I. Grundsätzliches
Rz. 1
Das in die besondere amtliche Verwahrung (§ 346 FamFG) gebrachte öffentliche Testament gilt nach Abs. 1 als widerrufen, wenn der Erblasser die Herausgabe der Urkunde verlangt. Die Vorschrift bezweckt, öffentliche Testamente vor Manipulationen zu schützen. Die Widerrufswirkung des § 2256 BGB gilt daher nur für Testamente, die vor einem Notar errichtet wurden, und für das sog. Bürgermeistertestament (§ 2249 BGB).
Rz. 2
In Abgrenzung zum eigenhändigen Testament stellt Abs. 3 klar, dass auch eigenhändig errichtete Testamente jederzeit aus der Hinterlegung zurückverlangt werden können. Auf die Wirksamkeit des Testaments hat dies aber keinen Einfluss. Die Widerrufswirkung des Abs. 1 kommt nicht zum Tragen. Gleiches gilt auch für das Nottestament auf See (§ 2251 BGB) und das sog. Dreizeugentestament, welches nach § 2248 BGB analog ebenfalls hinterlegt werden kann. Erfüllt ein öffentliches Testament auch die Voraussetzungen einer privatschriftlichen Verfügung von Todes wegen (z.B. weil es per Übergabe einer Schrift übergeben wird, § 2232 S. 2 BGB), gilt es auch als eigenhändiges Testament als widerrufen. Abs. 3 ist nicht anwendbar.
II. Rückgabeverlangen
Rz. 3
Die Widerrufswirkung tritt unabhängig vom Willen des Erblassers ein. Sie knüpft einzig an den Realakt der Rückgabe an und kann weder rückgängig gemacht werden noch hat eine Missachtung der in Abs. 1 S. 2 geregelten Belehrungspflichten Einfluss auf die gesetzlich vorgegebene Widerrufsfiktion. Auch eine erneute Rückgabe in die besondere amtliche Verwahrung macht das einmal widerrufene Testament nicht wieder wirksam: § 2257 BGB ist im Rahmen von § 2256 BGB nicht anwendbar.
Rz. 4
Das Rückgabeverlangen kann gegenüber dem Nachlassgericht formlos gestellt werden. Ob dabei Stellvertretung möglich ist, ist umstritten. § 2256 BGB setzt voraus, dass der Erblasser zum Zeitpunkt des tatsächlichen Rücknahmeaktes testierfähig ist. Testierunfähigkeit lediglich zum Zeitpunkt des Rückgabeverlangens hindert den Eintritt der Widerrufswirkung daher nicht: In der Entgegennahme des Testaments liegt zugleich ein konkludent gestelltes erneutes Rückgabeverlangen.
Nach Abs. 2 S. 2 darf das Testament nur an den Erblasser persönlich zurückgegeben werden. Dies gilt auch dann, wenn das Rückgabeverlangen durch einen Bevollmächtigten erfolgte. Verlangt der Erblasser lediglich die Einsichtnahme bei Gericht und wird das Testament dann versehentlich zurückgegeben, liegt hierin genauso wenig eine die Widerrufsfiktion auslösende Rückgabe, wie wenn das öffentliche Testament vor Verbringung in die besondere amtliche Verwahrung dem Erblasser ausgehändigt wird.
Rz. 5
Nicht zwingend ist, dass die Rückgabe durch das Gericht erfolgt, bei dem das Testament hinterlegt ist. Vielmehr kann diese auch i.R.d. Rechtshilfe durch ein anderes AG oder einen Konsularbeamten erfolgen. Ist der Erblasser persönlich nicht mehr in der Lage, das Testament bei Gericht in Empfang zu nehmen, muss der Rechtspfleger den Erblasser aufsuchen, um ihm das Testament zu übergeben.
Rz. 6
Ein gemeinschaftliches Testament kann gem. den §§ 2272, 2256 Abs. 3, 2248 BGB nur von beiden Ehegatten zurückgenommen werden. Eine Stellvertretung ist unzulässig, da andernfalls der Schutz des gemeinsamen Willens der Ehegatten nicht gewahrt wäre. Erforderlich im Rahmen der Verwahrungssicherheit ist also das Einverständnis beider Eheleute. Ist einer der beiden Ehegatten testierunfähig, so scheitert eine wirksame Rücknahme und damit auch ein Widerruf. Dies gilt auch dann, wenn bei Errichtung der letztwilligen Verfügung keine Testierfähigkeit vorgelegen hat. Seine eigene Verfügung kann der rücknahmewillige und testierfähige Ehegatte hingegen widerrufen – dies jedenfalls, sofern er nicht über die Errichtung wechselbezüglicher Verfügungen einer Bindungswirkung unterliegt.
Rz. 7
Nach Abs. 1 S. 2 ist der Erblasser bei Rückgabe des Testaments über die Widerrufswirkung nach Abs. 1 S. 1 zu belehren. Unterbleibt eine solche Belehrung oder fehlt der Vermerk auf der Urkunde, ist die Wirksamkeit des Widerrufs hiervon nicht betroffen. Allerdings kann dies zu Amtshaftungsansprüchen nach Art. 34 GG, § 839 BGB führen.
Rz. 8
Die Widerrufswirkung des Abs. 1 S. 1 kommt nur zum Tragen, wenn die Testamentsurkunde dem Erblasser auf sein Verlangen hin tatsächlich zurückgegeben wird. Die Beschlagnahmung einer Testamentsurkunde nach §§ 96, 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO stellt keinen Widerruf dar.
Rz. 9
Vgl. zur Rücknahme von Erbverträgen § 2300 BGB.