Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
a) Der Bedachte verstirbt vor dem Erblasser
Rz. 62
Die Vorschrift des § 2069 BGB bezieht sich nur auf den Wegfall eines bedachten Abkömmlings des Erblassers. Auf den Wegfall anderer eingesetzter Erben oder Vermächtnisnehmer kann die Regelung des § 2069 BGB nicht analog angewendet werden. In diesen Fällen des Vorversterbens des Bedachten kann jedoch die ergänzende Auslegung weiterhelfen. Nach überwiegender Rspr. kann der dem § 2069 BGB zugrunde liegende Rechtsgedanke (= Bedenkung des Stammes des Erben) bei einer solchen ergänzenden Auslegung herangezogen werden, und zwar in den Fällen, in denen es sich bei der ursprünglich bedachten und weggefallenen Person entweder um einen nahen Angehörigen des Erblassers handelt oder sonst ein besonders enges Verhältnis zu ihm bestanden hat, das mit dem Verhältnis zu vergleichen ist, das zu einem eigenen Abkömmling besteht. Ist von einem solchen Verhältnis zwischen dem Erblasser und der weggefallenen Person auszugehen, so kann in der Einsetzung des Bedachten auf den hypothetischen Willen des Erblassers geschlossen werden, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben einzusetzen. Für die abschließende Beurteilung können auch Umstände außerhalb der Testamentsurkunde herangezogen werden. Die Einsetzung einer derartigen nahestehenden Person reicht nach der Andeutungstheorie als Anhaltpunkt in der Testamentsurkunde aus.
Rz. 63
Die ergänzende Auslegung kann somit dazu führen, dass die Abkömmlinge des Bedachten als Ersatzerben oder auch Ersatzvermächtnisnehmer anzusehen sind. Eine analoge Anwendung des § 2069 BGB liegt jedoch in keinem Fall vor, so dass die Ersatzberufung insoweit nicht die Regel ist. Die Ersatzberufung muss sich anhand des konkreten Falles ermitteln lassen. Die Rspr. hat in den nachstehenden Fällen u.a. ein derartiges enges Verhältnis zwischen Erblasser und Bedachtem angenommen, dass als Ersatzerben die Abkömmlinge anzusehen sind: zu den Abkömmlingen des anderen Ehegatten, zu Stief- oder Geschwisterkindern, zu Geschwistern, zur Mutter, zum Schwiegersohn, zur Tochter der Geliebten, zur Tochter der Lebensgefährtin, zum nichtehelichen Sohn des vorverstorbenen Ehegatten, zu den Abkömmlingen naher Verwandter als Ersatzerben.
Rz. 64
Ggf. kann die ergänzende Auslegung dazu führen, eine Erbeinsetzung auf sonstige Verwandte des Bedachten zu erstrecken. Z.B. kann sich aus der Erbeinsetzung der Enkelin eine Einsetzung von deren Mutter als Ersatzerbin ergeben. Setzt der Erblasser seine Ehefrau zur Alleinerbin ein und verstirbt diese vor ihm, reichen allerdings gute verwandtschaftliche Beziehungen zur Familie der verstorbenen Ehefrau allein nicht aus, um eine Erbeinsetzung ihrer Geschwister anzunehmen.
Rz. 65
Weiterhin kann die ergänzende Auslegung ergeben, die Erbeinsetzung einer vorverstorbenen Person als Erbeinsetzung von deren Ehegatten aufrechtzuerhalten. Hier ist allerdings Zurückhaltung geboten.
Rz. 66
Treten weitere Personen, die im gleichen verwandtschaftlichen Verhältnis zum Erblasser stehen, hinzu, kann die ergänzende Auslegung ergeben, dass diese Personen in gleicher Weise als bedacht anzusehen sind.
Rz. 67
Hat der Erblasser seine Kinder aus erster Ehe zu Erben und deren Abkömmlinge zu Ersatzerben berufen und fallen diese durch Ausschlagung weg, kommt im Wege der ergänzenden Auslegung eine Alleinerbeinsetzung der zweiten Ehefrau in Betracht, sofern dieser im Wege des Vermächtnisses eine weitreichende Stellung zugewandt war.
b) Veräußerung der Nacherbenanwartschaft an den Vorerben
Rz. 68
Hat der Erblasser ausdrücklich Ersatznacherben bestimmt bzw. besteht eine vermutete Ersatznacherbschaft aufgrund des § 2069 BGB, so ändert sich an der Rechtstellung der Ersatznacherben auch dann nichts, wenn die Nacherbenanwartschaft an den Vorerben übertragen wird. Der Vorerbe verliert seine durch diese Übertragung erworbene Rechtsstellung als gleichzeitiger Nacherbe in dem Fall und zu dem Zeitpunkt an den Ersatznacherben, zu dem sie auch der ursprüngliche Nacherbe verloren hätte.