer zunächst der Weg über die Auslegung zu suchen (siehe Rdn 31). Der Erbe ist nur dann zur Anfechtung gem. § 2080 Abs. 1 BGB berechtigt ist, wenn er durch die Anfechtung einen Vorteil erlangt.

e) Ansprüche aus §§ 138 Abs. 1, 2287 BGB oder § 826 BGB?

 

Rz. 35

Bei einem bindend gewordenen gemeinschaft...

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