I. Ausnahme durch Abs. 1 Nr. 1
Rz. 2
Abs. 1 Nr. 1 findet Anwendung, wenn das Vermächtnis für den Fall angeordnet ist, dass in der Person des Beschwerten oder des Bedachten ein bestimmtes Ereignis eintritt und derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zzt. des Erbfalls lebt. Da Abs. 1 Nr. 1 einen Kompromiss zwischen den Interessen des Erblassers und dem Verkehrsschutz darstellt, ist eine Erweiterung oder eine analoge Anwendung nicht zulässig.
II. Ereignis
Rz. 3
Ein "Ereignis" i.S.d. Abs. 1 Nr. 1 ist im weitesten Sinne zu verstehen. Es bezieht sich nicht nur auf Geschehen, die den Beschwerten oder Bedachten unabhängig von dessen Willen betreffen, wie Tod oder Erwerbsunfähigkeit. Das Ereignis kann auch auf einer Willensentschließung des Beschwerten oder Bedachten beruhen (Heirat, Scheidung, Wiederverheiratung). Der Beschwerte oder der Bedachte muss auch nicht in seiner Stellung als Person betroffen sein; es genügt vielmehr, wenn seine vermögensrechtliche Stellung betroffen wird, wie bspw. beim Verkauf eines Gegenstandes. In der Literatur wird darüber hinaus vertreten, dass das Ereignis einen gewissen Bezug zur Person des Betroffenen aufweist. Allgemeine Vorgänge wie Naturkatastrophen oder technische Weiterentwicklungen seien nicht ausreichend, um als Ereignis i.S.d. § 2163 BGB qualifiziert zu werden.
Rz. 4
Beispiele
Der Erblasser ordnet ein Vorvermächtnis an. Das sich daran anschließende Nachvermächtnis (§ 2191 BGB) stellt dann eine Beschwer dar. Hat der Nachvermächtnisnehmer zur Zeit des Erbfalls gelebt, kann auch die dreißigjährige Frist des § 2162 Abs. 1 BGB für ein Nachvermächtnis beliebig unter Beachtung des § 2163 BGB überschritten werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Vermächtnis aufgrund seiner höchstpersönlichen Natur nicht übertragbar ist.
Wird eine zur Zeit des Erbfalls bereits lebende Person (weiterer Vorerbe) 30 Jahre nach dem ursprünglichen Erbfall mit einem Vermächtnis beschwert, stellt der Erbanfall beim neuen Vorerben ein Ereignis in der Person des Beschwerten dar, sodass Abs. 1 Nr. 1 zur Anwendung kommt.
Rz. 5
Abs. 1 Nr. 1 ist auch nicht durch Auslegung oder analoge Anwendung auf Fälle anzuwenden, in denen Mehrere beschwert sind und das Ereignis, von dessen Eintritt das Vermächtnis abhängt, nicht in der Person des Beschwerten eintreten soll, der das Vermächtnis zu erfüllen hat, sondern eines früheren Bedachten, der das zugewandte Recht wegen seiner höchstpersönlichen Natur nicht übertragen und daher nicht beschwert sein kann. Soll daher bspw. ein Nießbrauchsrecht aufgrund eines Vermächtnisses zunächst dem Vorvermächtnisnehmer und nach dessen Tod dem Nachvermächtnisnehmer zustehen, ist der Vorvermächtnisnehmer nicht Beschwerter des Nachvermächtnisses. Denn mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers erlischt auch das Nießbrauchsrecht. Das Nießbrauchsrecht wäre daher zugunsten des Nachvermächtnisnehmers durch die Erben erneut zu bestellen.
III. Ausnahme durch Abs. 1 Nr. 2
Rz. 6
Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung, wenn ein Erbe, ein Nacherbe oder ein Vermächtnisnehmer für den Fall, dass ihm ein Bruder oder eine Schwester geboren wird, mit einem Vermächtnis zugunsten des Bruders oder der Schwester beschwert wird. Grenze für die Anwendbarkeit der Nr. 2 ist, dass dem Beschwerten noch Geschwister geboren werden können. Die nicht ehelichen Kinder, Halbgeschwister und die nach früherem Recht Legitimierten (§§ 1719, 1736 a.F. BGB) fallen ebenfalls unter Abs. 1 Nr. 2. Die Annahme eines Minderjährigen an Kindes Statt ist im Hinblick auf § 1754 BGB (Wirkung der Annahme) der Geburt eines Kindes der Annehmenden gleichzustellen.
IV. Juristische Person
Rz. 7
In Abs. 3, der § 2109 Abs. 2 BGB entspricht, wird für juristische Personen die Regelung des § 2162 BGB hinsichtlich der dreißigjährigen Frist festgeschrieben.