Rz. 4
Str. ist, ob von einem Wegfall des zunächst berufenen Erben auch dann gesprochen werden kann, wenn dieser etwa von der Möglichkeit der "taktischen" Ausschlagung gem. § 2306 Abs. 1 BGB Gebrauch macht, um seinen Pflichtteil zu erlangen (im Ergebnis eine Auslegungsfrage!). Das OLG Stuttgart hat dies mit der Begründung verneint, die taktische Ausschlagung stelle eine "Störung der vom Erblasser vorgesehenen Nachlassabwicklung" dar, so dass dessen Wille zur Ersatzerbenberufung entfalle. Der BGH lehnt in einem solchen Fall eine Anwendung von § 2069 BGB ab, mit der Folge, dass die Abkömmlinge des Ausschlagenden nicht zu Ersatzerben berufen werden. Allerdings hat der BGH dies bislang nur für den (Zweifels-)Fall des § 2069 BGB entschieden, also eine ausdrückliche Ersatzerbenbestimmung des Erblassers fehlte. Nach OLG München macht es keinen Unterschied, ob die Ersatzerbfolge auf § 2069 BGB oder auf direkter Anordnung gem. § 2096 BGB beruht. Zur Begründung führt das OLG München eine allgemeine Lebenserfahrung dahingehend an, dass es i.d.R. dem Willen des Erblassers nicht entspreche, den Stamm des Abkömmlings, der die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil verlangt, doppelt zu berücksichtigen. Die Gegenansicht vertritt die Auffassung, dass es aufgrund des § 2320 Abs. 2 BGB nicht zu einer Doppelbegünstigung desselben Stammes kommen kann, weil die nachrückenden Abkömmlinge im Innenverhältnis die Pflichtteilslast zu tragen haben. Richtig erscheint es indessen im Falle der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen, eine Ersatzerbenberufung, sei es eine ausdrückliche oder durch Auslegung bzw. durch Anwendung von § 2069 BGB ermittelte, abzulehnen, so dass es nicht zu einem Wegfall i.S.v. § 2096 BGB kommt. Denn letztlich kann es keinen Unterschied machen, ob der Ersatzerbe ausdrücklich eingesetzt ist, im Wege allg. Auslegung oder nach der Zweifelsregelung des § 2069 BGB ermittelt wird. Denn durch die Ausschlagungshandlung hat der Pflichtteilsberechtigte das mit der letztwilligen Verfügung verfolgte Ziel des Erblassers gestört. Ferner könnte auch eine taktisch vorteilhafte Situation entstehen, wenn ein Stamm sowohl einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Nachlass in Form eines Pflichtteilsanspruchs als auch eine unmittelbare Beteiligung in der Erbengemeinschaft erwirbt. Bei nicht vorhandener Liquidität könnte der Pflichtteilsberechtigte dann möglicherweise die Erbteile der übrigen Miterben pfänden.
Rz. 5
Fraglich ist, ob der Zuwendungsverzicht zum Wegfall i.S.d. § 2096 BGB und damit zur Ersatzerbfolge führt. Diese Frage stellt sich regelmäßig dann, wenn der überlebende Ehegatte beim Berliner Testament i.S.d. § 2269 Abs. 1 BGB im Einvernehmen mit dem (erstberufenen) Schlusserben seine wegen § 2271 Abs. 2 BGB eingeschränkte Testierfreiheit wiedererlangen möchte (ebenso beim Erbvertrag). Dagegen spricht zunächst die Konstruktion der Ersatzerbfolge als aufschiebend bedingte Erbeinsetzung. Solange der Erblasser lebt, hat der verzichtende "Erbe" keine Rechtsposition, auf die er verzichten könnte. Sein Verzicht kann im Grunde genommen erst wirken, wenn er den Erblasser überlebt. Beim Zuwendungsverzicht zur Wiedererlangung der Testierfreiheit sollten daher auch alle möglichen Ersatzerben mitwirken (auch nach der Erbrechtsreform zum 1.1.2010, dazu Rdn 7). Oftmals ist dies schwierig oder kompliziert, insbesondere wenn Minderjährige beteiligt sind. Beim Zuwendungsverzicht gegen (wertentsprechende) Abfindung wird aber im Wege der ergänzenden Auslegung regelmäßig der Wille des Erblassers festzustellen sein, dass bereits die Anordnung der Ersatzerbfolge entfällt.
Rz. 6
Praxishinweis
Bei der Gestaltung von bindenden Verfügungen von Todes wegen sollte nicht nur klargestellt werden, ob eine Ersatzerbfolge angeordnet wird oder nicht. Wenn Ersatzerbfolge angeordnet wird, sollte (auch nach der Erbrechtsreform zum 1.1.2010, vgl. Fn 22) zugleich geregelt werden, welche Auswirkungen ein Zuwendungsverzicht auf die Ersatzerbfolge hat. (Letzteres ist freilich nicht notwendig, wenn die erbrechtliche Bindung entsprechend gelockert wird, z.B. durch Freistellung/Änderungsvorbehalt.)
Rz. 7
Seit der Erbrechtsreform zum 1.1.2010 kann sich der Zuwendungsverzicht auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstrecken, §§ 2349, 2352 S. 3 BGB. Die h.M. sieht in der Regelung des § 2349 BGB beim Zuwendungsverzicht eine sog. Dispositivnorm, d.h. die Drittwirkung des Verzichts gegenüber den Abkömmlingen des Verzichtenden soll bereits vom Gesetz selbst angeordnet sein, wobei die Vertragsparteien des Verzichts diese gesetzlich angeordnete Rechtsfolge vertraglich abbedingen können: "sofern nicht ein anderes bestimmt wird." Hieraus wird geschlossen, dass der Zuwendungsverzicht mit entsprechender Drittwirkung auch zum Wegfall der Abkömmlinge des Verzichtenden führt, und zwar ungeachtet der Frage, ob der Verzicht gegen wertentsprechende Abfindung erfolgt oder gar ohne Abfindung. Die Vertreter dieser Auffassung nehmen eine...