Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 110
Ob ein Auslegungsvertrag das Gericht bindet, ist umstritten. Es besteht insoweit Einigkeit, als dass die Parteien eines Auslegungsvertrages weder die Erbfolge noch sonstige letztwillige Verfügungen aufheben oder ändern können. Der Auslegungsvertrag kann sich daher nur mittelbar auf die Erbfolge auswirken. Es kommt allenfalls eine mittelbare Bindungswirkung in Betracht.
a) Bindung des Prozessgerichts an einen Auslegungsvertrag
Rz. 111
Durch einen außergerichtlichen Auslegungsvertrag können weder die Prozessparteien noch sonstige Beteiligte das Gericht binden, da die Auslegung richterliche Aufgabe ist. Es kann jedoch die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung eingreifen, nämlich dann, wenn eine beteiligte Vertragspartei einen Anspruch geltend macht, der der vereinbarten Auslegung widerspricht. Die Gegenmeinung ist hingegen der Ansicht, dass das Prozessgericht einen außergerichtlichen Auslegungsvertrag "in verfahrensrechtlicher Hinsicht und bei der Tatsachenermittlung berücksichtigen müsse". Nach richtiger Ansicht kann ein außergerichtlicher Auslegungsvertrag das Prozessgericht nicht binden, da die Anordnungen des Erblassers nicht vertraglich festgelegt werden können und die Auslegung allein dem Richter vorbehalten bleibt. Allenfalls kann die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung begründet sein.
Rz. 112
In der Berufung auf einen geschlossenen Auslegungsvertrag kann ein Zugeständnis i.S.v. § 138 Abs. 3 ZPO zu sehen sein, denn auch der Erblasserwille ist dem Geständnis und der Beweisaufnahme zugänglich. Im Hinblick hierauf ist aber umstritten, ob ein derartiges Zugeständnis gleichzeitig bedeutet, dass das Auslegungsergebnis feststeht. Kuchinke ist der Ansicht, dass das Prozessgericht durch ein solches Zugeständnis gebunden ist. Nach weiterer Ansicht kann das Gericht entscheiden, ohne an das Zugeständnis des Erblasserwillens gebunden zu sein, da das Auslegungsergebnis hierdurch noch nicht festgelegt wird. Der BGH hat ausgeführt, dass es sich "bei der Auslegung einer Willenserklärung weithin nicht um eine der Beweisaufnahme zugängliche Tatsachenfeststellung, sondern um eine nach bestimmten rechtlichen Regeln vorzunehmende Würdigung handelt". Damit steht fest, dass zwar der Erblasserwille als innere Tatsache dem Geständnis und der Beweisaufnahme zugänglich ist, aber nicht das Auslegungsergebnis, wo zwischen der Tatsachenfeststellung – mit der Möglichkeit des Zugeständnisses des Erblasserwillens – und der Auslegung selbst als Rechtsanwendung unterschieden wird. Aus diesen Gründen ist daher der Ansicht Kuchinkes nicht zu folgen.
b) Bindung des Nachlassgerichts an einen Auslegungsvertrag
Rz. 113
Nach einer weit verbreiteten Ansicht in Rspr. und Lit. ist das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren nicht an einen außergerichtlichen Auslegungsvertrag gebunden. Das OLG Frankfurt hingegen hat eine derartige Bindungswirkung bejaht ("Alle Umstände sprechen dafür, dass die Auslegung des Testaments zwischen den Beteiligten festgelegt werden sollte. Damit ist sie verbindlich.").
Für die Verbindlichkeit eines Auslegungsvertrages, allerdings unter der Voraussetzung, dass die sich aus dem Vertrag ergebende Auslegung sich innerhalb des nach Ansicht des Gerichts möglichen Auslegungsspielraums bewegt und alle Beteiligten zugestimmt haben, spricht sich Leipold aus. Das OLG Düsseldorf vertritt die Ansicht, die Erbenstellung sei nicht disponibel, so dass eine solche nicht im Wege des privaten Vergleichs oder übereinstimmender Erklärungen von den Vertragsparteien zuerkannt werden könne. Nach einer Entscheidung des BGH komme dem Auslegungsvertrag "eine nicht zu unterschätzende indizielle Bedeutung" zu. Eine Ansicht in der Lit. spricht von einer starken indiziellen Wirkung des Auslegungsvertrages im Erbscheinsverfahren. Eine derartige Bezeichnung hat sicherlich ihre Richtigkeit, sagt allerdings nichts darüber, ob eine abweichende Entscheidung nicht dennoch möglich ist. Nach zutreffender Ansicht ist aber eine Bindungswirkung im Nachlassverfahren abzulehnen. Als Begründung sind zum einen die Gründe anzuführen, die auch gegen eine Bindung des Prozessgerichts sprechen. Des Weiteren kommt noch hinzu, dass eine Bindung des Nachlassgerichts mit dem im Nachlassverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. § 26 FamFG) unvereinbar ist. Auf die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung kann ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Eine Bindung des Nachlassgerichts durch ein Zugeständnis scheitert am Grundsatz der Amtsermittlung, weshalb im nachlassgerichtlichen Verfahren weder ein Anerkenntnis noch ein Zugeständnis möglich ist.
Um das Risiko zu...