Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
a) Nichtigkeit des vorliegenden Rechtsgeschäfts
Rz. 99
Zunächst muss ein nichtiges Rechtsgeschäft vorliegen. Hier kommt ein Testament, ein gemeinschaftliches Testament, ein Erbvertrag, ein Übergabevertrag, ein Schenkungsversprechen von Todes wegen, aber auch eine einzelne Verfügung in einer der genannten letztwilligen Verfügungen in Betracht. Nichtigkeit i.S.v. § 140 BGB heißt, dass von Anfang an ein Mangel der Wirksamkeit vorliegt. Beispiele hierfür sind: Formmängel; besondere persönliche Voraussetzungen fehlen, z.B. die Ehe bei einem gemeinschaftlichen Testament; der Erblasser ist bei Abschluss eines Erbvertrages beschränkt geschäftsfähig; beim Erbvertrag fehlen vertragsmäßige Verfügungen; es wird ein vom Gesetz nicht zugelassener Verfügungsinhalt gewählt; Verstoß gegen ein Verbotsgesetz; die Einsetzung eines "Executor and Trustee" nach kanadischem Recht.
Es muss sich allerdings nicht um eine Nichtigkeit im engeren Sinne, d.h. eine von vornherein feststehende Unheilbarkeit des Mangels, handeln. Die Umdeutung ist auch dann gestattet, wenn zunächst eine schwebende Unwirksamkeit vorliegt und diese sich in eine endgültige umwandelt, da die erforderliche Genehmigung einer Behörde, eines Gerichts oder eines Dritten fehlt bzw. endgültig versagt wird.
b) Anderes Rechtsgeschäft
Rz. 100
Ein anderes Rechtsgeschäft kann vorliegen, wenn dem Rechtsgeschäft lediglich ein anderer Inhalt gegeben wird. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn ein unwirksames Grundstücksvermächtnis in ein wirksames Geldvermächtnis umgedeutet wird. Gleichartigkeit des gültigen Rechtsgeschäfts mit dem nichtigen Rechtsgeschäft ist jedoch nicht erforderlich.
c) Wirksamkeit des anderen Rechtsgeschäfts
Rz. 101
Hier ist zu prüfen, ob das nichtige Rechtsgeschäft den Wirksamkeitserfordernissen des anderen Rechtsgeschäfts entspricht, d.h., ob das nichtige Rechtsgeschäft, wenn es den Inhalt des anderen Rechtsgeschäfts hätte, wirksam wäre. Demgemäß darf die zur Nichtigkeit des ursprünglichen Rechtsgeschäfts führende Norm nicht auch dem anderen Rechtsgeschäft entgegenstehen. Eine Umdeutung ist daher ausgeschlossen, wenn das andere Rechtsgeschäft ein Umgehungsgeschäft darstellen würde.
Handelt es sich um eine Umdeutung eines einseitigen Rechtsgeschäftes in einen Vertrag, muss auch die erforderliche vertragliche Erklärung des anderen Teils bejaht werden können.
d) Wirkungen des anderen Rechtsgeschäfts
Rz. 102
Nach geltender Rspr. darf das neue Rechtsgeschäft weder im Tatbestand noch in seiner Wirkung über das nichtige Geschäft hinausgehen. Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen zu verstehen. Dies bedeutet somit, dass wirtschaftlich wesentlich andere oder weitergehende Folgen durch die Umdeutung nicht erreicht werden dürfen. Stets werden jedoch andere Rechtsfolgen eintreten.
e) Hypothetischer Wille
Rz. 103
Im Übrigen ist die Umdeutung nur möglich, wenn anzunehmen ist, dass der Erklärende für den Fall, dass er die Nichtigkeit erkannt hätte, das andere Geschäft tatsächlich gewollt hätte. Maßgeblich ist der hypothetische Wille des Erblassers bei Errichtung des Rechtsgeschäfts. Bei der Feststellung des hypothetischen Willens handelt es sich um eine Bewertungsfrage, nicht um eine Beweisfrage. Es muss von den wirtschaftlichen Zwecken und der Interessenbewertung der Parteien ausgegangen bzw. gefragt werden, ob das andere Rechtsgeschäft zum einen geeignet ist, die gewünschten Zwecke zu verwirklichen, und zum anderen der Interessenbewertung, von welcher die Parteien ausgingen, auch entspricht.