Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
1. Rechtsnatur
Rz. 107
Die Beteiligten können, um Streitigkeiten bei der Auslegung von Testamenten zu vermeiden, nach allg. Meinung einen sog. Auslegungs- oder Feststellungsvertrag schließen. Beim Auslegungsvertrag handelt es sich um einen Vertrag zwischen Personen, die behaupten, Erbe oder Vermächtnisnehmer zu sein bzw. dies bestreiten bzw. die über die Auslegung einer Verfügung von Todes wegen streiten, und zwar dahingehend, ob eine Erbenstellung gegeben ist bzw. welche Rechte und Pflichten mehrere Erben untereinander haben. Wenn durch diesen Vertrag gleichzeitig ein Streit oder eine Ungewissheit beseitigt wird, liegt ein Vergleich i.S.d. § 779 BGB vor. Nur wenn alle erbrechtlich beteiligten Personen miteinbezogen werden, wirkt das Auslegungsergebnis für und gegen alle Beteiligten.
2. Rechtsfolgen für die Beteiligten
Rz. 108
Durch einen solchen Vertrag legen die Parteien verbindlich fest, wie das Testament auszulegen ist. Ein Auslegungsvertrag kann die Beteiligten jedoch lediglich schuldrechtlich verpflichten, die Erbfolge oder einzelne Anordnungen des Testaments (wie z.B. Auflagen, die Anordnung der Testamentsvollstreckung, die Vormundbenennung oder auch der Entzug der elterlichen Vermögenssorge) können dadurch nicht verbindlich vereinbart oder gar außer Kraft gesetzt werden. Wenn die Beteiligten auch eine dingliche Wirkung erreichen wollen, ist dies nur durch Erbteilsübertragungen gem. § 2033 BGB möglich. Hierfür ist jedoch gem. § 2385 BGB eine notarielle Beurkundung erforderlich.
3. Formerfordernisse
Rz. 109
Neben der Erbteilsübertragung ist auch die Vereinbarung über einen Erbverzicht oder einen Erbschaftskauf im Rahmen eines Auslegungsvertrages formbedürftig. Grundsätzlich bedarf es nicht der notariellen Beurkundung, wenn der Vertrag nur Vermächtnisse oder Teilungsanordnungen betrifft, es sei denn, die Übertragung eines Gegenstandes unterliegt der Formbedürftigkeit.
4. Rechtsfolgen für das Gericht
Rz. 110
Ob ein Auslegungsvertrag das Gericht bindet, ist umstritten. Es besteht insoweit Einigkeit, als dass die Parteien eines Auslegungsvertrages weder die Erbfolge noch sonstige letztwillige Verfügungen aufheben oder ändern können. Der Auslegungsvertrag kann sich daher nur mittelbar auf die Erbfolge auswirken. Es kommt allenfalls eine mittelbare Bindungswirkung in Betracht.
a) Bindung des Prozessgerichts an einen Auslegungsvertrag
Rz. 111
Durch einen außergerichtlichen Auslegungsvertrag können weder die Prozessparteien noch sonstige Beteiligte das Gericht binden, da die Auslegung richterliche Aufgabe ist. Es kann jedoch die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung eingreifen, nämlich dann, wenn eine beteiligte Vertragspartei einen Anspruch geltend macht, der der vereinbarten Auslegung widerspricht. Die Gegenmeinung ist hingegen der Ansicht, dass das Prozessgericht einen außergerichtlichen Auslegungsvertrag "in verfahrensrechtlicher Hinsicht und bei der Tatsachenermittlung berücksichtigen müsse". Nach richtiger Ansicht kann ein außergerichtlicher Auslegungsvertrag das Prozessgericht nicht binden, da die Anordnungen des Erblassers nicht vertraglich festgelegt werden können und die Auslegung allein dem Richter vorbehalten bleibt. Allenfalls kann die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung begründet sein.
Rz. 112
In der Berufung auf einen geschlossenen Auslegungsvertrag kann ein Zugeständnis i.S.v. § 138 Abs. 3 ZPO zu sehen sein, denn auch der Erblasserwille ist dem Geständnis und der Beweisaufnahme zugänglich. Im Hinblick hierauf ist aber umstritten, ob ein derartiges Zugeständnis gleichzeitig bedeutet, dass das Auslegungsergebnis feststeht. Kuchinke ist der Ansicht, dass das Prozessgericht durch ein solches Zugeständnis gebunden ist. Nach weiterer Ansicht kann das Gericht entscheiden, ohne an das Zugeständnis des Erblasserwillens gebunden zu sein, da das Auslegungsergebnis hierdurch noch nicht festgelegt wird. Der BGH hat ausgeführt, dass es sich "bei der Auslegung einer Willenserklärung weithin nicht um eine der Beweisaufnahme zugängliche Tatsachenfeststellung, sondern um eine nach bestimmten rechtlichen Regeln vorzunehmende Würdigung handelt". Damit steht fest, dass zwar der Erblasserwille als innere Tatsache dem Geständnis und der Beweisaufnahme zugänglich ist, aber nicht das Auslegungsergebnis, wo zwischen der Tatsachenfeststellung – mit der Möglichkeit des Zugeständnisses des Erblasserwillens – und der Auslegung selbst als Rechtsanwendung unterschieden wird. Aus diesen Gründen ist daher der Ansicht Kuchinkes nicht zu folgen.