Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
I. Allgemeines
Rz. 4
Kann der Wille des Erblassers durch Auslegung nicht ermittelt werden, greift § 2069 BGB ein, wonach die Abkömmlinge an die Stelle des nach Errichtung des Testaments verstorbenen Abkömmlings treten. § 2069 BGB findet auch dann Anwendung, wenn mit dem Wegfall seitens des Erblassers nicht gerechnet worden ist oder wenn ein Wegfall des Abkömmlings bereits vor Errichtung des Testaments erfolgte, der Erblasser hiervon jedoch nichts wusste. Im letzteren Fall gilt § 2069 BGB analog. § 2069 BGB ist ebenfalls anwendbar, wenn der Erblasser vor Errichtung der letztwilligen Verfügung mit seinem Abkömmling einen Erbverzichtsvertrag (Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht) geschlossen hat, er seinen Abkömmling gleichwohl bedenkt und dieser dann infolge Vorversterbens in Wegfall gerät. Der Verzicht erstreckt sich zwar gem. § 2349 BGB i.d.R. auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, aber es handelt sich bei § 2069 BGB um eine gewillkürte, und nicht um die gesetzliche Erbfolge. Eine testamentarische Einsetzung zum Erben ist von diesem Verzicht nicht umfasst. Die Regelung des § 2069 BGB kommt ebenfalls dann zum Tragen, wenn ein Abkömmling zum Schlusserben eingesetzt worden ist. Maßgebend ist für die gesetzliche Erbfolge der Zeitpunkt des Eintritts des Schlusserbfalls.
II. Voraussetzungen des § 2069 BGB
1. Zuwendung
Rz. 5
Voraussetzung ist, dass der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach Testamentserrichtung weggefallen ist. Unter Bedenken fallen alle Zuwendungen in einem Einzeltestament oder einem gemeinschaftlichen Testament, desgleichen in einem Erbvertrag. Die Zuwendung kann in Form der Erbeinsetzung, der Vermächtniszuwendung oder durch Begünstigung in Form einer Auflage erfolgen. Die Erbeinsetzung erfasst sowohl die Einsetzung zum Vor- oder Nacherben als auch die Einsetzung zum Ersatzerben.
Rz. 6
Handelt es sich um eine aufschiebend bedingte Zuwendung, geht die Anwendung von § 2069 BGB der Vorschrift des § 2074 BGB vor. § 2074 BGB gilt nur dann, wenn der Abkömmling zwischen Erbfall und Bedingungseintritt wegfällt und zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass es dem Erblasserwillen entspricht, dass die weiteren Abkömmlinge ausgeschlossen sein sollen.
Rz. 7
Die Vorschrift des § 2069 BGB gilt auch für den Fall, dass der Erblasser nur einen Abkömmling hat. Maßgeblich ist allein die Tatsache, dass eine Erbfolge nach Stämmen vorrangig sein soll. Bedenkt der Erblasser mehrere oder alle seine Abkömmlinge, ist § 2069 BGB ebenfalls anwendbar. Maßgebend ist allein, dass der Grund der Zuwendung die Tatsache ist, dass die bedachten Personen Abkömmlinge sind.
2. Begriff des Abkömmlings
Rz. 8
Unter den Begriff "Abkömmlinge" fallen die ehelichen Kinder, Enkel, Urenkel usw., d.h. diejenigen Personen, die mit dem Erblasser in gerader Linie verwandt sind, des Weiteren die nichtehelichen sowie die adoptierten Kinder, im Übrigen die nichtehelichen Kinder eines männlichen Erblassers und nichteheliche Kinder männlicher Abkömmlinge. Die individuelle Auslegung kann jedoch dazu führen, dass nichteheliche Abkömmlinge ausgeschlossen sein sollen. Dies allerdings generell im Zweifel auch für Testamente, die zu einem Zeitpunkt errichtet wurden, zu dem es noch kein gesetzliches Erbrecht nichtehelicher Kinder gab, anzunehmen, ist nicht gerechtfertigt. Erfolgte eine Adoption durch den Abkömmling, so fallen die Adoptierten nur unter den Begriff des Abkömmlings, wenn durch die Adoption ein Verwandtschaftsverhältnis begründet worden ist. Handelt es sich jedoch um eine Volljährigen-Adoption, so macht die Adoption die angenommene Person nicht zum Verwandten des Erblassers. Somit zählt diese nicht zu den gesetzlichen Erben. § 2069 BGB ist daher nicht anwendbar. Pflegekinder sowie Stiefkinder fallen nicht unter den Begriff des Abkömmlings i.S.v. § 2069 BGB. Hier kann nur eine individuelle Auslegung zur Ersatzberufung der Abkömmlinge führen. Handelt es sich jedoch um ein Berliner Testament, so gilt Folgendes: Im Falle, dass Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament Abkömmlinge des Erstverstorbenen zu Erben des Längstlebenden berufen haben, ist § 2069 BGB analog anzuwenden. Fällt somit der zum Schlusserben berufene einseitige Abkömmling weg, treten an dessen Stelle seine Abkömmlinge. Gleiches gilt auch, wenn es sich nicht um ein Berliner Testament, sondern um einen Erbvertrag handelt.
Rz. 9
Unter die Vorschrift des § 2069 BGB fällt in erster Linie der Fall, wonach der Erblasser den Abkömml...