Rz. 2
Abs. 1 S. 2 enthält zwei Ausnahmen von der dreißigjährigen Höchstfrist, bei deren Vorliegen die Nacherbeinsetzung ohne zeitliche Begrenzung wirksam ist.
I. Personenbezogenes Ereignis
Rz. 3
Gem. Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bleibt die Nacherbeinsetzung wirksam, wenn der Nacherbfall an ein Ereignis in der Person des Vor- oder Nacherben geknüpft ist und derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Erbfalls lebt oder – was sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, von der ganz h.M. aber als ausreichend angesehen wird – zumindest erzeugt ist und später lebend geboren wird (§ 1923 Abs. 2 BGB). Die Nacherbenbindung kann sich dann auf die gesamte Lebenszeit des Vor- oder Nacherben erstrecken.
Rz. 4
Beispiel
Vater testiert 1950, dass sein Sohn lebzeitig Vorerbe und sein Enkel Nacherbe werden solle. Er stirbt 1955. Der Sohn, zu diesem Zeitpunkt 6 Jahre alt, stirbt 2010 und hinterlässt einen Sohn von 25 Jahren.
Das Ereignis muss nicht vom Willen des Vor- oder Nacherben abhängig sein; reine Potestativbedingungen wie die Wiederverheiratung des Vorerben oder das Examen des Nacherben reichen aus.
Rz. 5
Das Merkmal "in der Person" ist großzügig auszulegen; das "Ereignis" muss mit der Person nicht besonders eng verknüpft sein. Umstritten ist, ob es ausreicht, dass die Person das Ereignis nur erlebt (z.B. Wiedervereinigung). Ein Teil der Lit. nimmt an, dass das Ereignis den Vor- oder Nacherben in persönlicher, rechtlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht zu beeinflussen geeignet sein muss. Die aus dieser Einschränkung resultierende Abgrenzungsproblematik führt jedoch angesichts der stark vom subjektiven Empfinden abhängenden Wertung, wann ein Ereignis den Vor- oder Nacherben (noch) berührt, zu unnötigen Rechtsunsicherheiten. Mit Rücksicht darauf, dass der Erblasser den Eintritt des Nacherbfalls ohnehin auf den Tod hinausschieben kann und die Wirkung der Nacherbeinsetzung gleichzeitig durch die Lebenszeit der bedachten Personen begrenzt wird, ist es daher vorzugswürdig, allein darauf abzustellen, ob die Person das Ereignis erlebt. Das praktisch wichtigste Beispiel für ein Ereignis i.S.v. Nr. 1 ist der Tod des Vorerben als Bedingung für den Nacherbfall. Dieser tritt also auch dann ein, wenn der Vorerbe den Erblasser um mehr als 30 Jahre überlebt, und zwar unabhängig davon, ob der Eintritt des Nacherbfalls aus einer ausdrücklichen Bestimmung des Erblassers oder aus § 2106 Abs. 1 BGB folgt.
II. Einsetzung ungeborener Geschwister
Rz. 6
Nach Abs. 1 S. 2 Nr. 2 greift die Höchstfrist des S. 1 auch dann nicht, wenn ungeborene Geschwister des Vor- oder Nacherben zu (weiteren) Nacherben eingesetzt sind. Die zeitliche Grenze für die Wirksamkeit der Nacherbeinsetzung wird insoweit durch die Lebensdauer der Eltern des Geschwisters, das Nacherbe werden soll, gezogen. Zu den Geschwistern i.S.v. Nr. 1 zählen auch nichteheliche Kinder, Halbgeschwister und die nach früherem Recht Legitimierten (§§ 1719, 1736 BGB a.F.). Da die Vorschrift auf die die Verwandtschaft vermittelnde Geburt ("geboren wird") abhebt, fallen Adoptivkinder, gleich ob minder- oder volljährig, nicht darunter. Der Nacherbfall muss nicht an die Geburt des nachgeborenen Geschwisters geknüpft sein, sondern kann auch zu einem späteren Zeitpunkt, etwa dem Erreichen eines bestimmten Alters, eintreten.