Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Gesetzestext
Hat der Erblasser den Bedachten in einer Weise bezeichnet, die auf mehrere Personen passt, und lässt sich nicht ermitteln, wer von ihnen bedacht werden sollte, so gelten sie als zu gleichen Teilen bedacht.
A. Allgemeines
Rz. 1
Die Regelung des § 2073 BGB soll dazu führen, dass eine mehrdeutige letztwillige Verfügung nicht unwirksam ist, sondern aufrechterhalten werden kann. Sie setzt sich insoweit über den Erblasserwillen hinweg, der auf die Einsetzung einer Person gerichtet ist, als mehrere Personen, auf welche die vom Erblasser vorgegebenen Kriterien zutreffen, als zu gleichen Teilen bedacht gelten. Nach einer Ansicht handelt es sich hierbei um eine Auslegungsregel. Nach a.A. liegt hingegen eine Umdeutungsregel vor. Nach weiterer Ansicht ist von einer Dispositivregel auszugehen. Das RG hingegen geht von einer Ergänzungsvorschrift aus. Diese soll den lückenhaft geäußerten Willen des Erblassers vervollständigen.
Rz. 2
Nach überwiegender Ansicht liegt jedoch eine gesetzliche Fiktion vor. Für die Annahme einer gesetzlichen Fiktion spricht es, dass man damit dem Erblasserwillen am ehesten gerecht wird. Es stellt einen Ausweg in das kleinere Übel dar. Gäbe es die Fiktion nicht, wäre die letztwillige Verfügung wegen Mehrdeutigkeit unwirksam. Insoweit würde man dem Erblasserwillen überhaupt nicht gerecht werden. Für den Fall der Anordnung eines Vermächtnisses käme die Unwirksamkeit den Beschwerten zugute. Diesen wollte der Erblasser den Vermächtnisgegenstand aber gerade nicht zuwenden. Geht man jedoch von der Teilung aus, kommt demjenigen, den der Erblasser in jedem Fall bedenken wollte, zumindest ein Teil der Zuwendung zu.
Rz. 3
Dadurch, dass es sich bei § 2073 BGB um eine Kompromisslösung handelt, kommt diese Regelung erst dann zum Zuge, wenn die Auslegung zu keinem Ergebnis führt und der Bedachte nicht durch Auslegung ermittelt werden kann. Es kann nicht Sinn und Zweck sein, dass den Gerichten die Entscheidung zwischen verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten dadurch erspart wird, dass § 2073 BGB angewandt wird. Die Auslegung hat in jedem Falle Vorrang.
B. Tatbestand
Rz. 4
Der Erblasser muss eine Bezeichnung gewählt haben, die auf mehrere Personen zutrifft, und es lässt sich nicht klären, wer bedacht werden sollte.
I. Individualisierende Bestimmung
Rz. 5
Der Erblasser muss in seiner letztwilligen Verfügung eine Bezeichnung gewählt haben, die es ermöglicht, eine individualisierende Bestimmung vorzunehmen. Des Weiteren müssen sämtliche vom Erblasser aufgeführten Kriterien auf mehrere Personen zutreffen. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Erblasser seiner Nichte Claudia etwas zuwendet, er aber drei Nichten dieses Namens hat und keine der bedachten Personen beweisen kann, dass sie gemeint ist. Wurde der Tierschutzverein in C eingesetzt, existieren jedoch in C zwei Tierschutzvereine, wobei keiner dieser Vereine genau die Bezeichnung trägt, die der Erblasser in sein Testament aufgenommen hat, ist § 2073 BGB anwendbar. Wählt der Erblasser dagegen eine Bezeichnung, die völlig ungenau ist und bei welcher sich eine bestimmte Person nicht ermitteln lässt, liegt eine unwirksame Verfügung vor. § 2073 BGB ist nicht anwendbar. § 2073 BGB findet nur dann Anwendung, wenn die vom Erblasser gewählte Bezeichnung außer auf die bedachte Person noch auf andere Personen zutrifft. Dies bedeutet, dass die vom Erblasser aufgeführten Merkmale gleichzeitig auf mehrere bestimmbare Personen zutreffen und diese auch als Bedachte in Betracht kommen müssen. Hierbei ist das Verhältnis zum Erblasser, die Fähigkeiten der bedachten Personen oder auch der zugewandte Gegenstand als Kriterium heranzuziehen.
Beispiel
Der Erblasser hat in seinem Testament verfügt, dass seine Nichte aus Dank sein Klavier erhalten soll. Eine Nichte hat sich nicht um den Erblasser gekümmert, eine Nichte hat sich zwar um den Erblasser gekümmert, spielt jedoch kein Klavier, die dritte Nichte hat sich um den Erblasser gekümmert und spielt Klavier.
Rz. 6
Im Wege der Auslegung kommt nur die dritte Nichte als bedachte Person in Frage. § 2073 BGB findet hier keine Anwendung. § 2073 BGB ist nur dann heranzuziehen, wenn im Wege der Auslegung einzelne Personen zwar ausgeschlossen werden können, jedoch immer noch mehrere Personen als Zuwendungsempfänger in Betracht kommen.
Rz. 7
Hat der Erblasser eine Person benannt, die nicht existiert, lässt sich aber im Wege ergänzender Auslegung ein Kreis von Personen ermitteln, unter denen der Erblasser ausgewählt haben würde, ist § 2073 BGB dennoch nicht anwendbar, da die gewählte Bezeichnung nicht vom Erblasser stammt. In diesem Fall ist die Zuwendung, sofern sie nicht im Wege ergänzender Auslegung konkretisiert werden kann, unwi...