Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
I. Grundsatz
Rz. 8
Wie bereits ausgeführt, führt die Auslegungsregel des § 2072 BGB dazu, dass der örtliche Träger der Sozialhilfe (kreisfreie Stadt bzw. der Landkreis) als Erbe bzw. Vermächtnisnehmer anzusehen ist, ausgehend vom letzten Wohnsitz des Erblassers mit den bereits angesprochenen Ausnahmen.
II. Entsprechende Anwendung des § 2072 BGB
Rz. 9
In einzelnen Fällen ist eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 2072 BGB zu bejahen, und zwar dann, wenn der Erblasser nicht "die Armen", sondern "die Bedürftigen", "die sozial Schwachen", "die Behinderten", "die alten gebrechlichen Leute", "die Waisen" oder "die Kriegsbeschädigten" oder auch eine zu unbestimmte Einrichtung mit derartiger Zweckbestimmung ("ein Heim für körperbehinderte Kinder in M.") bedacht hat. Weitere Voraussetzung ist, dass eine individuelle Auslegung nicht möglich ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass es dem Erblasserwillen entspricht, dass die Bedürftigen der jeweiligen Wohnsitzgemeinde bedacht werden sollten. Der Erblasser wird hier an einer sinnvollen Verteilung interessiert sein. Daher ist auch vorliegend davon auszugehen, dass der örtliche Sozialhilfeträger der letzten Wohnsitzgemeinde als Bedachter anzusehen ist. Für den Fall, dass der Erblasser den Zweck näher bestimmt hat, sind eventuelle diesbezügliche Einschränkungen zu berücksichtigen. Nach einer Entscheidung des LG Bonn ist § 2072 BGB nicht auf eine Verfügung zugunsten der Blinden anwendbar, da hier nicht generell davon auszugehen ist, dass diese bedürftig sind. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen.
Erfolgt eine Zuwendung für sonstige gemeinnützige Aufgaben (z.B. den Tierschutz, zur Kulturförderung oder auch zur Förderung des Sports), kommt weder eine direkte Anwendung unter Berufung auf einen allgemeinen Rechtsgedanken noch eine analoge Anwendung des § 2072 BGB in Betracht.
Rz. 10
Hat der Erblasser eine Einrichtung bedacht, die nicht existiert, können die Grundsätze des § 2072 BGB ebenfalls herangezogen werden. Es ist dann eine rechtlich selbstständige Organisation als bedacht anzusehen, die den vom Erblasser gewünschten Zweck verfolgt. Geht es dem Erblasser um mildtätige Zwecke, ist auch hier eine Zuwendung an den Träger der Sozialhilfe anzunehmen, wenn keine Organisation vorhanden ist, die dem Erblasser näher steht, um die von ihm verfolgten Zwecke zu verwirklichen. Hatte der Erblasser dagegen eine nicht öffentliche Stelle als Bedachten im Auge, kann dies gegen eine analoge Anwendung des § 2072 BGB sprechen. Hat der Erblasser eine bestimmte Einrichtung zum Erben berufen, fehlt dieser Einrichtung allerdings die selbstständige Rechtspersönlichkeit, so ist davon auszugehen, dass die Zuwendung an den Rechtsträger unter der Auflage der Verwendung für die Einrichtung erfolgt.
Rz. 11
Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung keinen Zuwendungsempfänger angegeben, sondern nur bestimmt, dass ein Teil seines Nachlasses für mildtätige oder karikative Zwecke verwendet werden soll, ist § 2072 BGB grundsätzlich nicht entsprechend anwendbar. Die Einzelfallauslegung kann in derartigen Fällen jedoch dazu führen, dass der Erblasser den örtlichen Sozialhilfeträger bedenken wollte. Hat der Erblasser bspw. eine Zuwendung zugunsten des Tierschutzes verfügt, ist diese Zuwendung dahingehend auszulegen, dass der Erblasser den örtlichen Tierschutzverein bedenken wollte. In einigen Fällen ist hierin eine Erbeinsetzung zu sehen. Häufig handelt es sich jedoch um eine Auflage, die der Erbe zu erfüllen hat. In diesem Fall hat der Beschwerte den Empfänger der Leistung anhand des vom Erblasser vorgegebenen Zwecks zu bestimmen.