Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Irrtum in der Erklärungshandlung (Abs. 1 Alt. 2)
Rz. 20
Wenn der Erblasser eine bestimmte Erklärung überhaupt nicht abgeben wollte, kommt eine Anfechtung in Betracht. Das äußere Erklärungsverhalten des Erblassers entspricht nicht seinem tatsächlichen, inneren Willen. Hierunter fällt das Verschreiben hinsichtlich einer Zahl oder eines Namens im eigenhändigen Testament, das Versprechen des Erblassers bei der Testamentserrichtung gem. §§ 2232 S. 1 Alt. 1 oder 2250 f. BGB, der Irrtum eines mitunterschreibenden Ehegatten über den Wortlaut der letztwilligen Verfügung beim gemeinschaftlichen Testament oder der Irrtum über den Wortlaut der vom Notar verlesenen Niederschrift beim öffentlichen Testament.
Rz. 21
Eine letztwillige Verfügung ist auch darin zu sehen, dass ein Testament durch Vernichten oder Verändern der Urkunde gem. § 2255 BGB widerrufen wird. Dennoch kommt eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums nicht in Betracht, da im Falle des Widerrufs die Aufhebungsabsicht zum Tatbestand des Rechtsgeschäfts gehört und Wille und Erklärung nicht auseinanderfallen können. Handelt es sich jedoch um einen Widerruf gem. § 2255 BGB kann dieser wegen Motivirrtums gem. Abs. 2 anfechtbar sein.
2. Inhaltsirrtum (Abs. 1 Alt. 1)
Rz. 22
Wenn sich der Erblasser über den Inhalt seiner Erklärung geirrt hat, kommt ebenfalls eine Anfechtung in Betracht. Der Erklärende befindet sich in einem Irrtum über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung. Dies bedeutet, dass der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung zwar das erklärt hat, was er erklären wollte, er jedoch über die Bedeutung des Erklärten irrt, nämlich mit welchem rechtlichen Gehalt das errichtete Testament Geltung erlangt hat bzw. welche Bedeutung die letztwillige Verfügung verkehrsüblich hat. Eine Anfechtung scheidet aus, wenn dem fehlerhaft formulierten Willen durch Auslegung Rechnung getragen werden kann. Beim Irrtum in der Erklärungshandlung werden seitens des Erblassers Erklärungszeichen benutzt, die er nicht benutzen will, beim Inhaltsirrtum hingegen werden Erklärungszeichen gebraucht, über deren Sinn sich der Erblasser irrt. Ein Irrtum liegt vor, wenn der Erblasser ein Nießbrauchsvermächtnis angeordnet hat und dies mit der Einsetzung eines Vorerben verwechselte.
Bei einem solchen Irrtum über die Bedeutung der verwendeten Wörter wird aber eine Anfechtung häufig ausgeschlossen sein, da bei einer entsprechenden Andeutung im Testament regelmäßig eine Auslegung zur Verwirklichung des Erblasserwillens führen wird.
Ein Irrtum liegt ebenfalls vor, wenn der Erblasser angeordnet hat, dass die "gesetzliche Erbfolge gelten solle", und er sich dabei über den Kreis der gesetzlichen Erben irrte.
Sachverhalt: Der Erblasser enterbte durch notarielles Testament seine Ehefrau und ordnete an, dass "die gesetzliche Erbfolge gelten solle". Dabei hatte er auf eine namentliche Benennung der Erben verzichtet, weil der beurkundende Notar ihm versichert hatte, dass damit seine Mutter Erbin werden würde. Der Notar wusste aber nicht, dass der Erblasser eine nichteheliche Tochter hatte.
Das OLG Frankfurt ging in seinem Vorlagebeschluss davon aus, dass dem eindeutigen Willen des Erblassers (in dem Sinne, dass seine Mutter als Erbin anzusehen ist) durch eine entsprechende Auslegung des Testaments zur Verwirklichung verholfen werden könne.
Der BGH hat in seiner Entscheidung aber klargestellt, dass zwar auch der Begriff der "gesetzlichen Erbfolge" auslegungsfähig, aber eine von dem Verständnis des Gesetzes abweichende Auslegung nur möglich sei, wenn eine entsprechende Andeutung für diesen Erblasserwillen im Testament vorhanden sei. Da im vorgenannten Fall jedoch eine entsprechende Andeutung im Testament nicht vorhanden war, konnte dem Erblasserwillen somit nicht durch Auslegung zum Erfolg verholfen werden, so dass grundsätzlich eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums möglich war. Allerdings konnte die Anfechtung in diesem Fall auch nicht weiterhelfen, da auch nach einer wirksamen Anfechtung nur die gesetzliche Erbfolge zum Zuge gekommen wäre.
Ein Irrtum über die Rechtsfolgen ist hier grundsätzlich ebenfalls beachtlich. Dies gilt jedoch nur dann, wenn es sich um wesentliche Rechtsfolgen handelt. Ein Inhaltsirrtum über Rechtsfolgen liegt nur dann vor, wenn sich der Erblasser über die direkten unmittelbaren Rechtsfolgen irrt. Die Willenserklärung muss hierbei eine wesentlich andere Rechtsfolge erzeugt haben, als die, die der Erblasser angestrebt hat. Ausreichend ist allerdings nicht, wenn die Willenserklärung neben der erstrebten Rechtsfolge weitere vom Erblasser nicht erkannte und von diesem nicht gewollte Nebenwirkungen hat. Hat sich der Erblasser über Nebenwirkungen geirrt, fällt dies unter den Motivirrtum und somit unter Abs. 2.
Rz. 23
Beispiele für einen Inhaltsirrtum sind: Irrtum über die rechtliche Bedeutung der Vor- und Nacherbeneinsetzung; eine testamentarische Verfügung, dass die gesetzliche Erbfolge eintreten soll, wobei verkannt wird, dass zu den danach erbberechtigten Abkömmlingen...