Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Allgemeines
Rz. 84
Nach § 2084 BGB ist bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten derjenigen der Vorzug zu geben, bei der die Verfügung Erfolg hat (Grundsatz der wohlwollenden Auslegung, benigna interpretatio). Mit Erfolg ist dabei die Verwirklichung des Erblasserwillens, und zwar in rechtswirksamer Weise, gemeint. Der Begriff "Erfolg" meint das wirtschaftliche Ziel des Erblassers. Dieses Ziel muss zweifelsfrei feststehen. Abzustellen ist auch hier auf den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers. Dieser ist zunächst zu erforschen. Nur für den Fall, dass sich bei dieser Auslegung mehrere Möglichkeiten ergeben, ist diejenige maßgeblich, bei der der festgestellte Erblasserwille rechtswirksam verwirklicht werden kann. Demgemäß kann die Auslegung gem. § 2084 BGB nur stattfinden, wenn das vom Erblasser gewollte Ziel eindeutig feststeht, der vom Erblasser eingeschlagene rechtliche Weg allerdings zweifelhaft ist. Hingegen ist es nicht möglich, eine Verfügung mit einem unzulässigen Inhalt in eine Verfügung mit einem zulässigen Inhalt umzudeuten.
Rz. 85
Kommen mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht, sind jedoch lediglich bei einer Auslegungsmöglichkeit die Formerfordernisse erfüllt, so ist dieser gem. § 2084 BGB der Vorzug zu geben. In der Regelung des § 2084 BGB ist nach der Rspr. des RG eine Beweisregel zu sehen. Nach überwiegender Ansicht handelt es sich um eine Auslegungsregel. Nach einer Mindermeinung wird § 2084 BGB auch als umdeutender Rechtssatz gesehen. Wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten zum Erfolg führen, so ist gem. § 2084 BGB derjenigen, die dem Bedachten günstiger ist, d.h. diejenige, die weniger Umstände und Kosten verursacht, der Vorzug zu geben. Ziel ist zwar, eine rechtswirksame Verfügung zu erreichen. Dieses Ziel muss sich aber immer am Erblasserwillen orientieren. Es besteht daher kein Unterschied zwischen der Vorschrift des § 133 BGB und der Vorschrift des § 2084 BGB. Der Grundsatz der wohlwollenden Auslegung ist bereits in § 133 BGB enthalten. Dennoch könnte ggf. eine Trennung beider Vorschriften gebildet werden. Zunächst wird der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Erblassers gem. § 133 BGB erforscht. Danach ist gem. § 2084 BGB zu prüfen, wie dieser ermittelte Wille rechtswirksam verwirklicht werden kann.
2. Tatbestand bzw. Anwendungsbereich
a) Anwendung ja
Rz. 86
Die Vorschrift des § 2084 BGB ist zum einen auf die Einzelverfügung, d.h. wenn es sich um eine Erbeinsetzung oder um ein Vermächtnis handelt, anwendbar. Auch für die Fälle, in denen sich die Frage stellt, ob eine Verfügung von Todes wegen oder ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vorliegt, gilt § 2084 BGB nach h.M. analog. Eine analoge Anwendung kommt auch dann in Betracht, wenn es um die Frage geht, ob von einer letztwilligen Verfügung auszugehen ist oder von einer widerruflichen Vollmacht auf den Todesfall. Nach höchstrichterlicher Rspr. ist § 2084 BGB auch für die Frage heranzuziehen, ob ein Schenkungsversprechen von Todes wegen oder unter Lebenden gegeben ist. Ebenso ist § 2084 BGB auf die Fälle anwendbar, in denen ein Erbvertrag unwirksam wäre, die Voraussetzungen eines gültigen Testaments jedoch vorliegen. Die Zuwendung der Bezugsberechtigung bei einem Fonds (ab dem Todestag) kann als Vermächtnis auszulegen sein, wenn die erbrechtlichen Formerfordernisse erfüllt sind.
Rz. 87
Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass die wohlwollende Auslegung und damit die Anwendbarkeit des § 2084 BGB nicht das Vorliegen eines Testaments voraussetzt. Vielmehr kommt sie auch dann zum Zuge, wenn es um die Abgrenzung des Rechtsgeschäfts unter Lebenden zur Verfügung von Todes wegen geht, ebenso dann, wenn zu entscheiden ist, ob vom Vorliegen eines Erbvertrages oder eines Testaments auszugehen ist.
Rz. 88
Bspw. kann ein privatschriftliches Schenkungsversprechen als testamentarisches Vermächtnis auszulegen sein, ebenso die schenkweise Abtretung einer Hypothek durch eine bloße schriftliche Erklärung. Die Rspr. hat eine Anwendung des § 2084 BGB auch dann angenommen, wenn eine nicht rechtsfähige Gemeinschaft bedacht worden ist und die Verfügung dahingehend verstanden wurde, dass es sich um eine Zuwendung an die Mitglieder der Gemeinschaft gehandelt hat, und zwar unter der Auflage, sie zugunsten der Gemeinschaft zu verwerten. § 2084 BGB greift ebenfalls ein, wenn der Erblasser einen Testamentsvollstrecker bestimmt, obwohl er durch ein gemeinschaftliches Testament, welches die gegenseitige Einsetzung zu unbeschränkten Alleinerben vorsah, hieran gehindert war. Die Rspr. ging unter Anwendung des § 2084 BGB davon aus, dass die Ernennung nur für den Fall des Todes des Lä...