Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 28
Die Regelung des § 2069 BGB greift auch dann ein, wenn ein Abkömmling, der als Nacherbe eingesetzt ist, zwischen Testamentserrichtung und Erbfall in Wegfall gerät. Dies gilt auch, wenn der Nacherbe nach dem Erbfall durch Ausschlagung der Nacherbschaft oder durch Erbunwürdigkeitserklärung in Wegfall gerät. Beides wirkt auf den Erbfall zurück. Die Nacherbenanwartschaft wurde durch eingesetzten Abkömmling zu keinem Zeitpunkt erworben. Für den Fall, dass der Nacherbe jedoch erst zwischen Erb- und Nacherbfall verstirbt, vererbt sich seine Nacherbenanwartschaft gem. § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich auf dessen Erben, es sei denn, es ist ein anderer Erblasserwille festzustellen, wonach das Eindringen familienfremder Personen nicht gewollt ist. Hier hat also § 2108 Abs. 2 BGB Vorrang. Andererseits hält Leipold eine Anwendung von § 2069 BGB für denkbar, da dem Nacherben zwar die Anwartschaft, hingegen noch nicht die Erbschaft angefallen ist. Er führt jedoch aus, dass eine Ersatzberufung der Abkömmlinge als Regelauslegung nach § 2069 BGB zum Widerstreit zu § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB führt. § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB sieht nämlich als Regelfall die Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft vor. Demgemäß ist es auch möglich, dass andere Personen, wie z.B. der Ehegatte oder ein fremder Dritter, anstatt der Abkömmlinge gem. § 2069 BGB berufen sind. § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB wertet somit die Stellung des Nacherben zwischen Erb- und Nacherbfall auf. Über § 2069 BGB verbleibt die Erbschaft in der Familie, § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB kann dazu führen, dass auch familienfremde Personen in den Genuss der Erbschaft kommen.
Rz. 29
Nach Ansicht des BGH, dem auch zu folgen ist, gebührt jedoch der Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft der Vorrang, allerdings ist die Möglichkeit eines entgegenstehenden Erblasserwillens sorgfältig zu prüfen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich Ehegatten gegenseitig zu Vorerben und einen gemeinschaftlichen Abkömmling zum Nacherben berufen haben. Würde nämlich dem § 2069 BGB der Vorrang gegenüber § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB eingeräumt, würde der letztgenannten Vorschrift der hauptsächliche Anwendungsbereich entzogen. Weiterhin spricht gegen den Vorrang des § 2069 BGB, dass die Einsetzung zum Nacherben ohnehin schon zu einer Schlechterstellung gegenüber der gesetzlichen Erbfolge geführt hat. Die Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft bildet nunmehr ein gewisses Äquivalent dafür, dass dem Abkömmling beim Erbfall der Nachlass vorenthalten wurde.
Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung Ersatznacherben bestimmt, so hat diese Bestimmung Vorrang vor der Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft.