Prof. Dr. Rainer Deininger
I. Besorgnis des vorzeitigen Ablebens oder örtliche Absperrung
1. Besorgnis des vorzeitigen Ablebens
Rz. 2
Präzise betrachtet muss die Besorgnis bestehen, dass der Erblasser vor der Errichtung eines Testaments vor einem Notar verstirbt. Es reicht dagegen nicht aus, wenn der Notar nur nicht erreichbar oder zeitweilig verhindert ist. Der beurkundende Bürgermeister muss zumindest in subjektiver Hinsicht davon überzeugt sein, dass das vorzeitige Ableben des Erblassers zu befürchten ist. Die subjektive Überzeugung der Zeugen oder des Erblassers ist dagegen nicht erforderlich. Objektiv muss die Gefahr vorzeitigen Ablebens nicht vorliegen, d.h. das Testament ist gültig, auch wenn die Besorgnis des vorzeitigen Ablebens nicht begründet war (Abs. 2 S. 2). Liegt die Gefahr objektiv vor und errichtet der Bürgermeister das Testament, obwohl er selbst nicht die Besorgnis des vorzeitigen Ablebens des Erblassers hegt, ist das Testament gleichwohl wirksam. Besteht jedoch keine Lebensgefahr und ist dies dem Bürgermeister zudem auch bewusst, so ist ein dennoch errichtetes Nottestament nichtig.
2. Örtliche Absperrung
Rz. 3
Nach § 2250 Abs. 1 BGB kann ein Erblasser, der sich an einem Ort aufhält, der infolge außerordentlicher Umstände derart abgesperrt ist, dass ein Notar zur Testamentserrichtung nicht oder nur unter erheblich erschwerten Umständen zu erreichen ist, ebenfalls ein Bürgermeistertestament errichten. Zu den Voraussetzungen der örtlichen Absperrung vgl. die Kommentierung zu § 2250.
II. Notar nicht rechtzeitig erreichbar
1. Grundfall
Rz. 4
Weitere Voraussetzung ist, dass kein Notar – nicht zwingend der örtlich zuständige – rechtzeitig erreichbar ist. Ein Irrtum des Erblassers hierüber schadet nicht, d.h. das Nottestament ist gültig, auch wenn tatsächlich ein Notar erreichbar gewesen wäre.
2. Gleichgestellte Fälle
a) Untätigkeit des Notars
Rz. 5
Will der Notar nicht tätig werden, steht dies der Besorgnis des vorzeitigen Ablebens gleich.
b) Bis zum Tod andauernde Testierunfähigkeit
Rz. 6
Die Besorgnis einer bis zum Tode andauernden Testierunfähigkeit wird der Besorgnis des vorzeitigen Ablebens gleichgestellt. Es muss die Gefahr bestehen, dass der Erblasser ununterbrochen oder nur mit wenigen Unterbrechungen bis zum Tod testierunfähig bleibt, so dass eine Testamentserrichtung nicht mehr gewährleistet ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die zu erwartende Testierunfähigkeit zugleich das Leben des Erblassers bedroht.
III. Zur Mitwirkung erforderliche Personen
Rz. 7
Die nachfolgend genannten Personen müssen über den gesamten Errichtungsakt des Testaments ohne Unterbrechung anwesend sein.
1. Bürgermeister oder Vorsteher eines Gutsbezirks
a) Bürgermeister
Rz. 8
Der Bürgermeister tritt an die Stelle des Notars, er ist die Urkundsperson (Abs. 1 S. 4 letzt. Hs.). Er hat zunächst die Geschäftsfähigkeit des Erblassers festzustellen (Abs. 1 S. 4 Hs. 1 i.V.m. § 28 BeurkG). Der Bürgermeister muss anwesend sein, mit dem Erblasser verhandeln und dessen letzten Willen entgegennehmen. Zudem muss er nach Abs. 1 S. 4 Hs. 1 i.V.m. §§ 17, 30 BeurkG den Erblasser aufklären und belehren. Die bloße Anwesenheit des Bürgermeisters allein reicht nicht aus. Daneben ist der nach der jeweiligen Gemeindeordnung zuständige Vertreter des Bürgermeisters zur Niederschrift des Testaments befugt (Abs. 5 S. 1). Hat der Vertreter nur in den Fällen der Verhinderung des Bürgermeisters Vertretungsmacht, gilt dies auch für die Befugnis nach § 2249 BGB. Sonstige Gemeindeangestellte sind nicht zur Vertretung des Bürgermeisters im Hinblick auf die Niederschrift des Nottestaments befugt.
Rz. 9
Der Bürgermeister darf nach §§ 7, 27 BeurkG nicht tätig werden, wenn er selbst (oder sein jetziger oder früherer Ehegatte oder einer seiner dort genannten Angehörigen) durch das Testament bedacht wird, zum Testamentsvollstrecker ernannt wird oder sonst einen rechtlichen Vorteil erhalten soll. Das gilt nicht, wenn seine Gemeinde bedacht wird, was daraus geschlossen wird, dass Abs. 1 S. 4 Hs. 1 BGB nicht auf das Mitwirkungsverbot des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 2 BeurkG verweist.
Rz. 10
Ebenfalls fehlt in Abs. 1 S. 4 Hs. 1 eine Verweisung auf § 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG, woraus gefolgert wird, dass der Bürgermeister die Beurkundung nicht aus Zweifeln an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit des Erblassers verweigern darf. Auch aus Mangel an den notwendigen Rechtskenntnissen darf der Bürgermeister die Beurkundung nicht ablehnen. Die Ablehnungsgründe des § 4 BeurkG sind abschließend. Den Bürgermeister trifft nach § 17 BeurkG eine Prüfungs- und Belehrungspflicht, im Rahmen derer er u.a. den Erblasser über die rechtliche Tragweite seines Handelns belehren soll.
Rz. 11
Die Niederschrift des Testaments ist auch ohne Unterschrift des Bürgermeisters nach § 35 BeurkG wirksam, wenn der Bürgermeister die Aufschrift auf dem verschlossenen Umschlag unterschrieben hat.