Rz. 2
Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus, dass mehr als ein Stamm von Abkömmlingen vorhanden, gesetzliche Erbfolge bezogen auf diese Abkömmlinge eingetreten ist und ausgleichungspflichtige Zuwendungen, die den Nachlass schmälern, an einen miterbenden Abkömmling vom Erblasser zu dessen Lebzeiten gewährt worden sind.
I. Mehr als ein Stamm von Abkömmlingen
Rz. 3
Ausgleichung findet nur unter Abkömmlingen der Zahl (n ≥ 2) statt, also nicht unter dem einzigen Abkömmling und der Ehefrau des Erblassers. Als Abkömmlinge zählen ausschließlich die Verwandten in absteigender gerader Linie (§§ 1589 S. 1, 1924 Abs. 1, BGB), also Kinder, Enkel, Urenkel usw., wobei sich das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich nach materiellem Familienrecht bestimmt und als Anknüpfung daher nur noch §§ 1591–1593 BGB im Hinblick auf die Voraussetzungen der Abstammung, §§ 1741 ff. BGB im Hinblick auf die Voraussetzungen der Adoption und deren Rechtsfolgen (§ 1754 BGB für den Minderjährigen, §§ 1754, 1767 Abs. 2 BGB für den Volljährigen) in Betracht kommen. Erbrechtlich beachtlich ist nur die "rechtlich anerkannte Verwandtschaft". Im Zweifel ist vorab ein Statusbeschluss gemäß §§ 169 ff. FamFG zu erwirken; Inzidentprüfung dürfte wegen Spezialität des Statusverfahrens ausgeschlossen sein. Die Auseinandersetzung ist bis zur Behebung des Zweifels gehindert (§ 2043 BGB).
II. Gesetzliche Erbfolge bezogen auf die Abkömmlinge
Rz. 4
Es muss gesetzliche Erbfolge (nur) im Hinblick auf die Abkömmlinge gegeben sein. Dies ist der Fall, wenn keine oder eine unwirksame Verfügung von Todes wegen vorliegt oder wenn zwar testamentarische Anordnungen getroffen wurden, ohne dass sich indessen eine ausdrückliche Erbeinsetzung der Abkömmlinge, jedenfalls aber mindestens zweier von ihnen, feststellen lässt. Zur Ausnahmeregelung des § 2052 BGB vgl. dort.
Rz. 5
Problemfall: Es liegt eine unwirksame Verfügung von Todes wegen vor, die vom Gesetz abweichende Quoten anordnet. Damit greift zwar gesetzliche Erbfolge, indessen ist ein anderslautender Wille des Erblassers dokumentiert. Soweit dessen Urheberschaft feststeht und keine Willensmängel hereinspielen, wird zu prüfen sein, ob nicht zumindest die dem Gesetz zugrunde liegende Vermutung erschüttert und die Ausgleichspflicht damit ausgeschlossen ist. Ob in diesem Zusammenhang geringere Anforderungen zu stellen sind als in den Fällen der Auslegung formwirksamer Testamentsteile durch Verwertung formunwirksamer Erklärungen (sie bedarf formwirksamer Anknüpfungspunkte als Grundlage), hängt von der bisher ungeklärten Frage ab, wie ernst man die Rede von der "Vermutung" i.R.d. Ausgleichungsregeln nimmt. Will man die Grundannahme des Gesetzes als prinzipiell widerleglich ansehen, so besteht keine sachliche Rechtfertigung, für die Anknüpfungstatsachen einer solchen Widerlegung Testamentsform oder sonstige Formen zu verlangen.
III. Ausgleichungspflichtiger Vorempfang
1. Allgemeines
a) Art der Vorempfänge
Rz. 6
Das Gesetz unterscheidet insgesamt vier Arten: Ausstattungen (Abs. 1), Übermaß an Zuschüssen (Abs. 2 Var. 1), Übermaß an Aufwendungen für die Vorbildung zum Beruf (Abs. 2 Var. 2), andere Zuwendungen, für die die Ausgleichungspflicht angeordnet wurde (Abs. 3). Gemeinsam ist allen vier Fallgruppen, dass eine "Zuwendung" (§ 2316 Abs. 1 S. 1 BGB sowie "andere" in Abs. 3) vorliegen muss. Hierunter versteht man herkömmlich jede Maßnahme, durch die dem Abkömmling ein Vermögensvorteil auf Kosten des – künftigen – Nachlasses zufließt dergestalt, dass hierdurch das Auseinandersetzungsguthaben der übrigen Miterben verringert wurde. Man findet zahlreich vertreten, die Zuwendung müsse nicht zwingend mittels Rechtsgeschäfts geschehen sein bzw. ein solches sei für die Annahme von Zuwendung nicht begriffswesentlich. Bsp. für Zuwendungen, bei denen dies nicht der Fall ist, finden sich allerdings nirgends aufgeführt – zu denken ist wohl an bereichernde Realakte, Vater errichtet etwa auf Grundstück des Abkömmlings in dessen Abwesenheit zum Zwecke der Ausstattung ein Bauwerk. Nicht die Rechtsnatur des Vorgangs ist von Belang, sondern sein wirtschaftliches Ergebnis. Wäre der hypothetische Nachlass, die Maßnahme weggedacht, zum Todeszeitpunkt höher, liegt potenziell Zuwendung vor.
Rz. 7
Damit scheidet die Annahme von Zuwendung aus bei Gegenständen, die dem Erblasser noch zu Lebzeiten de facto mit dinglicher Wirkung wieder zurückgewährt worden sind oder ihm de iure zurückgewährt hätten werden müssen (etwa ein Darlehen an den Abkömmling, das bis zum To...