Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Allgemeines
Rz. 13
Der Wille des Erblassers ist stets vorrangig. Dies bedeutet, dass gem. Abs. 3 die Regel des Abs. 1 nur zur Anwendung kommt, wenn ein entgegenstehender Wille des Erblassers nicht ermittelt werden kann. Ggf. kann, abgesehen von der Regelung des § 2077 BGB, eine Anfechtung gem. § 2078 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.
2. Wirklicher Wille des Erblassers
Rz. 14
Abs. 3 geht von seinem Wortlaut her davon aus, dass der hypothetische Wille des Erblassers maßgeblich ist. Es ist jedoch auch der wirklich erklärte Wille des Erblassers zu berücksichtigen. Dieser selbst hat die Möglichkeit, durch ausdrückliche Erklärung die Rechtsfolge auszuschließen.
Rz. 15
Entgegen dem Gesetzeswortlaut ist daher zunächst der wirkliche Wille des Erblassers anhand der unmittelbaren Erklärungsauslegung zu erforschen. Der zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgebliche Wille ist soweit wie möglich zu ermitteln. Diese Auslegung führt unter Umständen dazu, dass eine Zuwendung zugunsten des Ehegatten im Falle der Scheidung dennoch wirksam bleibt, wenn diese zu einer Zeit getroffen worden ist, in der die Ehe bereits zerrüttet war. Entscheidend ist somit, ob der Erblasser den Ehegatten auch im Fall der Scheidung bedenken wollte.
3. Hypothetischer Wille des Erblassers
Rz. 16
Für den Fall, dass sich der wirkliche Wille des Erblassers nicht ermitteln lässt, ist auf den hypothetischen Willen abzustellen. Bei der Ermittlung des hypothetischen Willens ist jedoch umstritten, welcher Zeitpunkt hierfür maßgebend ist. Nach einer Ansicht sei auch der nachträgliche reale Wille des Erblassers zu berücksichtigen. Nach weiterer Ansicht ist auf den individuellen nachträglichen Willen des Erblassers abzustellen. Bereits Abs. 1 stelle auf den typischen nachträglichen Willen des Testierenden ab. Nach Meinung des LG Berlin spricht hiergegen jedoch, dass die letztwillige Verfügung an eine bestimmte Form gebunden ist. Dies führt dazu, dass nach der Rspr. und der h.M. in der Lit. bei der Ermittlung des hypothetischen Willens der Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgeblich ist.
Rz. 17
Für die Ermittlung des Erblasserwillens ist zwar der Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgebend, dies bedeutet jedoch nicht, dass spätere Umstände nicht berücksichtigt werden dürfen. Hierbei können Willensäußerungen des Erblassers oder auch andere Zeichen fortdauernder Zuneigung ohne weiteres bei der Ermittlung des Erblasserwillens herangezogen werden, wenn diese Aufschluss über den hypothetischen Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung geben können. Besteht zwischen den geschiedenen Ehegatten nach wie vor ein gutes Verhältnis, reicht dies für sich für die Bejahung des hypothetischen Willens nicht aus. Auch die Behauptung des Erblassers, dass die letztwilligen Verfügungen trotz Scheidungsverfahren weiterhin Gültigkeit haben sollen, ist nicht ausreichend. Hielt der Erblasser das Testament selbst für unwirksam, kann dies ein Indiz dafür sein, dass der hypothetische Wille nicht auf eine Weitergeltung der letztwilligen Verfügung gerichtet ist. Ein abweichender hypothetischer Wille kann dann bejaht werden, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass der geschiedene Ehegatte trotz Scheidung bedacht werden soll. Dies ist z.B. dann zu bejahen, wenn eine Scheidung aufgrund besonderer politischer Umstände erfolgte.
Rz. 18
Im Fall, dass die letztwillige Verfügung zugunsten des geschiedenen Ehegatten nach rechtskräftiger Scheidung weiterhin Bestand haben soll, müssen besondere Umstände hinzukommen. Allein die Tatsache, dass sich die geschiedenen Ehegatten nach wie vor gut verstehen, reicht für sich allein nicht aus. Um zu ermitteln, wie die Verfügungen des Erblassers ausgesehen hätten, wenn er bei Testamentserrichtung eine Scheidung oder Aufhebung der Ehe in Betracht gezogen hätte, ist auch das Verhalten nach Errichtung der letztwilligen Verfügung zu beleuchten.
Rz. 19
Fraglich ist, wie es zu beurteilen ist, wenn die Ehegatten sich nachträglich aussöhnen oder unter Umständen sogar wieder heiraten. Nach einer Ansicht wird eine Aussöhnung als Ausdruck des späteren Willens des Erblassers angesehen und kann daher nicht bei der Ermittlung des hypothetischen Willens herangezogen werden. Maßgeblich ist allein der Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Dies führt dazu, dass eine letztwillige Verfügung allein aufgrund der Tatsache, dass sich die Ehegatten ausgesöhnt haben, nicht gem. Abs. 3 aufrechterhalten werden kann. Nach a.A. ist im Fall der Aussöhnung die letztwillige Verfügung gem. Abs. 3 im Zweifel wirksam. Der nachträgliche reale Wille des Erblassers sei zu berücksichtigen. Vorliegend ist der erstgenannten Meinung der Vorzug zu geben. Würde eine nachträgliche Aussöhnung zur Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung führen, wäre dies ein Widerspruch zur Formstrenge letztwilliger Verfügungen.
Rz. 20
Eine Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten wird vielfac...