Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
I. Abkömmlinge
Rz. 2
Die Abkömmlinge eines Dritten müssen bedacht worden sein. Es ist erforderlich, dass die "Abkömmlinge" eines Dritten mit dieser allg. Bezeichnung bedacht sind. Auch wenn nicht der Begriff des Abkömmlings, sondern Begriffe wie "Kinder" oder "Nachkommen" eines Dritten verwendet werden, ist die Vorschrift des § 2070 BGB anwendbar. Ob der Dritte im maßgeblichen Zeitpunkt, d.h. zum Zeitpunkt des Erbfalls bzw. zum Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung, noch lebt, ist für die Anwendbarkeit von § 2070 BGB unerheblich. Auf die Abkömmlinge von Geschwistern des Erblassers findet § 2070 BGB ebenfalls Anwendung.
II. Abkömmlinge eines Dritten
Rz. 3
Erfasst werden nur die Zuwendungen an die Abkömmlinge eines Dritten, nicht jedoch die Zuwendungen an die Abkömmlinge des Erblassers. Die Vorschrift des § 2070 BGB findet somit dann keine Anwendung, wenn der Erblasser Personen zu seinen Erben eingesetzt hat, die zu seinen Abkömmlingen gehören. Nach einer Ansicht sind hier jedoch die Regeln der gesetzlichen Erbfolge heranzuziehen. Es wird auf den erbfähigen Personenkreis im Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt. Nach a.A. ist § 2070 BGB hingegen nicht anwendbar, wenn der Dritte selbst Abkömmling des Erblassers ist, da in diesem Fall eigene Abkömmlinge bedacht sind.
Rz. 4
Hat der Erblasser die Abkömmlinge eines seiner Kinder zu Erben eingesetzt, ist in diesem Fall im Wege der Auslegung zu entscheiden, ob auch solche Abkömmlinge, die erst nach dem Erbfall gezeugt werden, als bedacht gelten. In den Fällen, in denen diese Abkömmlinge als bedacht gelten, wirkt die Erbeinsetzung für diese nur als Nacherbeneinsetzung. § 2070 BGB gilt nicht.
Rz. 5
Hat der Erblasser entferntere Abkömmlinge eingesetzt, ist § 2070 BGB nicht anwendbar. Es handelt sich um die Fälle, in denen der Erblasser seine Enkelkinder bedenkt, ohne auch sein noch lebendes Kind zu bedenken. Für diese Fälle findet § 2070 BGB keine unmittelbare Anwendung, da es sich bei den Abkömmlingen der Abkömmlinge nicht um Abkömmlinge Dritter handelt, sondern um die Abkömmlinge des Erblassers. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus, und zwar aus dem Grund, weil dem Erblasser nicht unterstellt werden kann, dass er noch nicht gezeugte Enkelkinder generell ausschließen wollte. Hier greift die Auslegung ein. Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob auch noch nicht Gezeugte zum Zuge kommen sollen oder nicht.
Rz. 6
Unter den Begriff des Dritten fallen sowohl die jetzige als auch die frühere Ehefrau des Erblassers, dessen Geschwister, Verschwägerte oder Freunde. In Bezug auf die Ehefrau gilt jedoch einschränkend, dass diese nur Dritte ist, sofern deren Abkömmlinge nicht auch die Abkömmlinge des Erblassers sind.
III. Ohne nähere Bestimmung
Rz. 7
Hat der Erblasser den Kreis der Bedachten in seiner letztwilligen Verfügung näher bestimmt, geht diese Bestimmung der Anwendung des § 2070 BGB in jedem Falle vor. Ist im Wege der Auslegung der wirkliche oder hypothetische Wille des Erblassers festzustellen, tritt § 2070 BGB zurück. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ("im Zweifel"). Der Wille des Erblassers kann ergeben, dass er auch die Abkömmlinge des Dritten bedenken will, die erst nach dem Erbfall erzeugt worden sind.