Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
I. Allgemeines
Rz. 23
Nach geltender Rspr. werden bei der Auslegung die folgenden Methoden unterschieden, die in nachstehender Reihenfolge zu prüfen sind:
1. |
Einfache, unmittelbare oder erläuternde Auslegung |
2. |
Erforschung des mutmaßlichen Willens |
3. |
Ergänzende Auslegung |
4. |
Grundsatz der wohlwollenden Auslegung |
5. |
Umdeutung |
6. |
Teilaufrechterhaltung gem. § 2085 BGB |
7. |
Auslegungsvertrag |
II. Einfache, unmittelbare oder erläuternde Auslegung
Rz. 24
Ziel der einfachen Auslegung ist es, den Inhalt einer einzelnen Verfügung oder ihrer Gesamtheit festzustellen. Der wirkliche, aktuelle oder reale Wille des Erblassers ist zu erforschen. Dieser wird dabei wie folgt ermittelt:
Rz. 25
Maßgeblich ist der Wortlaut. Von diesem ist zunächst auszugehen. Der Wortlaut ist jedoch nicht bindend, da der wirkliche Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu erforschen ist. Es ist daher das zu ermitteln, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Hierfür sind konkrete Umstände vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass der Erblasser mit den von ihm gewählten Worten einen anderen Sinn verbunden hat. Der entscheidende Richter darf sich jedoch nicht auf den Wortlaut beschränken, sondern muss vielmehr für seine Beurteilung auch alle ihm zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen, die zur Aufdeckung des wahren Willens dienlich sein können. Hierbei ist nicht ein von der Erklärung losgelöster Wille zu ermitteln, sondern es ist zu klären, was der Erblasser tatsächlich gewollt hat. Der Inhalt eines Testaments ist auszulegen, sofern er mehrdeutig ist. Das ist auch dann der Fall, wenn Fachbegriffe sinnlos oder fehlerhaft verwendet worden sind. Bei der Auslegung sind regionale, schichtspezifische sowie berufsspezifische Faktoren zu berücksichtigen. Nach der Rspr. des BayObLG sind auch ein sich durch die Zeichensetzung ergebender Sinn sowie die Grammatik zu beachten. Auch die Definitionen aus Wörterbüchern (Duden, Bedeutungswörterbuch; Götter, Neues Deutsches Wörterbuch) können herangezogen werden. Sowohl der Bedeutungszusammenhang wie auch die Interpunktion sind zu berücksichtigen. Da für die Auslegung der Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgeblich ist, können auch Äußerungen desselben, die dieser vor oder nach Errichtung der letztwilligen Verfügung getätigt hat und die Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung zulassen, herangezogen werden.
Rz. 26
Nach einer früher vertretenen Ansicht, konnten eindeutige Erklärungen nicht ausgelegt werden – "cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis questio". Diese Eindeutigkeitsformel wurde jedoch aufgegeben. Im Zuge der Zulassung des eigenhändigen Testaments sowie der großzügigen Anwendung des Satzes "falsa demonstratio non nocet", nach dem falsche Bezeichnungen auch innerhalb einer Verfügung von Todes wegen korrigiert werden können, wurde durch die Rspr. und Lit. der Schwerpunkt der Auslegung immer mehr vom Erklärten zum vom Erblasser wirklich Gewollten verlagert. Nach geltender Rspr. setzt auch der "klare und eindeutige" Wortlaut der Verfügung der Auslegung keine Grenzen ("Abbau der Wortlautgrenze" statt "eindeutiger Wortlaut als Schranke"). Dies bedeutet, dass auch eine scheinbar klare und eindeutige Willenserklärung der Auslegung zugänglich ist. Die Verwirklichung des Erblasserwillens hat somit Vorrang vor dem Wortlaut.
Rz. 27
Die Eindeutigkeit des Wortlauts hat allerdings erhebliches Gewicht, und zwar als Grundlage einer widerlegbaren Vermutung, dass der Erblasser den Wortlaut nicht anders als im üblichen Sinne gemeint hat. Wird zu rasch vom üblichen Wortsinn abgewichen und der Erklärung des Erblassers ein anderer Sinn beigemessen, so besteht die Gefahr, dass dem wahren Willen des Erblassers nicht Rechnung getragen wird. Es gilt das Prinzip der Verantwortung des Erklärenden. Dies bedeutet, dass zunächst bei der vom Erblasser gewählten Formulierung vom üblichen Wortsinn auszugehen und die Erklärung nicht anders auszulegen ist. Es besteht der Grundsatz, dass derjenige, der eine Erklärung abgibt, sich grundsätzlich über deren Bedeutung Gedanken zu machen hat. Wird vom üblichen Sprachsinn abgewichen, sind an diese Abweichung strenge Beweisanforderungen zu stellen. Nach Ansicht des BGH müsse sich der Auslegende für den Fall, dass der wirkliche Wille nicht feststellbar sei, damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem mutmaßlichen Erblasserwillen am ehesten entspreche. Ob man die so gefundene Auslegung wirklich nur als eine "zweitbeste Lösung", einen "Notbehelf" anzusehen hat, weil auf diese Weise nur ein mutmaßlicher Wille angenommen wird, während das Ideal darin bestünde, den tatsächlichen Willen des Erblassers zu ermitteln, ist nach Ansicht von Leipold zweifelhaft. Dies begründet er damit, dass das Verständnis nach Maßgabe des üblichen Sprachsinns (oder jedenfalls innerhalb der Bandbreite der gewöhnlichen Bedeutung) im Regelfall dem Willen des Erblassers entsprechen würde, so dass davon auszugehen ...