Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Verhältnis Umdeutung – Auslegung
Rz. 92
§ 140 BGB kann auch im Bereich der Verfügungen von Todes wegen Anwendung finden. Die Umdeutung gem. § 140 BGB und die Auslegung unterscheiden sich dadurch, dass bei der Auslegung der wirkliche Wille des Erblassers nicht oder nicht vollständig feststeht. Bei der Umdeutung hingegen ist der Wille zwar bekannt, dieser ist jedoch auf ein unwirksames Rechtsgeschäft gerichtet. Ziel der Umdeutung ist es nicht, den unklaren Willen zu deuten oder den unvollständigen zu ergänzen. Sinn und Zweck der Umdeutung besteht vielmehr darin, den erklärten Willen zu korrigieren. Diese Korrektur erfolgt dadurch, dass das entscheidende Ziel herausgelöst und die nicht geeignete rechtliche Gestaltung durch eine andere ersetzt wird.
Die Auslegung geht daher der Umdeutung stets vor. Die Umdeutung und damit § 140 BGB findet erst dann Anwendung, wenn alle Auslegungsmöglichkeiten zur Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung von Todes wegen führen. Für den Fall, dass sich nach Testamentserrichtung die Verhältnisse derart ändern, dass die Verfügung nicht wirksam werden kann, z.B. wenn der Bedachte vor Eintritt des Erbfalls verstirbt, ist eine Umdeutung nicht möglich, da ein nichtiges Rechtsgeschäft nicht vorliegt. In diesen Fällen kommt nur die ergänzende Auslegung zum Zuge. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn bei Testamentserrichtung die letztwillige Verfügung ihr Ziel zwar nicht erreichen konnte, auf der anderen Seite aber auch nicht nichtig ist. Das ist bspw. dann der Fall, wenn die bedachte Person bereits vorverstorben war, der Erblasser dies aber nicht wusste.
2. Anwendungsbereich
a) Umdeutung einer letztwilligen Verfügung in eine andere letztwillige Verfügung
Rz. 93
Die Umdeutung kann sich zum einen auf eine einzelne Anordnung des Testaments beschränken. Sie kann aber auch das Testament im Ganzen betreffen. Ist ein öffentliches Testament formungültig, kann es dann, wenn die Formvoraussetzungen für ein eigenhändiges Testament erfüllt sind, in ein solches umgedeutet werden. Auch ein gemeinschaftliches Testament, das nicht den Formvorschriften entspricht und daher formunwirksam ist, kann in ein formgültiges Einzeltestament umgedeutet werden.
Die Frage, ob ein gemeinschaftliches Testament oder einzelne Anordnungen eines solchen gemeinschaftlichen Testaments in Einzeltestamente umgedeutet werden können, wird in Rspr. und Lehre nicht einheitlich beantwortet.
Unstreitig ist, dass zumindest nicht wechselbezügliche Verfügungen in Einzeltestamente umgedeutet werden können (wobei eine solche Umdeutung natürlich nur möglich ist, wenn die Formerfordernisse an ein Einzeltestament, insbesondere die Eigenhändigkeit, gewahrt sind).
Rz. 94
In der Lit. wird die Möglichkeit der Umdeutung auch für wechselbezügliche Verfügungen anerkannt. Bei der Prüfung des hypothetischen Erblasserwillens ist dann aber zu berücksichtigen, dass die Lebenserfahrung im Allg. dagegen spricht, dass der Erblasser seine wechselbezügliche Verfügung bei Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung des Partners auch isoliert in einem Einzeltestament stehenlassen würde.
Dieser Erfahrungssatz muss nach dieser Auffassung im Einzelfall aufgrund nachweisbarer, besonderer Umstände widerlegt werden.
In der Rspr. wird die Möglichkeit der Umdeutung wechselbezüglicher Verfügungen in Einzeltestamente teilweise abgelehnt, weil es gerade im Wesen der Wechselbezüglichkeit liege, dass die jeweilige Verfügung von der Gültigkeit der anderen abhängig sei.
Beispiel
Ernst und seine spätere Ehefrau Frieda errichteten ein Jahr vor ihrer Heirat ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Ernst hatte dabei den gesamten Text des Testaments eigenhändig geschrieben, darunter hatten er und Frieda unterschrieben. Ernst stirbt. Die gesetzlichen Erben von Ernst und Frieda streiten um den Nachlass.
Rz. 95
Das OLG Hamm hat zunächst festgestellt, dass es sich bei diesem Testament nicht um ein wirksames gemeinschaftliches Testament handelt, da die Testierenden im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht verheiratet waren. Weiterhin ist das OLG davon ausgegangen, dass die gegenseitigen Erbeinsetzungen der Testierenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit standen. Sicher ist, dass die Verfügung der überlebenden Ehegattin nicht in ein Einzeltestament umgedeutet werden kann, weil es dazu an der notwendigen Eigenhändigkeit fehlt.
Nach Ansicht des OLG Hamm ist es auch nicht möglich, die Verfügung des Verstorbenen im Wege der Umdeutung als einseitige letztwillige Verfügung aufrechtzuerhalten, da diese im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu der unwirksamen Verfügung seiner Lebensgefährtin gestanden habe. Es würde sich widersprechen, eine Wechselbezüglichkeit und gleichzeitig einen Aufrechterhaltungswillen anzunehmen. Damit sei von der gesetzlichen Erbfolge auszugehen.
Rz. 96
Nach hier vertretener Ansicht hat Kanzleiter in seiner Besprechung dieser Entscheidung zu Recht darauf hingewiesen, dass diese An...