Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Frühester Zeitpunkt
Rz. 7
Nach § 2080 BGB entsteht die Anfechtungsberechtigung erst mit dem Erbfall (anders bei der Selbstanfechtung durch den Erblasser nach § 2281 BGB). Frühestens ab Eintritt des Erbfalls kann daher die Frist zu laufen beginnen, nicht hingegen vor dem Erbfall. Erfolgt die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung innerhalb eines Jahres seit Eintritt des Erbfalls, ist die Frist in jedem Fall gewahrt, so dass für die Berechnung die Kenntnis vom Anfechtungsgrund ohne Bedeutung ist. Für den Fall, dass die Anfechtung nach Ablauf eines Jahres erfolgt, ist die Kenntnis vom Anfechtungsgrund für die Berechnung der Frist maßgeblich (zur "Kenntnis" siehe Rdn 10 ff.).
Rz. 8
Haben die Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet, so kann nach h.M. für die Anfechtung der Verfügungen des Längstlebenden durch einen Dritten die Frist frühestens mit dem Tod des Längstlebenden beginnen. Der Tod des Erstversterbenden ist unbeachtlich. Geht es um die Enterbung im Falle des Todes des Erstversterbenden, beginnt die Frist mit dessen Tod. Wenn der Längstlebende sich wiederverheiratet und übersieht, dass er an die Schlusserbeneinsetzung gebunden ist, ist für den Beginn der Frist zur Anfechtung gem. § 2079 BGB der Zugang des Beschlusses des Nachlassgerichts maßgeblich, der das Testament im Sinne eines Ausschlusses des Pflichtteilsberechtigten von der Erbfolge auslegt, nicht hingegen die rechtskräftige Entscheidung.
Rz. 9
Solange die Anfechtungsberechtigung gem. § 2080 BGB nicht besteht, kann die Anfechtungsfrist nicht beginnen. Dies bedeutet, dass der vorrangig zum Erben Berufene erst ausgeschlagen haben muss, damit die Frist zu laufen beginnt. Für das nicht aus einer Ehe stammende Kind beginnt die Frist nicht vor der Anerkennung der Vaterschaft bzw. deren gerichtlicher Feststellung. Zum Anfechtungsgrund zählen somit die Voraussetzungen der Anfechtungsberechtigung. Demgemäß beginnt die Frist erst mit Kenntnis von der Anfechtungsberechtigung.
2. Kenntnis vom Anfechtungsgrund
Rz. 10
Gem. Abs. 2 beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Um somit beurteilen zu können, ob und wann die Frist zu laufen beginnt, muss der Anfechtungsgrund feststehen. Dieser muss also klargestellt werden.
Rz. 11
Kenntnis erlangen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Anfechtungsberechtigte Kenntnis von allen das Anfechtungsrecht begründenden Tatsachen erlangt hat. Der Anfechtungsberechtigte muss daher von folgenden Tatsachen Kenntnis haben: dass der Erblasser ein Testament errichtet hat, dass der Erblasser bei der Testamentserrichtung von einem Irrtum oder von einer Drohung bestimmt worden ist, dass er durch die letztwillige Verfügung benachteiligt worden ist und dass der Erbfall eingetreten ist. Nach der Rspr. ist hierbei eine zuverlässige Kenntnis erforderlich, bloße Vermutungen oder die subjektive Überzeugung reichen nicht aus. Der Anfechtungsberechtigte muss sichere objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen der vorstehenden Umstände haben. Verbleiben Zweifel, schließt dies die Kenntnis jedoch nicht aus.
In den Fällen, in denen es um das Fehlschlagen von Erwartungen geht, muss bei dem zur Anfechtung Berechtigten die sichere Überzeugung vorliegen, dass die Erwartung nicht mehr eintritt.
Rz. 12
Kenntnis vom Anfechtungsgrund liegt jedoch nicht erst dann vor, wenn der Anfechtungsberechtigte über genügend Beweismittel verfügt. Bei der Anfechtungserklärung ist noch kein Beweis zu führen. Die Beweisbarkeit der erforderlichen Umstände ist daher für die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen nicht erforderlich, um von einer Kenntnis vom Anfechtungsgrund ausgehen zu können.
Rz. 13
Die Erbunwürdigkeit hingegen kann nur durch Erhebung einer Anfechtungsklage geltend gemacht werden. Für die Kenntnis des Anfechtungsgrundes ist es erforderlich, dass der Anfechtungsberechtigte über die erforderlichen Beweismittel verfügt. Der Fristbeginn ist hier vom Zeitpunkt der Beweisbarkeit abhängig.
Rz. 14
Fahrlässige Unkenntnis, d.h. das bloße Kennenmüssen der Tatsachen, reicht für den Fristbeginn nicht aus. Im Fall, dass der Anfechtungsberechtigte davon ausgeht, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit wieder entfallen sind, weil sich die Vorstellungen geändert haben, kann dies dazu führen, dass die eingetretene Kenntnis nachträglich wieder entfällt. Dies bedeutet, dass der zunächst eingetretene Fristbeginn nachträglich seine Wirkung wieder verliert. Das ist z.B. dann der Fall, wenn Anfechtungsgrund das Scheitern der Ehe ist, von dem der Anfechtungsberechtigte auch zunächst ausgegangen ist. Zu einem späteren Zeitpunkt geht er je...