Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 19
Bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten ist zwischen einseitigen bzw. nicht wechselbezüglichen Verfügungen und vertragsmäßigen Verfügungen in einseitigen und gegenseitigen Erbverträgen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zu unterscheiden. Handelt es sich um einseitige Verfügungen im Erbvertrag und nicht wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten, so gilt das unter Rdn 8 Ausgeführte entsprechend. Es ist allein der subjektive Wille und Sprachgebrauch des Erblassers maßgebend.
Rz. 20
Handelt es sich um vertragsmäßige Verfügungen (§ 2278 Abs. 1 BGB) in einseitigen Erbverträgen, findet auch § 157 BGB Anwendung, und zwar neben der Vorschrift des § 133 BGB. Es ist somit auch auf den Empfängerhorizont des Vertragspartners abzustellen, nicht allein auf den subjektiven Willen des Erblassers und dessen Sprachgebrauch. Daraus, dass auch auf den Empfängerhorizont abzustellen ist, folgt, dass der Sprachgebrauch des Erblassers bei der Auslegung unberücksichtigt bleibt, es sei denn, dem Empfänger ist der Sprachgebrauch bekannt. Ist dies der Fall, ist der wahre Wille des Erblassers zu berücksichtigen, auch wenn die Erklärung nach dem allg. Sprachgebrauch anders zu verstehen wäre. Allein der erklärte, übereinstimmende Wille beider Vertragsparteien ist für die Auslegung maßgeblich.
Rz. 21
Handelt es sich um wechselbezügliche Verfügungen (§ 2270 BGB), kommt es auf den übereinstimmenden Willen beider Ehegatten an. Für den Fall, dass ein übereinstimmender Wille beider Parteien fehlt, muss der Ehegatte seine von ihm errichteten Verfügungen so gegen sich gelten lassen, wie sie der andere Ehegatte verstehen durfte.
Rz. 22
Handelt es sich um vertragsmäßige Verfügungen in gegenseitigen oder wechselbezüglichen Erbverträgen, so gelten für die Auslegung die allg. Regeln der §§ 133, 157 BGB. Demgemäß ist allein auf die objektive Erklärungsbedeutung selbst abzustellen. Auch wenn dem Erblasser ein Entgelt geleistet worden ist, ist dieses bei der Auslegung zu berücksichtigen.
Praxishinweis: Berücksichtigung des Willens beider Erblasser, Vorgehen am Fall
Zunächst ist zu prüfen, ob eine mögliche Auslegung auch dem Willen des anderen Ehegatten entspricht:
Nach der Rspr. ist bei der Auslegung der gemeinsamen Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments stets die übereinstimmende Willensrichtung beider Erblasser maßgebend. Es ist also zu prüfen, ob eine nach den Umständen mögliche Auslegung der Erklärung des einen Erblassers auch dem Willen des anderen entsprochen hat; dabei kommt es auf den übereinstimmenden Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an.
Häufig wird sich jedoch der Wille des erstversterbenden Ehegatten nicht mehr feststellen lassen, wenn dieser lange Zeit vor dem zweiten Erbfall verstorben ist. Hier sind daher die Erklärungen, die der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden abgegeben hat, heranzuziehen, und zwar als Anzeichen für den im Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorhandenen Willen beider Ehegatten. Lässt sich eine solche Willensübereinstimmung nicht feststellen, so muss auf den Willen des Erblassers abgestellt werden, um dessen Verfügung es geht, jedoch mit der Besonderheit, dass eine Beurteilung aus der Sicht des anderen Ehegatten stattfindet, da dieser sich auf den Erklärungswert dieser Erklärung verlassen und einstellen musste.
Entscheidend ist dabei nicht der objektive Empfängerhorizont, sondern die Sichtweise des anderen Ehegatten. Oftmals wird dies allerdings dazu führen, dass die Auslegung nach dem reinen Wortlaut angenommen werden muss.