Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
I. Allgemeines
Rz. 33
Grundsätzlich gilt bezüglich der Wirkungen der Anfechtung das unter § 2078 Rdn 61 ff. Ausgeführte hier entsprechend. § 2078 Abs. 3 BGB gilt auch bei § 2079 BGB. I.R.d. § 2079 BGB gibt es allerdings verschiedene Ansichten, in welchem Umfang die letztwillige Verfügung des Erblassers infolge Anfechtung vernichtet wird.
Rz. 34
Ein Teil der Rspr. und Lit. vertritt die Auffassung, dass die Anfechtung grundsätzlich zur Nichtigkeit des gesamten Testaments bzw. Erbvertrages führt. Dies wird teilweise mit dem Wortlaut begründet, teilweise auch damit, dass § 2079 BGB die Verwirklichung des Erblasserwillens bezwecke, nicht hingegen den Schutz des Pflichtteilsberechtigten. Im Falle jedoch, dass gem. S. 2 positiv festgestellt werden kann, dass der Erblasser einzelne Verfügungen auch dann getroffen hätte, wenn er von der Pflichtteilsberechtigung Kenntnis gehabt hätte, führt dies dazu, dass einzelne Verfügungen wirksam bleiben. Nach der Gegenansicht ist das Testament bzw. der Erbvertrag nur insoweit nichtig, als der Pflichtteilsberechtigte von seinem gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen wurde. Gegen die Ansicht, eine Nichtigkeit des gesamten Testaments anzunehmen, wenden sich auch andere Auffassungen im Schrifttum. Diese gehen von unterschiedlichen Begründungsansätzen aus. Nach Ansicht von Leipold müsse zwischen einer Anfechtung nach dem Erbfall und einer Anfechtung durch den Erblasser selbst unterschieden werden. Liegt eine Anfechtung durch den Erblasser vor, soll sich die Anfechtung i.d.R. auf das gesamte Testament oder den gesamten Erbvertrag beziehen. Handele es sich um eine Anfechtung nach dem Erbfall, soll das Testament nur in dem Umfang nichtig sein, als das Testament dem gesetzlichen Erbrecht des Pflichtteilsberechtigten entgegenstehe.
Rz. 35
Der Sinn und Zweck des § 2079 BGB liegt darin, den Pflichtteilsberechtigten zu schützen. Es ist daher nicht gerechtfertigt, den gesamten Erblasserwillen zu vernichten. Es ist nicht zu rechtfertigen, weshalb bspw. die Anordnung einer Testamentsvollstreckung, die Enterbung einer dritten Person oder auch eine familienrechtliche Anordnung, bspw. die Anordnung einer Vormundschaft, ebenfalls durch die Anfechtung vernichtet werden sollen. Nach richtiger Ansicht sind daher die Verfügungen im Falle der Anfechtung nur in dem Umfang nichtig, in dem der Pflichtteilsberechtigte von seinem gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen würde. Es sind nur die Verfügungen betroffen, die die Erbschaft an der pflichtteilsberechtigten Person vorbei verteilen. Hierfür spricht auch eindeutig der Wortlaut des § 2079 BGB ("soweit").
Rz. 36
Beispiel nach OLG Köln NJW 1956, 1522
Sachverhalt
Der Erblasser hat aufgrund letztwilliger Verfügung seine Pflegemutter zur alleinigen Erbin eingesetzt. Bei Testamentserrichtung war er unverheiratet. Bei seinem Tode hinterlässt er eine Ehefrau und einen Bruder. Die Ehefrau hat das Testament angefochten.
Lösung
Nach der ersten Ansicht führt die Anfechtung dazu, dass das Testament insgesamt nichtig ist, was wiederum die gesetzliche Erbfolge auslöst. Die Ehefrau erbt zu ¾, der Bruder zu ¼, die Pflegemutter geht leer aus, es sei denn, es kann festgestellt werden, dass der Erblasser seine Pflegemutter auch bei Kenntnis der Pflichtteilsberechtigung zumindest auf ¼ eingesetzt hätte. Nach der Gegenansicht führt die Anfechtung dazu, dass das Testament nur insoweit nichtig ist, als es die Pflichtteilsberechtigte von ihrem Erbrecht ausschließt. Dies bedeutet, dass die Ehefrau zu ¾ zur Erbfolge berufen ist, die Pflegemutter zu ¼, der Bruder ginge leer aus.
Das Beispiel zeigt, dass der Unterschied der beiden Auffassungen im Regel-Ausnahme-Verhältnis zu finden ist. Diesem kann aber im Hinblick darauf, dass es unter Umständen sehr große Schwierigkeiten bereitet, den hypothetischen Willen des Erblassers festzustellen, große Bedeutung zukommen.
Kann der in S. 2 verankerte hypothetische Wille des Erblassers eindeutig festgestellt werden, erhält der Pflichtteilsberechtigte demgemäß seinen gesetzlichen Erbteil, im Übrigen bleibt das Testament bestehen. Für den Fall, dass der hypothetische Wille nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, greift die Beweislastverteilung des S. 2 ein. Danach tritt gesetzliche Erbfolge ein.
Weiteres Beispiel hierzu: NK-BGB/Fleindl, § 2079 Rn 18.