Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Allgemeines
Rz. 27
Der Erblasser kann den Pflichtteil nur unter den Voraussetzungen der §§ 2333 ff. BGB wirksam entziehen. Weiterhin ist in §§ 2305–2307 BGB geregelt, dass ein Zusatzpflichtteil dann verlangt werden kann, wenn die Zuwendung wertmäßig unterhalb des Pflichtteils liegt. Diese gesetzlichen Regelungen können nicht durch Verwirkungsklauseln ausgehebelt werden.
Rz. 28
§ 2307 Abs. 1 BGB sieht ein Wahlrecht zugunsten des Vermächtnisnehmers vor. Dieses Wahlrecht ist zwingend und kann nicht durch die Anordnung einer Verwirkungsklausel umgangen werden.
Wird das Vermächtnis seitens des bedachten Pflichtteilsberechtigten nicht ausgeschlagen, kann der Pflichtteilsrestanspruch verlangt werden. Durch Verfügung von Todes wegen, d.h. durch die Anordnung einer Strafklausel, kann dies nicht verhindert werden. Eine derartige Klausel wäre unwirksam. Ordnet der Erblasser an, dass die Erbeinsetzung entfällt, sofern der Pflichtteilsrestanspruch geltend gemacht wird, ist auch eine derartige Bedingung unwirksam.
2. Pflichtteilsklauseln in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag
Rz. 29
Bei einer sog. Pflichtteilsstrafklausel handelt es sich um eine Sonderform einer Verwirkungsklausel. Der häufigste Anwendungsbereich der Pflichtteilsstrafklausel findet sich beim gemeinschaftlichen Testament. Durch die Verwendung von Strafklauseln wollen i.d.R. gemeinschaftlich testierende und sich gegenseitig zu Erben einsetzende Ehegatten sicherstellen, dass dem Überlebenden bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt und er nicht durch das Pflichtteilsverlangen eines Schlusserben gestört wird.
Eine derartige Klausel verfolgt damit das rechtlich nicht zu beanstandende Ziel, den Nachlass zunächst dem überlebenden Ehegatten ungeschmälert zukommen zu lassen. Dies soll regelmäßig dadurch erreicht werden, dass der den Pflichtteil geltend machende Schlusserbe auch beim zweiten Erbfall auf den Pflichtteil beschränkt wird. Auch die Klausel "Wer seinen Erbteil fordert…" kann als Pflichtteilsklausel auszulegen sein. Soll das Erbe eines Kindes im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments vor dem Sozialhilfeträger geschützt werden, ist eine Pflichtteilsklausel einschränkend auszulegen. Macht der Sozialhilfeträger beim ersten Todesfall aus übergeleitetem Recht den Pflichtteil geltend, wird hierdurch die Pflichtteilsstrafklausel nicht ausgelöst. Sind in dem gemeinschaftlichen Testament hingegen keine Regelungen enthalten, um dem Sozialhilfeträger den Zugriff auf das Vermögen zu verwehren, wird die Pflichtteilsklausel mit Geltendmachung des Pflichtteils durch den Sozialhilfeträger ausgelöst.
Rz. 30
Gleiches gilt auch dann, wenn die Abkömmlinge des erstversterbenden Ehegatten zu Schlusserben eingesetzt worden sind und beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil geltend machen, auch wenn das Vermögen vom Erstversterbenden herrührt. Durch die Geltendmachung des Pflichtteils wird diese Pflichtteilsklausel erst ausgelöst (siehe hierzu näher Rdn 37). Ein mutwilliges Verhalten oder das Bewusstsein, den Erblasserwillen bewusst zu missachten, müssen daher nicht vorliegen. Bei derartigen Klauseln verlangt die Rechtsprechung zum Teil ein subjektives Element.
Rz. 31
Die Schlusserbeneinsetzung steht demgemäß unter der auflösenden Bedingung, dass der eingesetzte Schlusserbe beim ersten Todesfall den Pflichtteil geltend macht. Eine solche auflösende Bedingung muss aber im Testament angeordnet sein oder sich durch Auslegung ergeben; eine dahingehende Regel, dass im Berliner Testament stets von diesem Willen auszugehen sei, gibt es nicht.
Tritt der Verwirkungsfall ein, dann ist i.d.R. der gesamte Stamm des Erben von der Erbfolge ausgeschlossen. Der Wegfall der Schlusserbeneinsetzung, d.h. der Eintritt der auflösenden Bedingung, kann grundsätzlich auch nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs noch herbeigeführt werden.
Rz. 32
Um zu verhindern, dass das den Pflichtteil verlangende Kind bei der Einheitslösung zweimal am Nachlass des erstversterbenden Elternteils beteiligt wird und deshalb die gewollte Abschreckungswirkung gemindert ist, wurde die sogenannte Jastrow’sche Klausel entwickelt.
Diese Klausel hatte ursprünglich folgenden Wortlaut: "Wenn ein Kind gegen den Nachlass des Erstversterbenden den Pflichtteilsanspruch erheben sollte, so sollen folgende Bestimmungen gelten:"
1. |
Die übrigen Kinder, welche den Pflichtteilsanspruch nicht erheben, sollen aus dem Nachlass des Erstversterbenden ein Vermächtnis erhalten, welches für jedes Kind so groß sein soll, wie dessen Erbanteil bei gesetzlicher Erbfolge und Übernahme der Pflichtteilslast auf die Kinder sich stellen würde. Der Anfall der Vermächtnisse soll sofort beim Tode des Erstversterbenden erfolgen. Die Zahlung soll aber erst beim Tode des letztlebenden Teils geschehen. |
2. |
… |
3. |
Dasjenige Kind, welches den Pflichtteilsanspruch erhebt, soll auch vom Nachlass des überlebenden Teiles nur den Pflich... |