Rz. 1
Die Auslegungsvorschrift des Abs. 1 beruht auf dem Erfahrungssatz, dass "die Nacherbeneinsetzung im Regelfalls als wirkliche Erbeinsetzung gewollt ist, die nur im Interesse des Vorerben verzögert ist", so dass der Nacherbe nicht leer ausgeht, wenn der Vorerbe wegfällt (durch Tod, Ausschlagung, Anfechtung, Erbunwürdigkeit), sondern an seine Stelle tritt. Voraussetzung ist, dass der als Nacherbe Eingesetzte zur Zeit des Erbfalls lebt oder zumindest gezeugt ist (§ 1923 BGB). Andernfalls wird er gem. § 2106 Abs. 2 BGB mit seiner Geburt Nacherbe. Bis zu diesem Zeitpunkt sind gem. § 2105 Abs. 2 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers Vorerben.
Rz. 2
Dies gilt aber nicht in Gegenrichtung. Der als Ersatzerbe Eingesetzte ist im Zweifel nicht zum Nacherben berufen. Denn die Stellung des Nacherben, der den Nachlass, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, konkret erhalten soll, ist stärker ist als die des Ersatzerben, der nur bei Wegfall des unmittelbar Bedachten zum Zuge kommen soll, folglich kann auf einen dahingehenden Erblasserwillen regelmäßig nicht geschlossen werden. Dies gilt freilich nur, wenn der Erblasser den Begriff des Ersatzerben in seinem technischen Sinn verwendet hat. Bei rechtsunkundigen Personen kann dies fraglich sein, denn diesen ist der Unterschied zwischen dem Begriff des Ersatzerben und dem des Nacherben nicht immer geläufig, weshalb mit der Einsetzung zum Ersatzerben tatsächlich eine Berufung (auch) zum Nacherben gemeint sein kann.
Rz. 3
Da der Nacherbe nur "im Zweifel" Ersatzerbe ist, geht ein abweichender Erblasserwille vor. Abs. 1 greift daher erst, wenn die konkrete Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt. Sollte der als Nacherbe Eingesetzte die Erbschaft nach dem eindeutigen Willen des Erblassers erst ab dem Eintritt eines bestimmten, nach dem Erbfall liegenden Zeitpunkts oder einer an die Person des Nacherben geknüpften Bedingung (z.B. Erreichen eines bestimmten Alters, Abschluss einer Ausbildung) erhalten, ist er nur als Nacherbe und nicht auch als Ersatzerbe berufen. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls treten dann ggf. anwachsungsberechtigte Miterben oder die gesetzlichen Erben des Erblassers in entsprechender Anwendung des § 2105 BGB an die Stelle des weggefallenen Vorerben. Eine Anwachsung unter Mitvorerben ist im Übrigen im Anwendungsbereich von § 2102 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, denn das Recht des zugleich zum Ersatzerben berufenen Nacherben geht dem Anwachsungsrecht gem. § 2099 BGB vor.